“Im Fernsehen kann Charisma wichtiger sein als Inhalte”

Richard Berke ist der stellvertretende Chefredaktor der «New York Times». Zuvor war er Politikchef beim Weltblatt. Als Reporter hat er vier US-Wahlkämpfe begleitet. Er spricht über Medien und Politik.

E-Mail-Interview: Peter Hossli

berkeMister Berke, warum verhelfen US-Wahlen neuen Medienarten oftmals zum Durchbruch?
Richard Berke: Bei Wahlen werden derart viele verschiedene Kräfte gebündelt, dass es ganz normal ist, dass daraus neue Medienarten hervorgehen.

Welches war der bedeutendste Medienmoment in der Geschichte amerikanischer Präsidentschaftswahlen?
Die Debatten zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon im Jahr 1960 waren sehr wichtig. Nixon hat sich inhaltlich zwar gut geschlagen, aber er sah nicht gut aus. Er hatte einen Stoppelbart, und er schwitzte. Kennedy sah cooler und freundlicher aus, das half ihm, die Gunst der Zuschauer zu gewinnen. Die Lehre daraus: Am Fernsehen kann Charisma wichtiger sein als die Inhalte.

Wie beeinflussen Präsidentschaftswahlen in der Regel Medienhäuser?
Während eines Wahlkampfs investieren Medienunternehmen sehr viel Geld und Energie. Sie vernachlässigen dabei andere, oft ebenfalls wichtige Themen. Eine erbitterte Rivalität zwischen den Medienhäusern bestimmt die Wahlberichterstattung. Das nutzen die Wahlkampfleiter. Sie verleiten die Medien dazu, über jede noch so kleine Angelegenheit ihres Kandidaten zu berichten.

Wie beeinfluss die Medien den Wahlkampf?
Indem sie über Dinge berichten, die einen Kandidaten in ein gutes – oder schiefes Licht stellen. Die Medien schauen den Kandidaten auf die Finger, legen dar, ob sie ihre Versprechen eingehalten haben. Sie hinterfragen Positionen und zwingen Kandidaten dazu, über Themen zu reden, die sie oft unterdrücken.

Was wird das zentrale Medium für die Wahlen 2012 sein?
Das Internet ist wichtiger denn je. Immer mehr Leute informieren sich auf Webseiten und über Social Media. Die Kandidaten bedienen das.

Welches Thema entscheidet die Wahlen?
Ich stelle nicht gerne Prognosen an. Aber Umfragen zeigen, dass der Zustand der Wirtschaft die Wähler am meisten beschäftigt.

Sind mit dem Aufkommen von Social Media herkömmliche Medienunternehmen überhaupt noch wichtig?
Es ist schwierig, die beiden zu trennen. Viele Medienhäuser bedienen sich den Social Media.

Wie wichtig war es während den Wahlen 2008, dass Barack Obama begriffen hatte, wie Social Media funktioniert?
Seine Anhänger haben Social Media intensiv genutzt – sehr viel intensiver als die Republikaner. Das hat Obama sicher geholfen, Wähler von seinen Ideen zu überzeugen und sie zu motivieren, für ihn zu arbeiten – und sie zudem an die Urnen zu bringen. Aber Social Media allein hat die Wahlen nicht entschieden.

Sie wurden einst als «einflussreichster Politikjournalist» beschrieben. Wie viel Einfluss haben einzelne Journalisten?
Sie können eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie exklusive Geschichten über einzelne Kandidaten haben.

Wie wird die «New York Times» die Wahlen von 2012 angehen?
Wir werden unsere Anstrengungen in den Bereichen Internet, Social Media, interaktive Grafiken und Blogs verstärken. Damit sollen die Leser unseren Journalismus auf vielen verschiedenen Kanälen nutzen. Wir werden eine politische App für das iPhone lancieren.