Kann er Obama?

Mitt Romney scheint als Herausforderer Barack Obamas gesetzt. Sehr zu dessen Freude. Romneys Handicap: Als Mormone hat er grösste Mühe, fromme Christen zu mobilisieren.

Von Peter Hossli

mittDiebisch freute sich US-Präsident Barack Obama (50) über den Auftritt seines politischen Widersachers. «Wir haben genug», rief der Republikaner Mitt Romney in der Nacht auf Mittwoch seinen Anhängern zu, genug von Obama: «Mister President, Ihre Zeit im Weissen Haus läuft ab.»

Romney (65) hatte zwar gerade die Vorwahlen im US-Bundesstaat Illinois gewonnen. Nun scheint er als republikanischer Herausforderer des Demokraten Obama so gut wie gesetzt.

Doch der reibt sich die Hände. Denn Obama weiss: Romney kann ausgerechnet jene Wähler nicht mobilisieren, die er am
6. November dringend braucht. Fromme Christen werden am Wahltag mehrheitlich zu Hause bleiben. Sie trauen Romney nicht. Er ist Mormone und aus Sicht der Evangelikalen kein echter Christ.

Viele Fromme leben in Staaten, die für die Präsidentschaftswahl entscheidend sind. Sie spielen das Zünglein an der Waage. Meist siegen Republikaner nur, wenn sie die Religiösen an die Urnen bringen. Gelingt das nicht, gewinnt ein Demokrat.

Daher stritten sich die Kandidatschaftsanwärter der Republikaner im Vorwahlkampf häufig um schlüpfrige Themen. Wenn es um Kondome oder schwule Ehen ging, will jeder der Verklemmteste sein.

Die Frommen sehen das Abendland in Gefahr und wählen nur Kandidaten, die Abtreibung ablehnen und Gebete an öffentlichen Schulen fordern. Und sie wollen, dass Lehrer die Schöpfungslehre mit Adam und Eva und keinesfalls Darwins Evolutionstheorie unterrichten. Denn sie nehmen die Bibel als Wort Gottes wörtlich.

Und da hat Romney ein Prob­lem: Er glaubt an das Buch Mormon, nicht an die Bibel. Die Christen sehen den Vater von fünf Söhnen daher vor allem als einflussreiches Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (LDS), weltweit bekannt als Mormonen. Wegen seines Glaubens unterlag Romney daher in Staaten mit hohem frommem Wähleranteil. Folglich zieht sich die Kür des republikanischen Kandidaten dieses Jahr unüblich lange hin.

Die Religionsgemeinschaft der Mormonen hat ihren Sitz in Salt Lake City, Bundesstaat Utah, und hat weltweit rund 15 Millionen Mitglieder. Keine Glaubensrichtung wächst rascher – und keine ist mehr auf Machtvermehrung fixiert.

Zunehmend durchdringen Mormonen Wirtschaft und Politik der USA. Sie sind beliebt wegen ihrer asketischen Lebensführung – kein Alkohol, kein Kaffee, kein vorehelicher Sex, dafür hoher Arbeitseifer.

«Die finanzielle und politische Macht der Mormonen in Washington ist weit grösser als ihr Anteil an der Bevölkerung», schreibt der Yale-Professor Harold Bloom in seinem Buch «The American Religion». Bald werde ihr Reichtum so gross sein, «dass es unmöglich ist, unsere Demokratie ohne sie zu führen». Und genau das wollen die Evangelikalen verhindern. Sie verachten die Mormonen, halten ihre Religion für einen Kult.

Die Verachtung reicht weit zurück. Ein christlicher Mob tötete den Mormonen-Gründer Joseph Smith 1844 im Gefängnis. Im selben Jahr bewarb er sich ums Amt des US-Präsidenten. Smith hatte die Frommen gegen sich aufgebracht, weil er gleichzeitig mehrere Frauen hatte und sich als Prophet Gottes sah.

Dadurch sahen sich die Christen in ihrer Jesusliebe verhöhnt. Nach Smiths Tod siedelten seine Jünger 1847 an den Grossen Salzsee in Utah um.

Heute fürchten die Evangelikalen, die Mormonen könnten mit Mitt Romney als Präsident ihre Missionsarbeit ausweiten und das Weisse Haus zweckentfremden, wie sie die Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City genutzt hatten – als spektakuläre Werbeplattform für ihre Kirche. Pikant: Organisator der Winterspiele war Mitt Romney.

Als moderater Republikaner hätte er gute Chancen aufs Weisse Haus. Obama ist angeschlagen. Sein glänzendes Image als Messias, der Amerika rettet, dann die Welt befriedet, ist verblasst. Ihn belastet, dass Amerika mit dem Geldbeutel wählt. Der ist bei vielen leer. Obama hat die Wirtschaft zu zögerlich angekurbelt und sich stattdessen auf dem Nebengleis staatlicher Krankenkassen verfahren.

Zwar sank die Arbeitslosigkeit von über zehn auf unter neun Prozent. Da viele Amerikaner die Suche nach Arbeit längst aufgegeben haben und aus den Statistiken gefallen sind, dürfte der tatsächliche Anteil Stellenloser aber bei 15 Prozent liegen. Und: Wer einen Job findet, verdient weniger als früher. Daher stiegen die Schulden von Staat und Gemeinden, schrumpften die Privatvermögen. Vor allem, weil sich der Wert vieler Häuser seit Obamas Amtsantritt halbierte.

Spärlich sind seine aussenpolitischen Erfolge. Vergessen scheint, wie seine Soldaten Osama Bin Laden aufspürten und töteten. Ohne einen Sieg zog er die US-Truppen aus dem Irak ab. Afghanistan zerfällt im Chaos. Und der Arabische Frühling ist nicht Obamas Werk.

Dennoch darf er sich sicher fühlen. Das Wahlsystem kommt ihm entgegen – und Romneys Religion. US-Präsident wird nämlich nicht, wer die meisten Stimmen holt, sondern wer die meisten Wahlmänner auf sich vereinigt. Alle 50 US-Bundesstaaten haben eine Anzahl solcher Elektoren zu vergeben – entsprechend ihrer Einwohnerzahl. Wer in einem Staat gewinnt, erhält dessen sämtliche Wahlmänner. Um Präsident zu werden, braucht es 271.

Seit Jahrzehnten wählen jeweils 48 Prozent der Amerikaner republikanisch, 48 Prozent demokratisch. Ein Prozent geht an rund 20 Miniparteien – bleiben drei Prozent Unentschlossene, Wechselwähler in «Swing ­States» – Staaten, in denen mal der re­publikanische, dann der demokratische Kandidat obsiegt.

Verschiebungen sind selten. An der Westküste und im Nordosten gewinnen Demokraten, im Süden und Mittleren Westen die Republikaner. Umkämpft sind vier bevölkerungsreiche Staaten – Florida, Ohio, Pennsylvania und Virginia. Dort halten sich die Kandidaten jeweils am längsten auf, schalten mehr Werbung, küssen mehr Babys.

In diesen vier Staaten ist der Anteil christlicher Wähler hoch. Sie sehen Romney als Ex-Gouverneur von Massachusetts, dem Stammland der Kennedys und somit der Liberalen. Als einen, der einst das Recht auf Abtreibung unterstützte. Der mit 19 Jahren nach Frankreich zum Missionieren ging und die ­Worte des Mormonengründers Smith predigte. Heute ist er befreundet mit reichen Mormonen-Clans, den Hotelerben Marriott, den Chemikalien-Milliardären Huntsman.

Wie ein US-Präsident sieht er aus, ein gross gewachsener Kerl mit Colgate-Lächeln. Er versteht was von Wirtschaft. Beobachtete als Kind, wie sein Vater General Motors lenkte, ein Herzstück Amerikas. Später stieg er selbst zum Geschäftsmann auf, stand 14 Jahre der Finanzfirma Bain & Company vor.

Sein Vermögen beläuft sich auf 250 Millionen Dollar. Kein Präsidentschaftsbewerber der US-Geschichte war reicher. Allein durch Kapitalanlagen verdiente er in den letzten zwei Jahren 42,5 Millionen Dollar – ohne zu arbeiten.

Doch das Vertrauen frommer Christen kann er nicht kaufen. Verstörend finden sie, wenn Mormonen Andersgläubige nach deren Tod taufen und dafür in Salt Lake City Daten zusammentragen. Deutsche Ortssippenbücher lagern dort, alte Einwohnerkontrollkarten aus der Schweiz und Namenslisten von Opfern des Holocaust.

Das Endziel ist ambitiös und furchterregend. Die Mormonen wollen alle taufen und in ihrem himmlischen Reich vereinen, die je geboren worden sind. Darunter fallen bis anhin 600000 in Auschwitz getötete Juden, auch deren Mörder Adolf Hitler, Rock’n’Roll-Legende Elvis Presley und der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi.

Romney half mit. «Ja, das habe ich getan», sagte er zu «Newsweek» auf die Frage, ob er selbst Tote getauft habe. «Aber ich tu es schon lang nicht mehr.»