Von Peter Hossli, Nico Menzato, Marcel Odermatt und Roman Seiler
Am letzten Tag der Sommersession – am 15. Juni – stimmt Bern über das vergangene Woche unterzeichnete Steuerabkommen mit Deutschland ab. Das bestätigt der Sprecher des Finanzdepartments, Roland Meier.
Die Zustimmung scheint so gut wie sicher. Alle Parteien ausser der SVP signalisierten Unterstützung. Selbst die Schweizerische Bankiervereinigung tritt für das Abkommen ein. Obwohl die Folgen der jetzt ausgehandelten Nachbesserungen die Finanzbranche schmerzen – und das Bankgeheimnis weiter lockern.
Ob Deutschland den umstrittenen Staatsvertrag akzeptieren wird, bleibt allerdings fraglich. Und auch, ob das Schweizer Volk zustimmt. Denn es hat wohl das letzte Wort. Die Chefs der Bewegung «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) planen gegen das Steuerabkommen ein Referendum.
Der Staatsvertrag sei ein massiver Eingriff in die Schweizer Neutralität und schalte die Rechtsordnung aus, sagt der Auns-Präsident und Schwyzer SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. «Wir müssen deshalb das Referendum ergreifen.»
Am 28. April werden die Auns-Mitglieder an ihrer jährlichen Versammlung darüber abstimmen können, sagt Schwander. Er nimmt das Resultat vorweg: «Es brodelt in der Basis. Es wird kaum Gegenstimmen geben.»
Auns-Geschäftsführer Werner Gartenmann will den Deal ebenfalls vors Volk bringen. «Wir haben genügend Mittel und Ressourcen, um allein die nötigen 50000 Unterschriften zu sammeln.» Gartenmann hofft auf Unterstützung der SVP. «In der SVP-Fraktion mehren sich die Stimmen, die für ein Referendum sind. Ich gehöre dazu», sagt der junge St. Galler Nationalrat Lukas Reimann.
«Ein so wichtiger Vertrag gehört vors Volk», meint auch SVP-Nationalrat und Auns-Vorstandsmitglied Oskar Freysinger. Deutschland müsse sich die Frage stellen, weshalb so viele Bürger ihr Geld in der Schweiz in Sicherheit bringen.
«Ich würde auch abhauen, wenn ich drei Viertel des Jahres nur für den Staat arbeiten müsste – und das Geld schliesslich im griechischen Sand versickert.»
Die Auns hätte bis 23. September Zeit, um die 50000 Unterschriften zu sammeln. Laut Finanzdepartements-Sprecher Meier wäre es dennoch möglich, den Vertrag, wie von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gewünscht, am 1. Januar 2013 in Kraft zu setzen: Der Bundesrat könnte die Abstimmung auf den 25. November ansetzen.
Während in der Schweiz die Rechte den Steuerstreit politisch nutzt, macht in Deutschland die Linke damit Politik. Zuletzt schlug die SPD vor, dem deutschen Steuerfahnder Peter B. das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Jenen Orden, den etwa Papst Benedikt XVI., Fussball-«Kaiser» Beckenbauer oder Verleger Burda («Focus», «Bunte») erhalten haben.
Damit soll ein Datenhehler in die Kränze kommen. Der 62-jährige Kettenraucher Peter B. hatte gestohlene Schweizer Bankdaten der Credit Suisse erworben – und muss sich jetzt gegen eine Strafanzeige aus der Schweiz wehren. Der Vorwurf von Bundesanwalt Michael Lauber: Anstiftung und Beihilfe zu «wirtschaftlichem Nachrichtendienst», also Spionage.
Für die deutschen Sozialdemokraten gilt B. als Nationalheld. «Rumpelstilzchen», wie sie ihn nennen, habe aufgedeckt, wie Schweizer Banken vermögenden Deutschen helfen, Gelder vor dem Fiskus zu verstecken.
B. hilft vor allem der SPD. Die Oppositionspartei will Stimmen bolzen, peitscht den Steuerstreit zum Steuerkrieg hoch – und nutzt den Wirbel vornehmlich für die kommenden Wahlkämpfe in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein sowie in Niedersachsen.
Wer aber die Fakten nüchtern betrachtet, kommt zum Schluss: Das Abkommen ist gut für die Schweiz, und es ist gut für Deutschland. Der Streit darum herum ist vor allem «Kakofonie» (Getöse), wie der Schweizer Topdiplomat Peter Maurer sagt (siehe Seite 32).
Das Abkommen löst für die Schweiz ein akutes Problem – das der Altlasten. Weit über 100 Milliarden Euro deutscher Schwarzgelder liegen seit Jahrzehnten hier. Mit dem Staatsvertrag werden diese Gelder endlich rundum legal. Dem deutschen Fiskus fliessen etwa zehn Milliarden Euro zu – aus der Abgeltungssteuer für die Summen auf Schweizer Bankkonten.
Ein zusätzlicher Vorteil für die Schweiz: Der Grossteil der deutschen Gelder dürfte bei hiesigen Banken liegen bleiben und den Finanzhäusern weiterhin Gewinne bescheren. «Jede Alternative ist nicht besser», sagt Finanzministerin Widmer-Schlumpf.
Und sie hat recht. Fällt das Abkommen durch, müssen deutsche Steuerfahnder weiterhin wie «Rumpelstilzchen» gestohlene Bankdaten kaufen. Deren Qualität ist oft zweifelhaft.
Bevor sie Klage gegen einzelne Steuersünder führen können, müssen die Behörden zusätzliche Informationen aus der Schweiz erhalten. Die aber gibt es nur über teure und langwierige Amts- und Rechtshilfeverfahren.
Wenn das Abkommen am 1. Januar 2013 in Kraft tritt, so sagen Kritiker, hätten Steuerflüchtlinge genügend Zeit, ihre Gelder unbesehen aus der Schweiz nach Singapur oder auf die Cayman Islands zu transferieren.
So einfach ist die Flucht in Drittstaaten aber nicht. Schöpft der Kundenberater einer Schweizer Bank Verdacht auf Schwarzgeld, darf er es nicht einfach an eine andere Bank im Ausland verschieben. Er weiss, dass er sich damit der Beihilfe zur Geldwäscherei strafbar machen könnte. Deshalb hüten sich derzeit viele Banker in Zürich, Schaffhausen oder Kreuzlingen davor, die Konten deutscher Kunden aufzulösen. Kein Wunder, beklagen sich viele von ihnen, sie hätten keinen Zugriff mehr auf ihre Gelder in der Schweiz.
Obendrein verfügt Deutschland über weit geringere Druckmittel als etwa die USA. Klagen die Amerikaner eine Schweizer Bank ein, ist sie faktisch bankrott. Sie darf nicht mehr mit Dollar handeln und wird dadurch handlungsunfähig. Die US-Regierung kann allen anderen Unternehmen verbieten, mit der beklagten Bank Geschäfte zu tätigen. So machtvoll ist das Euroland Deutschland nicht.
Deutsche Experten warnen daher SPD-Politiker, sich gegen das Abkommen zu stemmen. «Der deutsche Fiskus fährt mit dem nachgebesserten Abkommen klar besser», sagt der deutsche Anwalt- und Steuerberater Markus Baumgartner von der Kanzlei Baumgartner Thiede in Zürich. Er beklagt sich nicht über mangelnde Arbeit. Die um das Abkommen ausgebrochene «Kakofonie» führt dazu, dass viele steuersäumige Deutsche Nägel mit Köpfen machen und sich selbst anzeigen. So machten es bereits 30000 Deutsche mit schwarzen Konten in der Schweiz und spülten dadurch ihrem Fiskus bisher mehr als 2,5 Milliarden Euro in die klammen Kassen.
Nach einer Selbstanzeige zahlt ein Deutscher auf einer halben Million Euro Schwarzgeld rund 60000 Euro, so Baumgartner. Gemäss den Regeln des nachgebesserten Steuerabkommens muss er das Doppelte abliefern.
Mit dem Abkommen wäre gesichert, dass die in der Schweiz verbleibenden Milliarden Jahr für Jahr regulär versteuert werden. Die Schweizer Finanzbranche erhält dafür den freien Marktzugang in Deutschland. Deshalb unterstützt die schweizerische Finanzbranche das Steuerabkommen mit Deutschland. Die Bankiervereinigung wird deshalb im Abstimmungskampf gegen das Referendum der Auns antreten.
Eine bemerkenswerte Sache. Erstmals wird sich die Banken-Lobby offiziell für die Aufweichung des Bankgeheimnisses starkmachen müssen.