Von Peter Hossli
Der folgenschwerste Fehlgriff in einen Kleiderschrank geschah am 26. September 1960 in Chicago. Richard Nixon, damals Vizepräsident und Aspirant auf Wohnrecht im Weissen Haus, wählte einen grauen Anzug. Er trug ihn am Fernsehen, in einem live übertragenen Rededuell mit dem anderen Kandidaten für das amerikanische Präsidentenamt, John F. Kennedy.
Schwarzweiss flimmerten damals die Bilder in die Stuben der Amerikaner. Deckungsgleich grau waren Nixons Jackett und das Dekor im Studio in Chicago. Kennedy aber trug einen dunkelblauen Blazer. Folglich stach er am Bildschirm hervor.
Einem Chamäleon gleich versank jedoch Nixon im Bild.
Nicht nur das. Nixon hatte sich geweigert, Schminke aufzutragen. Schweiss ran ihm übers Gesicht, er wirkte bleich, das Gesicht schien unrasiert. Kennedy liess sich im Vorfeld pudern, sah jugendlich aufgeräumt aus – vor insgesamt 70 Millionen Zuschauern. Das entsprach zwei Dritteln aller Amerikaner, die Anfang November den Präsidenten wählen würden.
Die Mehrheit befand später, Kennedy hätte die erste live am Fernsehen ausgestrahlte Debatte zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten für sich entschieden. Nicht etwa, weil er klügere Argumente führte. Wer das Duell am Radio verfolgte, erklärte mehrheitlich Nixon zum Sieger. Kennedy aber sah besser aus. War schlicht telegener.
Zwar steigerte Nixon in den nächsten Debatten seine Auftritte. Der erste Eindruck aber blieb haften. Anfang November unterlag er Kennedy um 120000 Stimmen. Wahlentscheidend sei diese erste TV-Debatte gewesen, sind sich Historiker einig.
Kennedy hatte das Medium Fernsehen begriffen, und Fernsehen war das Medium du Jour. Neun von zehn US-Haushalten besassen einen Apparat. Zehn Jahre früher waren es bloss 11 Prozent gewesen.
Die Episode belegt, wie sehr US-Präsidentschaftswahlen medial ausgetragen werden. Wobei meist nicht derjenige gewinnt, der in allen Medien den besten Eindruck hinterlässt. Es obsiegt, wer mit der jeweils aufstrebende Technologie am besten umgehen kann.
Wie Barack Obama, der 2008 dank Social Media den Sprung ins Weisse Haus schaffte. Oder Bill Clinton, der 1992 das Kabelfernsehen für sich nutzte. Oder Franklin D. Roosevelt, der in den Dreissigerjahren am Radio sprach und so seine Lähmung verbergen konnte.
John F. Kennedy, 1960 gerade 43 Jahre alt, schlug Nixon die Fernsehdebatten vor. Zwar warnten Nixons Berater. Doch der Kandidat schob die Warnungen zur Seite. Seine Radioerfahrung würde ausreichen, dachte er.
Kennedy aber begriff – Fernsehen ist anders. Am Tag vor der Debatte ging er ins Studio, liess sich die Kameras zeigen, studierte das Dekor. Nixon aber blieb zu Hause.
Anderntags sprach Kennedy direkt in die Kamera, redete mit den Zuschauern. Wie beim Gespräch im Radiostudio drehte sich Nixon seinem Kontrahenten zu – und von den Wählern daheim ab.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hoben die Wahlen Cartoons in den Mainstream Amerikas, später waren es Flugblätter und Tageszeitungen. Fotos erschienen erstmals 1897 in US-Blättern und haben dort seither einen festen Platz. Eindrücklich vorgeführt hatte deren Wirkung ein Jahr zuvor der republikanische Präsidentschaftskandidat William McKinley. Er reiste durchs Land und liess sich bei jeder Gelegenheit fotografieren, mal allein, mal umgeben von Menschenmengen. Auf über 100 Millionen Flugblätter liess er die Fotos drucken. Dafür gab McKinley sechs Millionen Dollar aus, zwanzig Mal mehr als sein demokratischer Gegner.
Die Flugblätter verteilten Wahlhelfer nicht etwa überall. KcKinleys politischer Stratege Mark Hanna analysierte, in welchem Wahlkreis er am ehesten auf Stimmenfang gehen sollte. Begründetet hatte er eine Technik, die andere Strategen während Jahrzehnten verfeinerten: gezieltes Bewerben von Wählern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten US-Konzerne vermehrt auf Spots am Fernsehen, um ihre Produkte anzupreisen. Doch erst die Präsidentschaftswahlen von 1952 verhalfen der Fernsehwerbung zum Durchbruch. General Dwight Eisenhower heuerte eine New Yorker Agentur an und liess Dutzende Spots drehen, keiner länger als 30 Sekunden. Sie füllten Werbepausen populärer Vorabendserien. In ihrer Machart ähnelten sie Werbung für Waschmittel. Aus dem gestrengen Soldaten formten sie einen freundlichen und zugänglichen Politiker.
Seinem Gegner war solche Werbung zu banal. Der blitzgescheite Adlai Stevenson verzichtete auf TV-Reklame und verlor die Wahl.
Lyndon B. Johnson hatte das Präsidentenamt nach der Ermordung von Kennedy im November 1963 geerbt. Die Rückkehr ins Weisse Haus schaffte er mit einem neuen Kniff – negativer Werbung. Im mittlerweile legendären «Daisy Girl»-Spot liess er den Republikaner Barry Goldwater als Haudegen zeichnen, der mitten im Kalten Krieg die heile Welt Amerikas gefährde, und unter dem ein nuklearer Winter drohte.
Wegweisend, dass Johnson den Spot ein einziges Mal schaltete. Das reichte, um einen nationale Skandal auszulösen. Experten traten in Nachrichtensendungen auf, debattierten den Spot, der nun öfters in den Nachrichtensendungen der TV-Sender zu sehen war. Zuletzt distanzierte sich Johnson von der Reklame mit dem Blumenmädchen, was die Debatte weiter anheizte. Eine Taktik, die US-Konzerne seither in der Produktwerbung sowie politische Kandidaten nachahmen.
Jahrzehntelang schauten Amerikaner hauptsächlich über die Antenne verbreitetes Fernsehen. Nationale Ketten wie ABC, CBS und NBC lieferten Serien, Sport und Nachrichten. Lange spielte das Kabelfernsehen nur eine Nebenrolle, gesehen von Eliten. Bis ein junger Gouverneur aus Arkansas das politische Parkett betrat.
Statt kostspielige Werbung bei Senderketten zu plazieren, schaltete Bill Clinton im Wahljahr 1992 Spots im Kabelfernsehen. Möglich war es, sie günstiger und geografisch gezielter auszustrahlen – bis zum gewünschten Wahlkreis. Beträchtlich verminderte Clinton so den Streuverlust der Werbegelder.
Zeitgleich erkannten seine Berater den Multiplikatoren-Effekt des damals noch jungen Nonstop-News-Senders CNN. Während seine Konkurrenten George Bush und Ross Perot über niedrige Einschaltquoten lästerten, trat Clinton oft bei Larry King auf. Was er dem legendären CNN-Talkmaster erzählte, sorgte anderenorts für Schlagzeilen.
Es war Clinton, der 1996, mitten im Wahljahr, eine erste Webseite für das Weisse Haus einrichtete. Gegner Bob Dole hatte nichts dergleichen zu bieten. Clinton feierte die Wiederwahl.
Bereits vier Jahre später hatten alle Kandidaten eigene Webseiten. Online sammelten sie Geld, führten den direkten Dialog mit den Wählern – und konnten erstmals völlig losgelöst von herkömmlichen Medien ihre Botschaften verbreiten.
Wahlentscheidend war das Internet erstmals 2004. Die republikanischen Strategen um George W. Bush hatten Millionen investiert, um ausgeklügelte E-Mail-Adressenkarteien aufzubauen. Gezielt versorgten sie Nichtwähler in vorwiegend demokratischen Bezirken mit Botschaften über Präsident Bush.
Zusätzlich sprachen sie Millionen so genannter Wechselwähler an, Bürger, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen. Besonders gut funktionierte das bei Schwarzen in Ohio, ein Bundesstaat, der wie so oft die Wahl entscheiden würde. Gaben schwarze Wähler landesweit nur zu acht Prozent Bush ihre Stimme, erhielt er in Ohio 16 Prozent afroamerikanischer Stimmen. Genug, um John Kerry zu schlagen.
Den Kosenamen «Twitter-Präsident» trägt Barack Obama. Zu Recht. Meisterhaft nutzte der damalige Senator im Wahljahr 2008 Social-Media-Angebote. Insbesondere junge Wähler, hatte er realisiert, kommunizieren vornehmlich online. Obama verbreitete Nachrichten auf der Videoplattform Youtube, veröffentlichte auf Flickr persönliche Fotos aus dem Innern des Wahlkampfs, mobilisierte Fans mit Kurzbotschaften über Twitter. Auf Facebook hatte er fünfmal mehr Freunde als Gegner John McCain.
Ein Präsidentschaftskandidat konnte im Jahr 2008 den Wahlkampf erstmals völlig ohne herkömmliche Medien bestreiten. Obama hatte das begriffen. Er gewann die Wahl.
Die herkömmlichen Medien? Die sind parallel dazu in eine regelrechte Existenzkrise geschlittert.
Wahlenkampf 2012 wird mobil
Die Mediennutzung ist mobiler geworden. Über hundert Millionen Amerikaner informieren sich heute unterwegs über so genannte Smartphones und Tablet-Computer wie das iPad. Noch schneller gelangen Nachrichten, Facebook- und Twitter-Botschaften zu den Wählern. Selbst fernsehen kann man jederzeit mobil. Bereits im Frühling 2011 hat die «New York Times» die Präsidentschaftswahlen 2012 deshalb zu einem «Ereignis der mobilen Medien» erklärt. Präsident wird, wer diesen Trend am besten erfasst. Die Kandidaten lassen ihre Webseiten zusätzlich für mobile Geräte programmieren. Viele geben eigene Apps heraus. Allein bei iTunes sind mehrere Dutzend erhältlich, die sich mit den Wahlen befassen. Einige haben traditionelle Verlagshäuser lanciert. Die meisten Apps aber stammen von unabhängigen Journalisten.
Interview mit Richard Berke, stellvertretender Chefredaktor «New York Times» über Medien und US-Wahlen