“Ich möchte nie ein Mann sein – auf gar keinen Fall”

Die Schweizer Uhren-Königin Nayla Hayek fordert vom Bundesrat, sofort einen neuen Präsidenten für die Na­tionalbank zu benennen.

Interview: Peter Hossli und Claudia Gnehm

naylaFrau Hayek, was machen Sie morgens um sechs?
Nayla Hayek: Nicht jeden Morgen das Gleiche.

Als Ihr Vater noch lebte, rief er Sie täglich um sechs an.
Das Telefon klingelt noch immer. Heutzutage ruft meine Familie an.

Was hat sich bei der Swatch Group verändert, seit Ihr Vater nicht mehr anruft?
Viel hat sich nicht verändert. Sein Esprit und die Persönlichkeit meines Vaters sind Gott sei Dank immer noch überall spürbar. Er ist nur physisch nicht mehr da.

Bei seiner Nachfolge sagte Ihr Bruder Nick, Sie seien die am besten qualifizierte Hayek. Was können Sie, was er nicht kann?
Vielleicht kann jeder von uns etwas besser als der andere. Wir ergänzen uns auf jeden Fall bestens.

Gleichwohl waren viele überrascht, als Sie und nicht er das VR-Präsidium über­nahmen.
Wir nicht. Aber wahrscheinlich haben mich die Leute lange Zeit nicht wahrgenommen, vielleicht, weil ich eine Frau bin. Wäre ich ein Mann, wäre wohl niemand überrascht gewesen.

Warum nehmen wir Frauen zu wenig wahr?
Das müssen Sie die Männer fragen.

Es frustriert Sie, dass man Sie zu wenig sieht?
Nein, wenn ich etwas nicht bin, dann frustriert. Ich dränge mich nicht in den Vordergrund. Die Leute sollen mich nicht als Frau Hayek kennen, sondern als Person, die ihren Job gut und richtig macht.

Ihr Bruder verdient als Konzernchef bedeutend mehr als Sie als VR-Präsidentin.
Ja und? Fänden Sie es gut, wenn eine VR-Präsidentin mehr verdienen würde als der CEO?

Diese Lohnschere kann unter Geschwistern Eifersucht auslösen.
Leider kann ich Ihren Wunsch nicht erfüllen, dass es zwischen uns irgendwelche schlechten Gefühle gibt.

Sie sind die einzige Präsidentin einer an der Schweizer Börse SMI kotierten Firma. Warum?
Vielleicht, weil wir noch immer in ­einer Männerwelt leben, aber wahrscheinlich ist es mit Ausnahme der USA überall so.

Was wäre, wenn es mehr Che­finnen als Chefs gäbe?
Es ist gefährlich, das unter dem Aspekt der Geschlechter zu betrachten. Das Geschlecht darf nie die Leistung definieren.

Wie schwierig ist es denn, eine Chefin zu sein?
Es ist für mich nicht schwierig, Chefin zu sein. Ausserdem bin ich gerne eine Frau, ich möchte nie ein Mann sein – auf keinen Fall. Aber natürlich gibt es neben vielen positiven Aspekten gewisse negative Seiten.

Zum Beispiel?
Eine Frau in einer höheren Position muss sich immer wieder von neuem beweisen. Ein Mann an gleicher Stelle wird da nicht mehr in Frage gestellt.

Eine Lösung des Problems wären Frauenquoten. Sie sprechen sich klar dagegen aus. Warum?
Quoten sind in keinerlei Hinsicht gut. Ich lehne nicht nur Frauenquoten ab, sondern Quoten überhaupt. Ich will aufgrund von Leistungen ausgewählt werden, nicht weil ich eine Quote erfülle.

Die Panalpina-Chefin sagt, es brauche Quoten als Zwischenlösung, damit mehr Frauen an Konzernspitzen gelangen.
Wir Frauen müssen aufhören, uns als Frauen zu verteidigen. Wer sich verteidigt, gerät in Rücklage. Wir müssen sagen: Ja, ich bin eine Frau, und ich bin gut. Frauen sind zum Teil mitschuldig, dass die Si­tuation für Frauen schwieriger ist.

Sie beschönigen die Situation.
Nein. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass viele Frauen gezwungen werden, sich für die Karriere oder für die Familie zu entscheiden. Männer werden nicht zu solchen Entscheidungen gezwungen.

Dann hat der Swatch-Verwaltungsrat und Lindt-&-Sprüngli-Chef Ernst Tanner recht, wenn er sagt, Mütter mit Kindern seien weniger mobil und ungeeignet für Toppositionen?
Das hat er gesagt?

In der «SonntagsZeitung».
Diese Aussage ist für mich zu einfach, Frauen mit Kindern seien nicht mobil. Klar ist eine Frau mit drei Kindern, von denen zwei an Scharlach erkrankt sind, in diesem Moment nicht sehr konzentriert. Aber das gilt auch für den Mann, der gleichzeitig drei Freundinnen aneinander vorbeibringen muss.

Sie hatten Ihr Kind im Alter von 20. Das war möglich, weil Sie privilegiert aufwuchsen.
Das war möglich, weil ich mich erstens verliebt und zweitens geheiratet hatte. So privilegiert war diese Situation nicht. Die Hayeks waren eine ganz normale Familie. Wer glaubt, wir seien mit dem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen irrt. Ich bin normal aufgewachsen, und auch ich musste für mein erstes Pony arbeiten und kämpfen.

Zu kämpfen hat die Swatch Group mit Währungsverlusten. Ab welchem Frankenkurs zum Euro geht es nicht mehr?
Wir versuchen, mit dem harten Franken so gut wie möglich zu leben. Beim Kurs von 1.20 steht vielen kleineren und mittleren Unternehmen das Wasser bereits bis zum Hals, und auch für uns wird es schwieriger.

Welchen Kurs wollen Sie?
Wir haben es bereits letztes Jahr deutlich gesagt – wirklich helfen würde der ganzen Industrie ein Eurokurs bei 1.30 oder 1.40. Aber ich glaube nicht, dass sich der Kurs in der nächsten Zeit so nach oben bewegen wird.

Mit Philipp Hildebrand an der Spitze der Nationalbank hatte die Schweiz ­einen Garant für die Währungspolitik. Jetzt gibt es bei der SNB ein Vakuum.
Das sagen Sie. Es war ja nicht Herr Hildebrand allein, der bei der SNB die Währungspolitik gemacht hat.

Letztes Jahr haben Sie Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann kritisiert, er mache zu wenig für den Franken.
Das stimmt so nicht. Ich habe unsere Regierung und unsere Nationalbank kritisiert, sie befänden sich bezüglich des Frankens in einer Eisstarre, bevor sie die Währungsfixierung auf 1.20 bekannt gab.

Wie sehen Sie das heute?
Es ist nicht die Aufgabe von Bundesrat Schneider-Ammann, den Franken zu schwächen. Das Direktorium der Nationalbank muss jetzt vervollständigt werden. Die SNB braucht jetzt die offizielle Bekanntgabe des neuen Präsidenten.

Die Schweizer Industrie klagt, der Franken gefährde Arbeitsplätze. Wa­rum ist die Uhrenindustrie nicht bedroht?
Natürlich ist die ganze Schweizer Industrie dadurch gefährdet.

Künden Sie jetzt eine Kehrtwende an? Ihr Bruder sagte, Swatch stelle 2012 erneut Leute an.
Nein, keine Kehrtwende. Und ja, wir stellen ein. Die Swatch Group unternimmt alles, wie sie es in der letzten Finanzkrise und vorher getan hat, um die Arbeitsplätze zu bewahren oder gar in solchen Situa­tionen neue zu schaffen.

Noch ist der Bankrott von Griechenland nicht abgewendet. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Man kann sich auf den Bankrott ­eines Landes nicht vorbereiten. Aber die Swatch Group hat eine breite Markenpalette und ist weltweit gut vertreten. Diese Strategie hilft, Krisensituationen besser zu überstehen.

Die Swatch Group schrieb im Januar zweistellige Wachstumsraten. Wie verlief der Februar?
Sehr gut. Wir sind uns schon gewohnt, zweistellige Wachstumsraten zu schreiben, dass eventuelle einstellige Wachstumszahlen fast als negativ betrachtet werden. Aber wenn alles gut läuft – alle Anzeichen sprechen dafür –, werden wir 2012 wieder entsprechend wachsen.

Sie tragen eine Blancpain. Was gibt Ihnen die Uhr ausser Zeit?
Ich muss eine Uhr gern tragen. Für Frauen ist sie zusätzlich auch ein Accessoire. Wie Sie sehen, passt die Uhr heute zu meiner Bluse.

Sie exportieren nicht nur Uhren, sondern auch Araberpferde nach Ägypten und Kuwait. Wie schaffen Sie es, die Qualität bei Pferden hinzukriegen, die aus dem arabischen Raum stammen?
Das Arabische Vollblut, das ich züchte, gehört einer bestimmten Linie an, jener der ägyptischen Arabischen Vollblüter. Diese Linie entstand auf der arabischen Halbinsel, verschwand später aber dort. Heute entdecken Scheichs diese Linie wieder.

Sie sprechen Arabisch. Wie kommen Sie als Frau in der arabischer Gesellschaft an?
Ich komme sehr gut zurecht.

Dann ist es ein Klischee, dass es für Frauen schwierig ist?
Es gibt Situationen, in denen es für uns Frauen aus anderen Kulturen schwerer ist, mit gewissen Vorschriften umzugehen. Das beschränkt sich aber auf streng islamische Länder wie etwa Saudi-Arabien. Arabische Männer sind zu Frauen, die sich normal verhalten, ebenfalls normal.

Was bedeutet denn normal?
In Sitzungen auf keinen Fall Hotpants und Ausschnitte bis zum Boden. Wenn jemand so zur Swatch-Group-Sitzung erscheinen würde, fände ich das nicht normal.

Apropos Provokation: Ihr Vater hat Banker als Finanzidioten bezeichnet. Warum?
Das hätten Sie ihn fragen sollen. Aber ich glaube, er hatte genügend klar ausgedrückt, dass wir Banken brauchen. Ihm widerstrebten jedoch die Finanzmarktkräfte, die nur kurzfristige Erfolge suchen. Dagegen sind wir auch.

Sie führen dieses Erbe fort. Die Swatch Group hat im Frühling die UBS auf 25 Millionen Franken verklagt.
Es ist immer noch ein laufendes Verfahren, und ich möchte deshalb weder die Zahl bestätigen noch mehr dazu sagen. Im Übrigen wurde die Klage noch zu Lebzeiten meines Vaters eingeleitet.

Neben der Uhrenindustrie zählt die Finanzbranche zu den Pfeilern der Schweizer Wirtschaft …
… welche Finanzbranche? Man muss differenzieren. Nehmen Sie die Bank Wegelin. Sie war eine traditionsreiche und gute alte Schweizer Bank. Geschäftsleitungsmitglieder haben mir gesagt, sie nehme keine US-Kunden an Bord. Das ist trotzdem passiert – wegen Banker, die auf schnelles Geld aus waren. Schade um diese Bank.

Die Hayeks greifen gern die Banken an. Es ist aber bekannt, dass Chinesen und Russen mit Uhren Schwarzgeld waschen. Was tun Sie dagegen?
Bei den vielen Reglementen im In- und Ausland, die den Nachweis des Geldes verlangen, liegt das wohl kaum mehr drin. Wir dürfen zum Beispiel nur einen beschränkten Betrag an Bargeld annehmen. Mehr als Vorschriften strikte einzuhalten, können wir nicht tun.

Über Jahre gab es in Lugano, Zürich und St. Moritz neben jeder Bank ein Uhrengeschäft. Ausländischen Kunden haben mit unversteuertem Geld im Nachbarhaus Uhren gekauft.
Da wissen Sie mehr als ich.

Sie haben eine «Occupy Swatch» herausgebracht, in Anlehnung an die «Occupy Wall Street»-Bewegung. Wer soll das kaufen?
Diese Uhr steht nicht zum Verkauf. Sie wird nur an unsere Aktionäre abgegeben. Wenn Sie unseren Geschäftsbericht anschauen, dann heisst es: «Occupy your people, occupy your wrist und occupy your heart.» Das ist unsere Botschaft: Wir wollen die Arbeitsplätze unserer Leute bewahren. Wir wollen als Swatch Group das Handgelenk besetzen. Aber natürlich steckt dahinter eine positive Provokation.

Sie verstecken in der Occupy-Swatch einen Angriff auf die ­Finanzwelt.
Das würde ich nicht so sagen. Sie ist einfach nur als Provokation gedacht, mit einem kleinen Augenzwinkern. Natürlich denke und handle ich in vielen Dingen ähnlich wie mein Vater. Er hat gerne provoziert, Swatch provoziert seit jeher gerne – es gehört zu ihrer Markenbotschaft.

Sie schreiben im neuen ­Geschäftsbericht, die Finanzwelt gefährde die Demokratie.
Dazu stehe ich.

Warum die Gefährdung?
Wie ich das meine? Recherchieren Sie mal nach.

Sie haben erzählt, Ihr Vater hätte zwei Tage vor seinem Tod einen Brief an Barack Obama geschrieben habe. Was stand da drin?
Ich möchte dazu keine Einzelheiten erzählen. Nur so viel – ja, es ist richtig, dass ein Briefwechsel stattfand. Aber da mein Vater verstarb, wurde der Briefwechsel gegenstandslos.

Sie sind 60 geworden. Was wollen Sie noch erreichen?
Das Alter ist für mich nicht relevant, das war schon bei meinem Vater so. Ob wir jetzt 60 oder 30 sind – Hauptsache wir sind gesund.

Ihr Vater starb bei der Arbeit. Könnten Sie sich das vorstellen?
Sie meinen, ob ich bis zu meinem Tod arbeiten wolle? Warum nicht?

Wie viele Generationen der Hayeks werden die Swatch Group noch kontrollieren?
Es geht nicht um Kontrolle, sondern wir versuchen, die Swatch Group erfolgreich zu führen. Wenn die Zeit kommt für eine nächste Generation, so hätten wir in der Familie sicher genügend Ressourcen.

Ihr Vater rettete die Schweizer Uhrenindustrie. Als was wollen Sie in die Geschichte eingehen?
Ich glaube nicht, dass mein Vater die Uhrenindustrie rettete, um damit in die Geschichte einzugehen. Ob ich dereinst in die Geschichte eingehen werde? Möchten Sie in vielleicht 20 Jahren wieder mit mir darüber reden?

Gerne. Sie könnten die Swatch Group verkaufen und Pferde züchten. Warum machen Sie das nicht?
Ich bin eine Hayek. Die ganze Familie ist mit Passion dabei. Wir haben unseren Teil zum Aufbau und Gelingen der Gruppe beigetragen und wollen dies weiterhin tun. Das ist nicht einfach ein Job, nicht einfach eine Firma. Das ist Teil unseres Lebens.

Das geht über das Geld hinaus?
Geld ist natürlich, wie mein Vater auch immer sagte, ein nützliches Werkzeug. Wichtig ist aber, was man damit macht, was man kreiert. Für uns ist es wichtig, dies in der Schweiz zu tun und Arbeitsplätze in der Schweiz zu schaffen. Wir lieben die Schweiz. Wir wollen, dass das Know-how hier bleibt und nicht verschwindet, wie etwa die Swissair, was uns damals doch sehr betroffen gemacht hat.

Es war einfach kein Hayek da, der die Swissair ­rettete.
Wir haben uns damals alle beraten und unserem Vater dann dringend davon abgeraten, sich bei der Swissair noch mehr einzusetzen.

Persönlich
Nayla Hayek (60) ist das älteste Kind von Swatch-Erfinder Nicolas Hayek. Seit dessen Tod im Frühling 2010 amtet sie als Präsidentin der Swatch Group. Ihre Passion gilt Pferden. Die Aargauerin züchtet Arabische Vollblüter und ist internationale Richterin für Araberpferde. Sie trat 1995 in den Verwaltungsrat der Swatch Group ein. Ihr Sohn Marc (39) ist Chef der Swatch-Marke Blancpain.