“Ich bin das kleinste Zahnrad”

Er soll die Kontodaten von Philipp Hildebrand geklaut haben. Jetzt reagiert Reto T. mit einem langen E-Mail.

Von Peter Hossli

Gestern veröffentlichte der SonntagsBlick einen Artikel zur zentralen Figur im Fall Hildebrand – dem mutmasslichen Datendieb.

Sonntag früh, um 8.38 Uhr, erreichte den Autor des Artikels ein Mail von Reto T.* (39). Der mittlerweile entlassene IT-Mitarbeiter der Privatbank Sarasin wird verdächtigt, Kontodaten von Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand (48) von einem Bildschirm fotografiert zu haben. «Sehr geehrter Herr Hossli (…) Ihr Artikel – den ich soeben gelesen haben – ist (…) sehr fair; Sie schreiben über das, was Sie gewusst haben.» Und: «Ich danke Ihnen für den anständigen Artikel.»

SonntagsBlick hatte gestützt auf zwei anonyme Quellen berichtet, T. habe die Kontodaten Hildebrands nicht der Presse zukommen lassen wollen. Diesen Befund bestätigt T. jetzt erstmals selbst. «Ich habe mich ausdrücklich für eine Untersuchung der Ereignisse eingesetzt, nicht für eine ‹Bestrafung›», schreibt er an BLICK. «Das Zweite kann sich durch das Erste ergeben, aber logischerweise muss sich Herr Hildebrand auch äussern können.»

Nie habe er die «unkont­rollierbaren Ereignisse der letzten Woche» gewollt.

Stattdessen habe er sie «effektiv zu verhindern» versucht, «als sie losgingen».

In seinem Mail schildert T. seine persönliche Version zentraler und strafrechtlich relevanter Fragen – ohne sie ganz aufzuklären.

Hat T. bei der Beschaffung der Dokumente alleine gehandelt? Ist er dazu angestiftet worden? Stiess er zufällig auf die Dollargeschäfte der Hildebrands? «Ich hatte in der Bank nicht nur direkten Zugriff auf die Daten, sondern sie wurden mir von anderen Leuten (der Front) mitgeteilt.»

Ein Hinweis darauf, dass innerhalb der Bank Sarasin mehrere Leute von den Dollarkäufen Hildebrands gewusst haben könnten – und dass T. den Datenklau erst vornahm, nachdem ihm jemand von den Devisenkäufen erzählt hatte. Meint er mit der «Front» Kundenberater bei Sarasin?

Die «Vorverurteilung von Herrn Hildebrand» tue ihm leid, schreibt T. «Das hat er nicht verdient.»

Wahrscheinlich im November sah er die Dollarkäufe. «Ich hatte auch Momente, in denen ich dachte, verdammt, das ist doch so und nicht richtig.» Grund genug zum Angriff auf Hildebrand war das für ihn nicht. «Man muss die Sicherungen am Schluss drin haben und sich für den korrekten Weg entscheiden.» Für T.: «Das heisst für eine Untersuchung statt eine mediale oder politische Vorverurteilung. (…) Ob man seine Sicht zur Währungspolitik dabei teilt oder nicht, ist irrelevant.»

«Gegebenenfalls spekulierte er [mit Devisen]», schreibt T. über den SNB-Chef. «Und das verträgt sich schlecht mit seiner Rolle als SNB-Präsident und dem Stil, wie er ihn lebt.» Hildebrands Abgang fordert T. allerdings nicht. «Wenn er aber auch seine Schlüsse daraus zieht, fände ich es gut, wenn er im Amt bleibt.» Denn: «Er zeigte auch menschliche Züge an der PK diese Woche, und verdammt, wir sind alles Menschen.»

T. beweist im meist klar formulierten Mail eigenständiges Denkvermögen. «Zudem schädigte er [Hildebrand] mit der Bereicherung – wenn es denn eine war – niemanden persönlich. Ein vielleicht etwas geläuterter (darf ich dem so sagen?) Präsident ist eventuell das Beste, was wir haben können, fachlich ist er ja kompetent.»

Im Gegenzug, so T., könne Hildebrand den Banken mehr Respekt zollen. Für diese verlangt der SNB-Chef schärfere Regeln. «Wenn man ihm eine zweite, reale Chance gibt, wird er das vielleicht ja mit einer rücksichtsvolleren Art z. B. gegenüber den oft angeprangerten Geschäftsbanken danken. Dann hätten wir alle am meisten erreicht, weil wir in der Schweiz zusammenstehen sollten, statt uns zu bekriegen.»

Gemäss Bank Sarasin trafen sich T. und der Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei am 11. November mit SVP-Stratege Christoph Blocher. Gegenüber BLICK sagt Lei, das Treffen mit dem alt Bundesrat habe am 3. Dezember in Herrliberg ZH stattgefunden (siehe Interview auf Seite 4).

Mitte Dezember zeigte Blocher die Kontoauszüge der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Sie löste zwei Untersuchungen aus.

Nachdem diese Hildebrand einen Persilschein ausgestellt hatten, soll Lei ohne eindeutige Einwilligung von T. die Dokumente der Presse zugespielt haben. «Ich bedauere das sehr, er zerstörte mit dieser unüberlegten Vorgehensweise meine Existenz und gefährdete eventuell auch seine», so T.

Mittlerweile ist es zum Bruch gekommen zwischen T. und Lei. Sie hatten sich in der Schulzeit kennengelernt. Lei vertrat T. in einem Verfahren wegen Belästigung einer Frau. Dabei sei Lei «eine grosse Stütze» gewesen, «eine Insel des Anstandes», so T. «Herr Lei half mir enorm, ein anständiger Kerl.»

«In der Folge ging jedoch mit Herrn Lei wohl leider – wie soll ich sagen – die Kontrolle verloren im Hildebrand-Fall.» Wie? «Ersehen Sie aus all den Fehlern, die er weitergab, wie viel Abstruses er (in der Verzweiflung?) dazu dichtete.»

Die Beziehung zu Lei habe «anwältlichen Charakter» gehabt, schreibt T. Das heisst, es bestand ein Mandatsverhältnis, das Lei nicht hätte brechen dürfen. Laut SonntagsBlick hat er das durch die Weitergabe der Kontodaten getan. Dazu T: «Ich weiss jedoch nicht ganz, unter welchem Druck gegebenenfalls auch er [Lei] stand.» – «Ich glaube, er gehört für die Weltwoche-Sache (über Weiteres weiss ich nichts) in die Verantwortung genommen. (…) Er ist im Kern ein anständiger Kerl mit guten Motiven, aber die Methoden waren nicht korrekt. Weiss Gott nicht, sie waren absolut unhaltbar, widerrechtlich und rücksichtslos gegenüber mir.»

Am Sonntagabend teilte der «Tages-Anzeiger» mit, er habe das an den BLICK-Autor gerichtete Schreiben ebenfalls erhalten – als weitergeleitetes Mail.

Reto T. hat das Mail wohl als Hilferuf geschrieben. «Wir müssen auch ein Vorbild gegenüber denen sein, die wir nicht mögen, ansonsten werden alle zu Tieren.» Er selbst sei nur «das kleinste Zahnrad in dieser unheiligen Maschine».

* Name der Redaktion bekannt