Es ging um Geld & einen Job

Was wirklich geschah, als sich alt Bundesrat Christoph Blocher am 3. Dezember 2011 mit dem mutmasslichen Datendieb Reto T. und Anwalt Hermann Lei in der Herrliberger Villa traf.

Von Peter Hossli

Trüb und nieselnass präsentierte sich die Zürcher Goldküste, als am 3. Dezember in der herrschaftlichen Villa das verlockende Angebot fiel.

Nicht nur einen Job versprach der Hausherr dem Gast, falls der die Stelle bei der Bank verlieren würde.

Auch sämtliche Kosten für den Strafverteidiger werde er übernehmen.

Zuletzt bot der Gastgeber seine Hilfe an, Interviews mit dem Gast «der Zeitung» zu verkaufen.

Der grosszügige Hausherr ist der Zürcher SVP-Stratege Christoph Blocher (71). Zu Besuch in seiner Villa in Herrliberg weilte ein ihm bis dahin unbekannter 39-jähriger Thurgauer. Er arbeitete in der IT-Abteilung der Basler Privatbank Sarasin. Sein Name: Reto T.*

Dem IT-Mann waren auf einem Sarasin-Konto die Dollargeschäfte von SNB-Präsident Hildebrand aufgefallen. Darüber informierte er Blocher an diesem kühlen Samstagmorgen. An T.s Seite sass sein Anwalt Hermann Lei, ein Thurgauer SVP-Kantonsrat. Lei hatte das Treffen eingefädelt.

Blocher – seit der Erbteilung wohl nicht mehr Milliardär, aber sehr wohlhabend – hatte gute Gründe, generös zu sein. Reto T. brachte ihm, worauf er lange gewartet hatte – Dokumente, um SNB-Chef Philipp Hildebrand zu stürzen.

Dafür offerierte ihm Blocher einen Job, wollte künftige Anwaltskosten tragen und «der Zeitung» Interviews vermitteln – gegen Bezahlung.

Das weiss SonntagsBlick von zwei unabhängigen Quellen. Und es entspricht gemäss Recherchen dem derzeitigen Stand der strafrechtlichen Ermittlungen.

Das Angebot überraschte und irritierte T. Das Treffen, merkte er, war missverständlich vorbereitet worden, sein Gastgeber falsch informiert.

Nicht Geld wollte T., und schon gar nicht an die Medien gehen. Viel eher hatte er sich juristischen Beistand von Blocher erhofft – und Hilfe beim Gang durch die Instanzen. Zumal der Zürcher bald wieder im Nationalrat sitzen würde.

Diese Strategie hatte T. mit Anwalt Lei abgesprochen. Gegenüber Blocher kündigte Lei den IT-Mann jedoch als «Whistleblower» an, der mit heissem Material die Dollaraffäre an die Öffentlichkeit bringen möchte. Würde ihm Blocher helfen, wäre T. bereit, das Bankkundengeheimnis zu verletzen.

Lei und T. legten Blocher drei Seiten vor. Es waren die Printscreens von Hildebrands Sarasin-Konto. T. hatte sie ungefähr am 10. Oktober in der Bank erstellt, in ein Word-File gezogen und in der Bank ausgedruckt.

T. wies die Angebote von Blocher zurück.

Abgesehen von rechtlicher Hilfe bei den Abklärungen und absoluter Diskretion wollte er nichts.

Beides sicherte ihm Blocher in Herrliberg zu.

Nach dem Treffen trugen die Ostschweizer die Zettel weg. Lei nahm sie in seine Obhut.

Kaum hatte T. Blochers Villa verlassen, muss ihn ein mulmiges Gefühl befallen haben. Sein Anwalt hatte offenbar nicht nur ihm, sondern Blocher gegenüber seine Motive falsch dargelegt. Zwei Wochen zuvor, am 17. November, hatte Lei ihm bereits gesagt, es gebe keinen rechtlichen Weg, Hildebrands Dollarkäufe zu untersuchen. Es blieben ihm nur die Medien.

Das wollte T. nicht. Seitdem versuchte er Lei zu stoppen, die Screen­shots Dritten zu geben.

Einfach war das nicht. Zumal er die ausgedruckten Screenshots bei seinem Anwalt in der Kanzlei hinterlegt hatte – in einem verschlossenen, mit seinem Namen markierten Umschlag.

Aus dieser Klemme, hoffte T., würde ihm nur Blocher helfen können.

«Christoph Blocher nimmt dazu keine Stellung», sagt sein Sprecher Livio Zanolari. Auch der Anwalt von T. will das nicht kommentieren.

Nach dem Herrliberger Treffen wälzte sich T. wahrscheinlich zwei Nächte lang schlaflos im Bett. In der dritten Nacht, am 6. Dezember, schrieb er ein Mail an Lei. «Kann ich das Couvert um 8 Uhr holen?», lautete der Betreff des um 4 Uhr 55 versandten Schreibens.

«Ich ziehe mich zurück okay.» Missbraucht fühlte er sich. «[Ich] lasse mich nicht mehr zu Weiterem hinreissen.» Eine Situation wie die Begegnung mit Blocher wollte er nie mehr erleben. «Danach bitte ich um keine Anfrage und keine Aufforderung mehr, solches zu tun, wie es von mir verlangt wurde.» Denn: «Das ist ein Verbrechen okay.»

Lei willigte ein. Er legte das Couvert in T.s Milchkasten. Am selben Nachmittag, einem Dienstag, verbrannte es der IT-Mann in einem Kübel von Ikea. Zur Sicherheit stellte er ihn in die Badewanne. Fortan, glaubte T., gebe es die Kontoauszüge nicht mehr.

Er konnte nicht ahnen, was BLICK letzte Woche enthüllte: Ohne sein Wissen hatte Lei die Dokumente aus dem Umschlag entwendet und Kopien erstellt.

Das Diebesgut gab Lei an Blocher. Der «Chef», wie Lei und T. den alt Bundesrat nannten, wollte sie haben. Blocher übergab die illegal beschafften Zettel der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Der Bundesrat leitete eine Untersuchung von Hildebrands Dollargeschäften ein.

Die Abklärungen liefen nicht zu Blochers Befriedigung. Am 23. Dezember stellte der Bankrat dem SNB-Präsidenten einen Persilschein aus. Hildebrand, hiess es, hätte keine Reglemente verletzt.

Fortan soll Lei seinen Mandanten T. dazu gedrängt haben, der «Weltwoche» zu erzählen, was er auf seinen Bildschirmen gesehen hatte. Als Kronzeuge sollte er auftreten, um Philipp Hildebrand als Devisenspekulant zu überführen, gar eine vorgeschriebene Strafanzeige gegen den SNB-Chef unterschreiben. T. weigerte sich. Gleichwohl berichtete die «Weltwoche» am 4. Januar, T. habe eine Strafanzeige gegen Hildebrand eingereicht. Das stimmte nicht.

Am 1. Januar nannten zwei Sonntagszeitungen den Namen von Hildebrands Bank: Sarasin.

Nach dieser Enthüllung knickte der Sarasin-Angestellte T. ein. Am selben Tag ging er zur Polizei, wollte sich stellen. Es war Neujahr, deshalb schickte die Polizei ihn nach Hause, er solle am 3. Januar nochmals auf die Wache kommen, an einem Werktag.

Sogleich informierte T. Sarasin. Die Bank entliess ihn fristlos, stellte ihm aber einen Beistand zur Seite.

Am 4. Januar veröffentlichte die «Weltwoche» den Artikel über Hildebrands Dollarkäufe mit­
samt Kontoauszug des SNB-Präsidenten.

T. war verblüfft. Sandte SMS an Lei. Sagte dem Anwalt, die «Weltwoche» habe offenbar andere Quellen. Seinen Auszug hatte er ja vernichtet – und das publizierte Dokument entsprach überhaupt nicht dem, was er aus der Bank getragen hatte.

Lei stimmte der Beobachtung des Mandanten zu. Ein anderer sei es wohl gewesen, beruhigte er Reto – was sich schon am nächsten Tag als Schwindel erwies.

Am 5. Januar fegte das Sturmtief Andrea über Zürich. An einer Pressekonferenz nannte SNB-Bankrats-Präsident Hansueli Raggenbass den SVP-Kantonsrat Lei als Lieferanten der Auszüge in der «Weltwoche». Einen Tag später sagte «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel, es gebe nur eine Quelle. Für Reto T. brach eine Welt zusammen. Er begriff: Sein Anwalt hatte ihn hintergangen und war zur «Weltwoche» gegangen.

Was aber sollte der seltsame Bankauszug im Magazin? Es ist ein Flickwerk, enthüllte BLICK letzte Woche, zusammengeschnipselt von Hermann Lei.

Aus den Papieren, die ihm T. zuerst anvertraut hatte, und die Lei diesem dann entwendete.

Doch nicht nur Lei hinterging T. – auch Christoph Blocher.

Rasch brach der Politiker die ihm zugesicherte Diskretion. Kaum hatte T. die Villa verlassen, besprach Blocher den Fall mit Gattin Silvia. «Diese», sagte Blocher vorgestern an der Albisgüetli-Tagung, «war entsetzt: ‹Oh nein, warum gerade wieder du?›»

Und die T. zugesicherte Diskretion? Sie galt offenbar schon am Tag seines Besuchs nicht mehr.

* Name der Redaktion bekannt