“Gib immer alles und hoffe, es sei genug”

Vor 30 Jahren liess sich Marco Grob vom Queen- Sänger Freddie Mercury inspirieren. Heute ist der Schweizer einer der begehrtesten Fotografen der Welt.

Von Peter Hossli

5280995214_7019edb65dFliessend wechselt er zwischen Englisch und Schweizerdeutsch, der kräftige und grossgewachsene Mann, der am Stadtrand von Zürich ein Team emsiger Helfer dirigiert. Sie richten ein Studio für eine Foto- Session her. Marco Grob, der kräftige Mann, kümmert sich um jedes Detail. Weist einen Maler an, die Flecken auf der Leinwand zu übermalen. Stellt eigenhändig den Ventilator ein, damit die feuchte Farbe rechtzeitig trocknet.

Alles muss bereit sein, wenn in zehn Minuten Daniel Vasella kommt. Der Verwaltungsratspräsident des Pharmariesen Novartis – Jahresverdienst: 22,13 Millionen Franken – ist einer der 100 einflussreichen Schweizer, die Fotograf Grob für die «Schweizer Illustrierte» porträtiert. Das Ringier- Magazin feiert Ende Jahr das 100- Jahr-Jubiläum – und leistet sich für eine Sondernummer den derzeit gefragtesten Porträtfotografen.

Grob, 1965 geboren am Jurasüdfuss in Olten, lebt in New York und fotografiert alle, die Rang und Namen haben. Zu seinen Kunden zählen die US-Magazine «Time» und «New York Times Magazine», die grossen Studios in Hollywood, Konzerne wie Nike und Tag Heuer, die Uno. Barack Obama stand ihm vor der Linse, ebenso Hillary und Bill Clinton, Steve Jobs und Lady Gaga, Uma Thurman und Leonardo DiCaprio. Ist es für ihn nicht seltsam, wenn er jetzt für die «Schweizer Illustrierte» Vreni Schneider und Moritz Leuenberger fotografiert? Grob winkt ab. Die Frage irritiert ihn. «Jeder Job ist gleich wichtig.» Anders kann er nicht arbeiten.

Er trägt schwarze Hosen, dazu ein schwarzes T-Shirt. Die Schuhe, die er wie die anderen ausgezogen hat, sind schwarz, ebenso die Socken. Weiss leuchten nur die Stoppeln im heute noch nicht rasierten Gesicht. «Ein ideales Portfolio ist eines, bei dem man nicht sieht, wer der Kunde war», sagt Grob. Nimmt er die Kamera in die Hand, will er Bilder machen, die «in einem Buch, einem Magazin, auf einem Werbeplakat oder an der Wand eines Museums wirken.» Ob er nun Sir Elton John fotografiert oder den Bündner Vasella.

Grob wirkt angespannt, nervös. Er brauche diese innere Unruhe, um sich zu konzentrieren, sagt er später. Mit einem Witz versucht er das Team und vor allem sich selbst aufzuheitern. «Auch Vasella muss die Schuhe ausziehen – das wird bestimmt lustig.» Niemand lacht, alle sind beschäftigt. Das halbe Dutzend Helfer richtet hier noch eine Lampe, misst dort das Licht, schiebt ein Stativ an die passende Stelle.

Grob schlüpft in die Schuhe, schlurft in die Küche, löffelt ein Joghurt. Es klingelt. Vasella. «Okay, phones off», ruft Grob, Mobiltelefone abstellen. Das verlangte er von seinen Leuten im Weissen Haus, das verlangt er in der alten Zürcher Fabrik, die heute ein Fotostudio ist. Er behandelt alle gleich, «mit Respekt, aber distanziert», sagt er. Smalltalk weicht er aus. Fragen stellt er nicht. «Ich darf vor dem Shoot keine Beziehung aufbauen, sonst geht die Beziehung an der Kamera vorbei – und die Kamera ist in diesem Geschäft das einzig Wichtige.»

Nachher, wenn das Bild sitze, werde es oft schön. Eine halbe Stunde plauderte er mit Bill Clinton. Mit Jeff Bridges spielte er Klavier, mit Michael Douglas ass er drei Stunden zu Mittag.

«Grüezi», sagt Grob, drückt Vasellas Hand, wendet sich ab. Eine Assistentin führt den Manager in den Schminkraum. Nur zwei Minuten später steht er vor der Leinwand, natürlich mit Schuhen an den Füssen. Grob schnippt mit den Fingern. Alle eilen an die vereinbarten Positionen. An ein eingeübtes Ballett erinnert das Team. Alles geht schnell, wirkt nie gehetzt, nahtlos klappen die Übergänge.

Jetzt spricht nur noch der Fotograf, und der sagt wenig. «Ein bisschen runter.» «Sehr schön.» «Gut.» «Ja, das geht so.» Er drückt auf den Auslöser, zweimal, dreimal, achtmal. «Ja, sehr schön.» Dann noch zweimal. «Bereits fertig, und Sie sehen gut aus.» Vasella ist erstaunt, wie rasch es ging. Fotografieren andere stundenlang, reichen dem Solothurner zwei, maximal fünf Minuten. «Für ein authentisches Bild – und darum geht es mir – braucht es nicht mehr», sagt er. «Was nachher kommt, ist unecht.» Selten länger als zwei oder drei Minuten könnten Menschen aufmerksam sein. «Schaffe ich es nicht, in dieser Zeit echte Intimität einzufangen, gelingt es mir nie.»

Mit einem poetischen Bild beschreibt er die Arbeitsweise. «Vor mir brennt eine kleine Flamme, es weht ein heftiger Wind. Es ist meine Aufgabe, diese Flamme so lange abzuschirmen, bis sie von selbst erlischt.» Kurz redet er mit Vasella über die Kamera, eine digitale Hasselblad, dann dreht er sich ab, verabschiedet sich, spricht mit Tara Rice, seiner Assistentin. «Tara, kannst du die Bilder runterziehen?», bittet er. Sie legt sie auf dem Computer und zwei externen Festplatten ab. «Prüf, ob es Flecken hat», weist er sie an, «bitte.» Grob ist stets höflich. Weiss, die Menschen, mit denen er arbeitet, sind zentral. Er stösst einen Kaugummi in den Mund und reinigt die befleckte Linse.

Grob fotografiert, «weil ich etwas tun will, das grösser ist als ich selbst», sagt er, der grossgewachsene Mann. Bedeutsam waren für ihn die Bilder, die der Oltner Bub in den Magazinen der Mutter fand, einer Schneiderin, die «Harper’s Bazaar» und «Vogue» nach Hause brachte. Er begann als Assistent in Los Angeles, eröffnete ein Studio in der Schweiz, zog ab 2003 ohne Wohnsitz um die Welt, entschied sich schliesslich 2008, nach New York zu ziehen, «ins Mekka der Fotografie», so Grob. «Wenn du Pilot bist, gehst du in die Wüste nach Mojave, als Fotograf kommst du nach New York.» Älter als vierzig war er, als er in Manhattan ankam, dabei sagte ihm ein Freund schon vor 25 Jahren, er müsse nach New York und dort Porträts machen. Grob war der vorsichtige Schweizer, der sich lange nicht traute. War sich nicht sicher, ob Porträts nicht doch zu banal seien. Jahrelang lag sein Talent brach. Jetzt hat er Agenten in New York, in Südafrika, in der Schweiz. Der Agent in Moskau kümmert sich zusätzlich ums Geschäft in Asien.

Bis Anfang 2011 hätte er alle Aufträge angenommen, die ihn interessierten, erzählt er. Mittlerweile muss er Jobs aus Zeitgründen ablehnen. Zweihundert Tage ist er jedes Jahr unterwegs. Fotografiert für die UNO in Kabul. Porträtiert im Auftrag von «Time» 100 Persönlichkeiten für die Ausgabe zum 10. Jahrestag von 9/11. Reist für den US-TV-Sender HBO nach Südafrika, macht dort Bilder für das Werbematerial einer neuen TV-Serie. Immer dabei ist Tara Rice, eine junge Fotografin aus Virginia. Die Assistentin schlägt die Brücken zu den Agenten, die Grobs Aufträge produzieren. An etwas muss sie sich dabei halten: Rice darf Grob erst von einem Job erzählen, wenn dieser sicher zustande kommt.

Die Fotografie bringe ihn an Grenzen, sagt Grob. Wenn er in Afghanistan auf einem Minenfeld steht. Wenn er im Oval Office den US-Präsidenten bei der Arbeit beobachtet. Oder in der Gluthitze eines indischen Stahlwerks schwitzt. So schaffe er «Erinnerungen, die ewig halten.» Allein dafür lebe er, sagt er. «Die Bilder, die ich dabei mache, sind nur Nebenprodukte.»

Marco Grob über Marco Grob

«Ich wuchs in Olten auf, einem Kaff in der Schweiz. Mit fünfzehn absolvier- te ich eine Schnupperlehre bei einem Fotografen. Du hast kein Talent, sagte der Lehrmeister damals zu mir. Während meiner Lehre zum Maschi- nenbauzeichner arbeitete ich von 1980 bis 1984 als Stagehand bei Good News – als Weekend-Job. Ich empfand diese Zeit als Fenster zur Welt! Absolut grossartig – AC/DC, Queen, The Who … zum Anfassen. Freddie Mercury zuzuschauen, wie er alles gab, immer und immer wieder, das war Mindblowing und half mir meine Arbeitsethik zu entwickeln: Gib immer alles und hoffe, es sei genug. Und nimm dabei immer die Arbeit wichtig – doch nicht allzu sehr dich selbst.

Ich begann zu wandern. Assistierte in Los Angeles bei einer Fotografin. Betrieb ein Fotostudio, lebte in Südafrika, suchte. Anfang 2008 zog ich nach New York. Sieben Monate dauerte es, bis ich mein erstes Bild für den US-Markt machte – für das New York Magazine. Mein Durchbruch war dann ein Cover mit Hillary Clinton.»

Heute ist Grob für die Grossen tätig, «Time», «Vogue», «Vanity Fair», «Esquire», «GQ» und «Die Zeit». Stets lässt er sich vertraglich zusichern, welches seiner Bilder den Titel ziert. Zu seinen kommerziellen Kunden zählen TAG Heuer, Disney, Marvel Marvel Studios, Adidas, Nike und Louis Vuitton.