…und plötzlich sind sie Bestien

Ein amerikanischer Unteroffizier massakriert in Afghanistan 16 Zivilisten. Amerika quält die Frage, warum Väter, Söhne und Brüder in Kriegen zu Bestien werden.

Von Peter Hossli

abughraibhoodAmerikas Aussenministerin sagte, was sie sagen musste. «Das entspricht nicht dem, wer wir sind», so Hillary Clinton Anfang vergangener Woche.

Einen Tag zuvor hatte ein US-Unteroffizier in Afghanistan 16 Zivilisten erschossen, darunter Frauen und kleine Kinder.

Clinton irrt. Wiederholt haben US-Soldaten Massaker angerichtet. Haben gemeuchelt, vergewaltigt, wahllos auf Zivilisten geschossen, gefoltert. Dabei haben sie Kriegsrecht verletzt – vergessen, Menschen zu sein.

Genau wie das deutsche Soldaten getan haben, serbische und russische, ruandische und englische. Der Krieg kann Väter, Söhne und Brüder zu gnadenlosen Bestien degradieren.

Einige massakrierten in fremden Ländern, noch bevor sie daheim eine Frau lieben konnten.

Die Uniform enthemmt. Druck und Stress, der auf Soldaten lastet, kann sich am Rand eines Schlachtfelds in Sekunden entladen. Wobei nicht unbedingt jene ausflippen, die Gefechte hautnah erleben. Blutbäder, so zeigen Studien aus dem Ersten Weltkrieg, richten Soldaten eher an, wenn sie nie oder selten beschossen werden. Eher zerbrechen sie an der Furcht vor der Schlacht, die jederzeit beginnen kann.

Kriegsverbrechen begehen Männer zudem meist, wenn ihre Kriege längst verloren sind. Sinnlose Gewalt wird so zum letzten Aufbäumen ­gegen eine sichere Schmach.

Seit zehn Jahren sterben US-Soldaten in Afghanistan – ohne grosse Folgen. Friede scheint fern. Stetig wächst der Einfluss der Taliban. Menschen fliehen. Nie haben mehr Afghanen im Ausland um Asyl nachgesucht.

Aus Afghanistan bereits ausgeflogen worden ist der mutmassliche Mehrfachmörder. Er soll sich in den USA einem Kriegstribunal stellen.

Ein junger Heisssporn ist Robert Bales nicht, sondern ein 38-jähriger Familienvater. Eine Frau und zwei Kinder warten im US-Bundesstaat Washington auf ihn. Elf Jahre war er Soldat, kennt den Krieg. Drei Mal diente er im Irak. Seit Dezember war er in Afghanistan stationiert.

Zweimal wurde Bales verletzt. Er galt als tadelloser Soldat. Bis letzten Sonntag, als er seinen Stützpunkt in der Provinz Kandahar verliess, allein und schwer bewaffnet. Die Gewehre entsicherte er im Dörfchen Panjawi. Ging von Haus zu Haus, schoss wild um sich, traf vor allem Kinder und Frauen.

Danach übergoss er elf der sechzehn Leichen mit Chemikalien und zündete sie an. Er verbrannte Mädchen, die jünger als sechs Jahre alt waren.

Er kehrte zurück und stellte sich. Unbestätigt bleiben Gerüchte, er hätte nach einer Gehirnverletzung psychische Probleme gehabt. Den «Stress des Krieges» hätte er nicht mehr ausgehalten, berichtete vor zwei Tagen ein Kamerad. Eheprobleme hätten ihn zudem gequält. Seine Sorgen hätte er im Alkohol ertränkt – was die Spirale der Gewalt zusätzlich anheizte.

Das Blutbad zertrümmere jegliche Hoffnung auf Frieden in Afghanistan, schreibt der «New Yorker»-Autor George Packer. «Nach dieser Attacke ist es unmöglich, das Jahrzehnt in Afghanistan zu einem ehrenhaften Ende zu bringen.»

Dann greift Packer zu einem Vergleich, der US-Präsident Barack Obama schmerzen dürfte. Ihn, den Friedensnobelpreisträger, der 2009 angetreten war, um einem friedlicheren und menschlicheren Amerika vorzustehen als sein Vorgänger George W. Bush.

Packer stellt das jüngste Massaker in eine Reihe mit den Gräueln von My Lai in Vietnam sowie Abu Ghraib und Haditha im Irak. Und er schreibt, warum: «Wie der Hauch der Pest wird Panjawi an jedem Soldaten und Politiker hängen, der mit dem Krieg in Afghanistan irgendwas zu tun hatte – egal wie gut seine Absichten waren, egal wie sehr er sich bemüht hatte, es richtig zu tun.»

Vergleiche mit My Lai wiegen schwer. Am 16. März 1968 ermordeten US-Soldaten der «Charlie Company» im vietnamesischen Dorf My Lai blindlings 504 Menschen. Es gilt bis heute als schlimmstes amerikanisches Massaker, verübt im schmutzigsten aller US-Kriege.

Amerikanische Füsiliere verstümmelten Zivilisten. Sie trennten Ohren, Zungen und Köpfe ab, schnitten Kehlen durch. Vergifteten Wasserlöcher und verbrannten Vorräte. Fällt der Name My Lai, ist das Wort Schlachthaus nie weit.

«Ich knallte sie ab, ich killte sie», erzählte der befehlshabende Offizier später, ein 24-jähriger Leutnant. «Und seltsam – es macht mir einfach nichts aus.» Morden – das ist kein Problem.

Der angesehene britische Historiker Niall Ferguson fand in einem Buch über den Ersten Weltkrieg eine erschreckende Erklärung für eine solche Nonchalance. «Männer kämpfen primär, weil sie nichts gegen das Kämpfen einzuwenden haben.» Krieg und Töten, schreibt Ferguson, hätten für viele Soldaten etwas Lustvolles.

«Der Befehl lautete, alle im Dorf zu töten», erzählte ein Soldat, der in My Lai mitmordete. «Irgendwer fragte, ob damit auch Kinder und Frauen gemeint seien.» Die Antwort war klar: «Alle im Dorf.»

Er befolgte den Befehl. Vielleicht, weil er die Zuneigung seines Vorgesetzten wollte, weil der Krieg die Kumpanei wie nichts festigt. Tausende von Füsilieren befragte der US-Soziologe Samuel Stouffer nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Befund: Viele töteten aus Solidarität mit der eigenen Truppe.

Vergeltung löste am 19. November 2005 das gröbste Massaker im Irak aus. Frühmorgens fuhr eines von vier gepanzerten US-Militärfahrzeugen in der irakischen Stadt Haditha über eine Mine. Sie explodierte und zerfetzte einen Grenadier.

Der befehlshabende Sergeant Frank Wuterich befahl, den Tod zu sühnen. Gewalt entlud sich gegen Zivilisten. Zuletzt starben 24 Menschen, darunter viele Kinder.

Vor der Attacke hatten sich die Soldaten mit Pornos die Zeit totgeschlagen. Sie spielten aggressive Videogames, tranken, peitschten sich mit Pillen auf.

Reue zeigten sie nicht. «Es hat mich nicht berührt», sagte ein Korporal, der Leichen abtransportieren musste, an seiner Gerichtsverhandlung. «Das Einzige, was mich nervte, war das Blut an meinen Händen.» Ein «Stern»-Reporter, der den Prozess verfolgte, fragte ihn nach dem Warum. «Ihr wisst nichts vom Krieg», sagte der Korporal. «Tag und Nacht hat man uns eingetrichtert: Geht und killt Iraker. Killt. Killt. Das ist unser Job, wir sind gut darin. Scheisse, dass Unschuldige starben, manchmal muss man ein Exempel statuieren. Nach der Sache in Haditha ist uns nichts mehr passiert. Das hat die Iraker abgeschreckt.»

Alle sind nicht so. Vielleicht hat Hillary Clinton doch recht. Es gibt sie, die Guten. Helikopterpilot Hugh Thompson flog 1968 ein Dutzend Vietnamesen von My Lai in Sicherheit. Seinen Bordschützen befahl er, auf alle zu schiessen, die ihn daran hindern würden. Dieser Mut stoppte das Morden.

Thompson war im Krieg ein Mensch geblieben.