Von Marcel Odermatt, Nico Menzato und Peter Hossli
Wo ist Bruno Zuppiger? Verzweifelt suchen ihn seit Freitag seine allerbesten Freunde. «Ich mache mir Sorgen», sagt SVP-Nationalrat und Bundesratskandidat Jean-François Rime (61). Nicht einmal der Kantonalpräsident der Zürcher SVP, Alfred Heer (50), kann mit ihm sprechen.
Die Sorgen sind berechtigt. Selten ist ein Schweizer Politiker so schnell so tief gefallen wie der Zürcher Nationalrat Zuppiger.
Erbgelder soll er veruntreut haben, berichtete das Wochenblatt «Weltwoche». Der Parteileitung der Volkspartei hat er wichtige Details zum Fall verschwiegen, berichtete die Parteileitung.
Vor Wochenfrist noch füllte der füllige Hinwiler die Spalten der Sonntagsblätter. «Meine fünf Kinder finden das affengeil», sagte er im SonntagsBlick-Interview zu seiner Kandidatur.
Jetzt ist er der Paria der Schweiz. «Den Leichenfledderer» nennen sie ihn an den Stammtischen auf dem Land. Erbsünder mag niemand.
Eine menschliche Tragödie durchlebt Zuppiger (59). Sie darf nicht schlimmer werden, weiss Christoph Blocher (71). Laut SonntagsBlick-Recherchen lud der Milliardär Zuppiger nach dessen Rückzug am Donnerstag in seine Villa nach Herrliberg. Beim Abendmahl riet Blocher, Zuppiger solle ein paar Tage in sich gehen, weg aus Bern, weg von den Mikrofonen und Blitzlichtern der Journalisten. Geh nach Deutschland, mit deiner Frau Rösli, empfahl Blocher. Auf einem Christkindlmarkt soll er den Kopf leeren, in einem schönen Hotel sich entspannen, die warmen Düfte von Lebkuchen, Kerzenlicht und Glühwein geniessen.
Blocher zu SonntagsBlick: «Rösli schaut jetzt gut zu ihm.»
Wann Zuppiger zurückkehrt, weiss der SVP-Vizepräsident nicht. Vorgesehen sei, dass der Gewerbeverbandspräsident am Mittwoch bei den Bundesratswahlen im Parlament mitwählen wird.
Noch am Donnerstag wähnte sich Zuppiger dort, wo er immer hinwollte, wo er aber nie wirklich ankam – im Dunstkreis von Christoph Blocher. Es war die Nähe zum Jahrhundertpolitiker, die Zuppiger seit Jahren suchte. Immer wieder glaubte er, Blocher endlich nahe zu sein, doch immer wieder hielt der ihn auf Distanz. Weder für das Amt des Regierungsrats noch für den Ständerat war Bruno Zuppiger dem Herrliberger gut genug.
Zuletzt aber glaubte der Hinwiler, doch noch ans Ziel zu gelangen. Er, der konziliante SVP-Mann, würde für die «Sünneli»-Partei den zweiten Sitz im Bundesrat zurückholen – und für Blocher die Schmach sühnen, die ihm das Parlament mit der Abwahl vor vier Jahren beschert hatte. Gelänge ihm das, glaubte der Hinwiler insgeheim, dann wäre ihm der Platz an der Seite Blochers sicher. «Bruno hat immer um die Anerkennung von Herrliberg gekämpft», sagt einer, der an Zuppigers Seite gearbeitet hat. «Jetzt hat er sie fast gehabt – und wird wieder weggestossen.»
Darüber denkt Zuppiger jetzt am Christkindelmarkt in Deutschland nach. Und warum ihn der eigene Ehrgeiz so sehr geblendet hatte – nie hätte er mit dieser Vorgeschichte ins Rennen um den Einsitz in die Landesregierung steigen dürfen.
Es ist Samstag in der Früh. Die Delegierten der SVP machen sich auf in die Romandie, ins Waadtländer Dörfchen Chamblon VD. Nur ein Thema gibt es im Bus, der von Yverdon-les-Bains ans Ziel führt.
Nein, nicht Bruno Zuppiger bestimmt die Gespräche, es ist die grosse Feindin Eveline Widmer-Schlumpf. Wüste Beschimpfungen wie «Miststück», «miese Hexe» oder «beliebig ersetzbar» sind Kraftausdrücke, die fallen. Damit verdrängen die Delegierten der SVP die eigene Ohnmacht. Beste Chancen auf eine Wiederwahl hat die BDP-Bundesrätin, wissen sie. Daran ändern dürfte der Tenor in Chamblon wenig, sie hätte als Verräterin kein Anrecht auf einen Platz in der Regierung. «Sie muss den Sitz räumen.»
Trist wirkt die Kaserne von Chamblon, ein grauer Bau im Niemandsland. Davor aufgereiht sind vier mobile Toiletten. Ein junger Parteigänger sammelt Unterschriften gegen das geplante Asylzentrum in Bettwil im Aargau. Seine Bögen sind voll, im Gegensatz zur Halle.
SVP-Präsident Toni Brunner begrüsst die Parteifreunde mit holprigen französischen Sätzen. Er droht mit dem Gang in die Opposition, sollte die SVP den zweiten Sitz in der Regierung nicht erhalten. Seine Partei, so Brunner, habe mit Hansjörg Walter und Jean-François Rime «hervorragende Kandidaten» für den Bundesrat.
Dann tritt der neu gekürte Bundesratskandidat Hansjörg Walter auf die Bühne. Von einem Blatt liest der Präsident des Bauernverbands einen französischen Text ab. Kein Wort hätten sie verstanden, sagen Westschweizer Journalisten.
Walter stellte Bedingung
Auf Deutsch sprach Walter zu SonntagsBlick.
Herr Walter, wir gratulieren.
Hansjörg Walter: Zu was?
Sie alleine – und nicht die SVP-Chefs oder die Fraktion – entscheiden, ob Sie weitere Bundesratssitze attackieren, sollte es im zweiten Wahlgang gegen Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) nicht klappen.
Ja. Das stimmt. Das habe ich mit der Fraktion so ausgehandelt und abgemacht. Ich kann selber entscheiden, ob und wann ich mich aus dem Bundesratsrennen zurückziehe.
Dann sind Sie – im Gegensatz zu Jean-François Rime – nicht nur Bundesratskandidat, sondern gleichzeitig Chefstratege?
Die SVP-Strategie ist klar. Wir möchten die Konkordanz wiederherstellen und greifen deshalb den BDP-Sitz an.
Sie wollen die Zauberformel 2 FDP, 2 SVP, 2 SP und 1 CVP?
Ja. Das ist für mich Konkordanz.
Falls die FDP Sie gegen Widmer-Schlumpf nicht mehrheitlich unterstützt, wird Ihre Partei monieren, die FDP breche die Konkordanz – und Sie auffordern gegen Johann Schneider-Ammann anzutreten. Machen Sie mit?
Zeigen Sie mir, wo ich nachschauen kann, wie viele aus der FDP mich wählten. Sie wissen: Die Wahl ist geheim. Man weiss nicht, von wo die Stimmen kommen. Das kann man auch nicht einfach ungefähr abschätzen. Die FDP-Fraktion wird mich am Dienstag anhören. Ich gehe davon aus, dass mich ein Grossteil der FDP gegen Widmer-Schlumpf wählen wird. Es wird aber auch FDP-Parlamentarier geben, die mich nicht unterstützen.
Möglich, dass Sie gewählt werden, auch wenn Sie nicht offiziell gegen Schneider-Ammann antreten. Erklären Sie dann Annahme der Wahl?
Zum jetzigen Zeitpunkt sage ich klar: Nein. Wenn aber eine solche ausserordentliche Situation eintreten sollte, würde ich mit meiner Fraktion sprechen – aber auch das Gespräch mit der FDP suchen. Und hoffentlich würden wir gemeinsam einen Entscheid fällen. Denn dieses Szenario würde bedeuten: Das Parlament will eine andere Definition von Konkordanz. Und diesen Willen muss man respektieren. Johann Schneider-Ammann wäre in dieser Situation abgewählt – ob ich annehme oder nicht.
Als «sehr schlecht» beschreiben altgediente Schwergewichte der Partei die Art, wie die SVP-Führung die Bundesratswahlen angegangen ist. Das Trio Brunner, Baader und Blocher muss sich in der Partei schwere Vorwürfe gefallen lassen. Viel zu wenig hätten sie Zuppiger überprüft. Nun droht das Trio gar auseinanderzufallen. Baader gibt im Frühjahr die Leitung der Fraktion ab. Um Christoph Blocher, das ist klar, wird es ruhiger werden. Hüten wird er sich, zum Problemfall der SVP zu werden. Es geht um seinen Ruf. «Er muss aufpassen, dass er sich nicht lächerlich macht», heisst es aus den eigenen Reihen. «Er ist ein ehemaliger Bundesrat, und wie er sich jetzt aufführt, ist sehr unwürdig.»
Wut und Verletzung leiten Blocher. «Er ist immer noch verletzt wegen seiner Abwahl aus dem Bundesrat», sagte alt Bundesrat Adolf Ogi in einem Interview mit dem Westschweizer Magazin «L’illustré». «Die verletzten Tiere sind die gefährlichsten.»
Dann bringt er Kandidat Walter in den Bundesrat? Einerseits ist der Bauernpräsident als «linker SVP-ler» für die Linke ein valabler Kandidat. Vor drei Jahren unterlag er Ueli Maurer mit nur einer Stimme.
Etliche im Parlament erachten es aber als unwürdig, dass ihm nun das Amt des höchsten Schweizers nicht genügen soll. «Wer meint, er müsse als Nationalratspräsident als Kampfkandidat gegen ein amtierendes Mitglied antreten, macht ein politisches Offizialdelikt», sagt SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (BL).
Und, Herr Blocher, schafft es Walter? «Ich glaube es nicht», sagt er auf TeleBlocher.