Von Peter Hossli und Roman Seiler
Am Dienstag senkt Denner die Preise seiner Mineralwasser aus Italien und Süsswasser um zehn bis 15 Prozent. Der Zürcher Weinhändler Bindella verkauft seinen Klassiker, den Chianti Villa Antinori, für Fr. 18.50: zwei Franken günstiger.
Das sind nur zwei von Hunderten Beispielen.
Der Euro und seit Mitte Jahr auch der Dollar schwächeln, weil die Anleger ihren eigenen Regierungen nicht mehr trauen. Sie trauen der Schweiz mit ihrer vergleichsweise tiefen Staatsverschuldung. «Gleichzeitig erholt sich die Konjunktur stärker», sagt Janwillem Acket, Chefökonom der Bank Julius Bär. «Deshalb halten sie die Anleger für einen sicheren Hafen.» Das treibt den Franken in die Höhe. Mit dem starken Franken kaufen die Detailhändler im Ausland günstiger ein.
Bei Denner sind zwölf Prozent des gesamten Sortiments heute billiger zu haben, bei Coop sind es 400 Artikel. «Ohne Früchte und Gemüse, bei denen wöchentlich Preisnachlässe weitergegeben werden», so Sprecherin Susanne Sugimoto. Migros habe die Preise 2010 um rund 160 Millionen Franken gesenkt, sagt Marketingchef Oscar Sager: «Wer bei der Migros einkauft, fährt also heute schon 2,5 Prozent günstiger als vor einem Jahr.» Und Bindella konnte laut Geschäftsleitungsmitglied Bruno Orlandi «die Preise bei zwei Dritteln der Weine nochmals um fünf und mehr Prozent» senken: «Obwohl wir ja unsere Löhne, aber auch die Transportkosten in Schweizer Franken bezahlen müssen.»
Der Euro-Effekt zeigt sich nicht nur bei Lebensmitteln und Getränken.
Bei Interdiscount gibts jetzt Canon-Produkte wie Kameras zehn Prozent günstiger. Wer bei Fust eine Küche bestellt, profitiert von tieferen Holzpreisen. Der schwedische Möbelhändler Ikea gibt sein gesamtes Sortiment zwei Prozent günstiger. Und Intersport bietet attraktive Preise bei seinen Eigenmarken.
Doch Schnäppchenjäger profitieren nicht nur in der kleinen Schweiz von den abstürzenden Dollar und Euro, dessen Kurs um 13 Prozent tiefer liegt als vor einem Jahr. Sie profitieren davon überall auf der Welt, wo mit diesen Währungen bezahlt werden kann.
Wer jetzt Städtetrips oder Strandferien auf den Kanarischen Inseln, in der Karibik oder auf den Malediven plant, verreist günstiger. Und kann sich vor Ort erst noch mehr leisten. Beispiel gefällig? Wer seine Weihnachtseinkäufe in New York macht, erhält dort den neuen iPod Touch 64 GB für 400 Dollar oder 404 Franken. In Zürich kostet das Gerät 529 Franken. Beim Kauf eines iPads lockt eine Einsparung von 200 Franken.
Am Oktoberfest in München gibts für Schweizer nicht nur billigeres Bier. Im Herrenmodegeschäft Hirmer ist ein Anzug von Hugo Boss zurzeit rund 250 Franken günstiger als an der Zürcher Bahnhofstrasse.
Das ist die Kehrseite der Euro-Schwäche. «Schweiz statt Geiz» ist out. Schweizer sagen sich: «Ich bin doch nicht blöd.» Sie machen sich schlau im Internet, vergleichen – und kaufen ennet der Grenze ein. Bei grösseren Anschaffungen wie einem Auto lassen sich schnell ein paar Tausender sparen.
Der starke Franken gefährdet Arbeitsplätze in der Exportindustrie. Dagegen lässt sich wenig machen.
Logisch: Je mehr der Franken wert ist, desto mehr kosten Schweizer Produkte im Ausland. «Für unsere Unternehmen ist das dramatisch», sagt Jean-Philippe Kohl, Chefökonom des Verbands der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem).
Es sei «eine Illusion», dieser Entwicklung begegnen zu können. «Die Nationalbank kann die Wechselkurse mit Interventionen nicht nachhaltig beeinflussen.» Da zwei Drittel der Exporte in den Euroraum gehen, ist das fatal.
«Die schockartige Abwertung des Euros um 10 bis 15 Prozent schlägt voll auf die Margen der Exportindustrie durch», sagt Janwillem Acket, Chefökonom der Bank Julius Bär. Mit einzelnen Aufträgen schreiben sie sogar Verluste, wie der Berner Unternehmer und SVP-Nationalrat Hansruedi Wandfluh klagt. Jetzt prüft er Preiserhöhungen. Doch das schmälert seine Konkurrenzfähigkeit. Zwei KMU kürzten Grenzgängern die Löhne. Andere kaufen mehr im Euro-Raum ein als in der Schweiz.
Verharrt der Euro bei einem Kurs um Fr. 1.30, dürften exportorientierte Industriefirmen wieder vermehrt Kurzarbeit einführen oder gar Arbeitsplätze abbauen, fürchtet Acket. Manche prüfen auch, Produktionsbereiche ins Ausland zu verlagern.
Das gelte es zu verhindern, so FDP-Nationalrat Otto Ineichen: «Notfalls mit Staatshilfe.» Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) solle eine Art Ausgleichskasse schaffen, aus der Lohnkürzungen bis zu fünf Prozent drei Monate lang abgefedert werden. «Bei den derzeit geringen Zinssätzen ist das finanzierbar.» Zudem regt Ineichen die Gründung einer Zentralstelle an, bei der kleinere Exportfirmen den Eurokurs absichern können: «Wenn die Grossbanken am Werkplatz Schweiz interessiert sind, müssen sie eine solche Versicherung schaffen.»
Betroffen ist auch die Tourismusbranche. «Die Hotellerie muss sich darauf einstellen, dass im Winter weniger Gäste aus den Nachbarstaaten kommen», sagt der Präsident des Branchenverbands, Guglielmo Brentel. «Im Einzelfall werden Hoteliers Personal abbauen.»
Möglicherweise bessere sich das Bild nach den US-Kongresswahlen und dem G-20-Gipfel der wichtigsten Wirtschaftsmächte im November, sagt Acket: «Dann kurbelt auch das Weihnachtsgeschäft den Konsum an, dann könnte sich auch der Franken abschwächen.»
2011 zählen 17 Länder zum Euro-Raum
Elf Länder führten 1999 den Euro ein. Heute sind 16 Staaten dabei: Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Holland, Finnland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern. 2011 kommt Estland dazu. Noten und Münzen kamen erst Anfang 2002 in den Umlauf. Damals kostete ein Euro Fr. 1.48. Entgegen allen Unkenrufen wurde der Euro immer mehr zum «Teuro», sowohl im Vergleich mit dem Dollar wie dem Franken. Mitte Dezember 2007 erreichte er mit Fr. 1.68 seinen Höchststand. Dann kam die Finanzkrise, und der Absturz des Euro begann: Heute ist er noch Fr. 1.32 wert.