Der Einsatz

Ein Plan wie aus einem James-Bond-Film. Was einige Bundesräte in Tripolis vorhatten, erschüttert die Schweiz. Die Details sind geheim. So aber hätte die militärische Geiselbefreiung gemäss Experten erfolgreich ablaufen können. Lesen Sie die Fiktion eines Reporters

Von Peter Hossli (Text) und Melk Thalmann (Illustrationen)

bundesratEs ist 21 Uhr und Neumond. Am Nachthimmel über der Sahara funkeln nur Sterne. Zwei dunkle Toyota Land­cruiser biegen von der Hauptstrasse P1 rechts ab. Die betonierte Piste verbindet die tunesische Wüstenstadt Ben Gardane mit der libyschen Grenze. Fahrer und Beifahrer haben ihre Köpfe mit weissen Tüchern umwickelt, die Gesichter sind eingeschwärzt. Ein satellitengesteuertes Navigationsgerät gibt die Route vor. In zehn Minuten werden sie in Libyen sein.

Zur gleichen Zeit auf dem Militärflughafen Solenzara auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika. Zwei Transportflugzeuge vom Typ Pilatus PC-6 Porter stehen startbereit nebeneinander. Ein letztes Mal überprüfen die Kopiloten die Turbinen. Die Tanks sind voll. Per Handzeichen signalisieren beide Piloten ihre Bereitschaft. «Ready to go», funkt der Kommandant nach Bern. «Bitte um Einsatzbefehl.» Der ist kurz: «Okay, go!»

Eine der spektakulärsten Aktionen der jüngeren Schweizer Geschichte hätte so beginnen können. Eine bewaffnete Geiselbefreiung in einem fremden Land, vollzogen von Schweizer Spionen. Sie hätten die gefangenen Geschäftsleute Max Göldi und Rachid Hamdani aus der Schweizer Botschaft im libyschen Tripolis herausgeholt.

Es kam nicht dazu. Warum? Das werden wir wahrscheinlich nie wissen. Vielleicht fehlte der Mut, vielleicht die Ausrüstung. Vielleicht entdeckte der libysche Geheimdienst die Pläne. Vielleicht war der Bundesrat zerstritten, fürchtete harsche aussenpolitische Folgen.

Sicher ist nur: Die Schweiz plante den Einsatz, dann sagte sie ihn ab. Die Geiseln kamen über diplomatische Wege heim. Nach fast zwei Jahren Haft. «Die Befreiungspläne unterstehen dem höchsten Staatsgeheimnis», sagt Botschafter Jacques Pitteloud auf Anfrage. Er hatte 2008 in Tripolis für den Einsatz sondiert. «Wer redet, begeht Hochverrat.»

Da er und alle anderen Mitwisser nicht reden, können wir bloss eine plausible Fiktion darlegen. Sie basiert auf Gesprächen mit Militärexperten, in- und ausländischen Geheimdienstlern und einem Ex-Kommandanten der Schweizergarde, der Bewacher des Papstes.

Es ist Mitte August 2008. Seit einem Monat sitzen Göldi und Hamdani in der Schweizer Botschaft in Tripolis fest. Der libysche Staatschef Muammar Gaddafi lässt sie nicht ausreisen – aus Vergeltung. Genfer Polizisten hatten Sohn Hannibal verhaftet. Zwei Bedienstete – eine Tunesierin, ein Marokkaner – verklagten ihn wegen Körperverletzung. Libyen verlangt eine Entschuldigung und die Einstellung des Verfahrens. Die Schweiz ist dazu nicht bereit. Noch nicht.

Es ist Montagmorgen, im Büro von Micheline Calmy-Rey. Die Aussenministerin trifft sich mit Staatssekretär Michael Ambühl. Sie besprechen die Libyen-Krise. «Was, wenn wir sie da rausholen?», wirft Calmy-Rey ein. Ambühl erachtet die Idee als «sicher prüfenswert».

Am Nachmittag lädt Calmy-Rey ihre sechs Kollegen zur Sondersitzung ins Bundesratszimmer. Sie vereinbaren höchste Geheimhaltung. Die Protokollführerin verlässt den Raum. Nach zwei Stunden zäher Gespräche sagt die Regierung Ja zu Calmy-Reys Anliegen, einen Sonderstab für eine erste Grobplanung zu formieren. Die sieben Bundesräte vereinbaren, dazu nichts zu dokumentieren, weder auf Papier, noch E-Mail oder SMS. Nur mündlich reden sie über die Mission, aber nicht am Telefon. Möglichst lange wollen sie den Kreis der Eingeweihten möglichst klein halten.

Sechs Leute gehören der Planungsgruppe an. Der Chef der Armee. Ein hoher Beamter des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Der Staatssekretär, der die Regierung informiert. Eine Historikerin, die den Maghreb bestens kennt. Ein Völkerrechtler. Eine Mathematikerin im Finanzdepartement, die ganz Bern mit ihren exakten und originellen Analysen fasziniert.

Der Bundesrat beschliesst, die Planungsphase über ein geheimes Budget zu finanzieren. Es ist dem NDB zugeordnet. Dessen Chef hatte es 1990 angelegt, nachdem die geheime Armee P 26 und der Nachrichtendienst P 27 mit der Fichenaffäre aufgeflogen waren.

An der ersten Sitzung der Planungsgruppe nimmt auch Calmy-Rey teil. Sie stellt zwei zentrale Fragen.

«Können wir das?»

«Dürfen wir das?»

Seit der Schlacht bei Marignano von 1515 hält sich die für ihr Söldnerwesen einst so bewunderte Eidgenossenschaft aus kriegerischen Konflikten im Ausland bewusst heraus. Auf dem Wiener Kongress von 1815 wurde der Schweiz die Neutralität anerkannt.

«Auch ein neutraler Staat hat das Recht, seine Bürger zu schützen», sagt der Jurist. «Haben die Leute die Lizenz zu töten?», fragt Calmy-Rey. «Es gilt, was in der Schweiz gilt – wenn sie angegriffen werden, dürfen sie sich wehren.» Gewalt ist erlaubt, solange sie «verhältnismässig» sei. Die Bundesrätin dreht den Kopf zum Armeechef. Der nickt zustimmend.

Calmy-Rey lässt der Planungsgruppe drei Wochen Zeit zu sondieren, ob die Schweiz einen solchen Einsatz leisten könnte.
Täglich trifft sich der Sonderstab in einem abhörsicheren Raum. Zu spüren ist die Entschlossenheit, etwas zu tun. Ideen kreisen um den länglichen Holztisch. Ein angemieteter Helikopterträger könnte vor Tripolis ankern, sagt einer, «bis Gaddafi die Geiseln laufen lässt».

Schweizer Grenadiere könnten mit einem Schiff, das unter Schweizer Flagge segelt, nach Libyen gelangen und gewaltsam zuschlagen. Der Armeechef überlegt, die ­US-Privatarmee Blackwater anzuheuern. Diese fiel durch besondere Brutalität im Irak und in Afghanistan auf.

Der Geheimdienstler will lieber die legendäre israelische Spionageabteilung Mossad einspannen. Oder den tschechischen Geheimdienst. «Beide haben genug intelligente Spione.»

Söldner anzuheuern, widerstrebt dem Bundesrat. «Wir müssen es alleine hinkriegen», sagt Calmy-Rey.

Zwei Ideen bleiben. Eine offene und laute Militäraktion, ein «Big Bang», durchgeführt von Grenadieren des Armee-Aufklärungs­detachements 10 (ADD 10). Die im Tessin stationierte Rambo-Truppe ist spezialisiert auf die Rückführung von Schweizern aus dem Ausland.

Oder eine leise, unentdeckte Exfiltration der Geiseln. «Uns fehlt das Material und die Erfahrung für militärische Angriffe», sagt der Armeechef. Es droht das Himmelfahrtskommando, ein Blutbad in Tripolis.

Eine verdeckte Mission sei «sinnvoller», sagt die Mathematikerin. «Wir brauchen keine Haudegen, sondern intelligente Spione, die Nord­afrika verstehen.» Nicht ungestüme Jungs, eher Männer mit Grips.

Der leise Einsatz muss bald erfolgen. Noch befinden sich die Geiseln ja in der Schweizer Botschaft. Nur sporadisch bewacht der libysche Sicherheitsdienst das Gebäude. Und die Libyer trauen es der Schweiz kaum zu, Göldi und Hamdani eigenhändig zu befreien.

Der Entscheid fällt. Alle Bundesräte tragen ihn. Nachts sollen die Schweizer von Tunesien aus auf dem Landweg nach Libyen eindringen. Vier Agenten holen die Geiseln und das verbliebene Botschaftspersonal in Tripolis ab und fahren nach Tunesien zurück. Von dort fliegen sie sie aus.
Die Aktion, ist klar, wird teuer. Von anfänglich 10 Millionen steigt das Budget auf 30, zuletzt auf 50 Millionen Franken.

basisDer Geheimdienst sucht vier Personen, die Arabisch sprechen, blitzgescheit sind, vernetzt denken, die selbstsicher auftreten, die unter hohem Stress hohe Leistung bringen.

Nach fünf Wochen steht das Team. Es sind alles Männer zwischen 30 und 45. Jeder erhält einen Codenamen. Max. Rico. Paul. Hans.

Rico, 37, lebt in Damaskus, ist militärischer Attaché in der Schweizer Botschaft in Syrien.

Max, 45 und im Militär ein Hauptmann, arbeitete lange Zeit als ­Private Banker in Saudiarabien, entschied sich mit vierzig zum Karrierewechsel. Er trat dem militärischen Nachrichtendienst bei.

Hans, 35, ist freier Journalist. Jahrelang berichtete er an der Front über den Konflikt im Nahen Osten. Durch seine Frau, eine palästinensische Israelin, hat er die Sprache und die Kultur kennengelernt.

Paul, ein Romand und mit 30 der Jüngste, verliebte sich auf einer Australienreise in eine Marokkanerin. Er ist mehrfacher Schweizer Meister im Orientierungslauf. An der Universität Genf studiert er arabische Philologie. Sein Vater ist mit dem Armeechef befreundet.

Der Kommandant der ADD 10 wählt derweilen sechs Grenadiere für eine «noch geheime Mission» aus. Sie werden den Spionen helfen, in der tunesischen Stadt Ben Gardane das Basislager anzulegen.

Der Kalte Krieg ist vorbei, und das hat manches erleichtert. Bei einer Geheimdienstaktion geht es nicht mehr zuerst um sowjetische und amerikanische Interessen, wie etwa bei der Befreiung der Lufthansa-Maschine «Landshut» im Oktober 1977. Die Schweiz informiert vorerst nur die USA und Frankreich. Beide Länder zeigen Verständnis. Zumal sie selbst nicht davor zurückschrecken, ihre Landsleute bei Geiselnahmen gewaltsam zu befreien.

Es ist jetzt Ende September 2008. Die Planung geht zügig voran. Doch zwei Bundesräte zögern. Einer will den Einsatz sogar abblasen. Schliesslich ordert Calmy-Rey an, ihn so zu planen, dass er jederzeit und ohne Folgen gestoppt werden kann.

Staatssekretär Ambühl fliegt nach Tunis. Die Geiselbefreiung funktioniert nur, wenn Tunesien die Schweizer gewähren lässt. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten ist jedoch getrübt. Tunesien führte 2005 für die Uno einen Kommunikationsgipfel durch. Damals rügten Schweizer Politiker die mangelnde Meinungsfreiheit im nord­afrikanischen Land. Tunesien reagierte beleidigt.

Ambühl übergibt dem tunesischen Aussenminister ein Schreiben von Calmy-Rey. Sie entschuldigt sich, ohne das Gesicht zu verlieren. Ambühl verspricht erleichterte Einfuhren für tunesische Textilien.

Er erhält, was er will – die Erlaubnis, Ende Oktober zwei Pilatus-Porter auf einem verlassenen Flugfeld westlich von Ben Gardane zu landen, auftanken zu lassen und wieder zu starten. Ingenieure der US-Army hatten den Landeplatz während des Zweiten Weltkriegs angelegt. Alliierte Warhawk-Fighter starteten im März 1943 von hier aus.

Höchstens dreissig Minuten, verspricht der Staatssekretär, werden sich die Schweizer Flieger auf tunesischem Boden aufhalten.

Der Kreis der Mitwisser wächst. Allerdings wissen die sechs Grenadiere nicht, warum sie Anfang Oktober in Zivil nach Tunesien fliegen. Als Touristen reisen sie ein. Ein Schweizer Geschäftsmann, der in Tunis ein Hotel betreibt, holt sie mit einem Kleinbus ab. «Mein Name ist Meier», sagt er. Meier war Major.

Neun Stunden dauert die Fahrt nach Ben Gardane, einer verschlafenen, staubigen Stadt in der Nähe der libyschen Grenze. Sie zählt rund 60000 Einwohner. Ein idealer Ort, um ungestört die Gegend zu erkunden. Meier hat ein vierstöckiges Haus gemietet. Es ist spartanisch eingerichtet mit Pritschen und Metalltischen, Strom und Wasser.

Zwei Tage nach den Grenadieren treffen Max, Paul, Hans und Rico ein. «Wir bauen hier ein Basislager auf», klärt Max auf, der Banker. Max leitet die Operation.

Nur mit Bargeld – druckfrischen, gebündelten 20-Dollar­Noten – sind die Schweizer angereist. Was sie brauchen, beschaffen sie sich vor Ort. Meier, er lebt seit dreissig Jahren in Tunis, ist ihr Verbindungsmann. Er besorgt Laptops und eine tragbare Funkanlage.

Bei einem zypriotischen Autohändler kauft Hans zwei alte Toyota Landcruiser, dazu vier Blechkanister, die je fünfzig Liter Benzin fassen. Ein serbischer Waffenhändler – er lebt in Marokko und kennt die Freundin von Paul – besorgt vier kleinkalibrige Maschinenpistolen. Sie basieren auf Luftdruck, töten lautlos – bis zu einer Distanz von zehn Metern. Rattenfänger setzen sie ebenfalls ein. Der Serbe bringt die angeforderten Pfeffersprays und Taser. Das Elektroschockgerät macht im Nahkampf jeden Gegner handlungsunfähig, ohne ihn zu töten.

Meier versorgt die Schweizer mit Lebensmitteln – lokale Speisen wie Couscous und Lamm. Für den Einsatz beschafft er Müesliriegel, Verbandszeug und Schmerzmittel, Handschellen aus Plastik und Seile.

Nachts erkunden die Spione das Grenzgebiet. Mehrmals fahren sie bis zu zwanzig Kilometer ins libysche Landesinnere. Unentdeckt bleiben sie dabei nicht. Russische und amerikanische Aufklärungssatelliten sehen: Die Wüste lebt. Das EDA muss neben Washington nun noch Moskau aufklären. Die Russen halten dicht.

Samuel Schmid reist nach Paris. Der Verteidigungsminister bespricht mit seinem französischen Amtskollegen die Möglichkeit, im Sommer 2009 auf Korsika mit der Schweizer Luftwaffe zu trainieren. Geeignet wäre der Flugplatz Solenzara im Osten der Insel. Die Übungsflüge sind ein Vorwand für ein geheimes Gespräch. Schmid will Ende Oktober zwei Pilatus-Porter in Solenzara landen und auftanken lassen. «Sie wissen, worum es geht», sagt er. «Oui», antwortet der Franzose, steht auf und salutiert. «Bonne chance, mon ami.»

Die Geiseln Göldi und Hamdani harren noch in der Botschaft in Tripolis aus. Wissen nicht, ob und wann sie ausreisen dürfen. Hamdani erkrankt. Psychische Probleme. Währenddessen lässt Gaddafi verbale Attacken auf die Schweiz los. Einmal will er das Land den Deutschen und den Franzosen verschachern, dann verunglimpft er die Schweiz als kriminell. Fünf Schweizer arbeiten noch in der Botschaft in Libyen. Ihre Familien haben nach der Geiselnahme das Tripolis verlassen.

Der Botschafter erhält aus Bern die Anweisung, das libysche Personal in den nächsten Tagen früh heimzuschicken. In der letzten Oktober-Woche, lautet der Befehl aus Bern, übernachten die Schweizer in der Botschaft.

botschaftAm Dienstag, 28. Oktober 2008, ist Neumond. Die dunkelste Nacht im Oktober. Es ist kurz vor 20 Uhr im westlichen Flügel des Bundeshauses. Calmy-Rey sitzt in ihrem Büro. Das Telefon klingelt. Es ist Max. «Wir sind bereit», sagt er. Calmy-Rey blickt Staatssekretär Ambühl in die Augen. Er sagt nichts. «Allez!», befiehlt die Aussenministerin. Ambühl verlässt den Raum. Mit codierten Nachrichten visiert er die Schweizer Botschafter in Algier, in Tel Aviv und Kairo an.

Ambühl erteilt den «dringenden Befehl», sämtliche Termine abzusagen und den Botschaftsfunk offenzuhalten. Warum, sagt er nicht. Sie sollen es in sechs Stunden erfahren, wenn der Einsatz vorbei ist.

Ben Gardane, Tunesien. Zwei Toyota Landcruiser mit libyschen Kennzeichen lassen die Lichter der Stadt hinter sich. Max und Paul sitzen im vorderen Wagen. Hans und Rico teilen sich den hinteren. Ihre Gesichter sind schwarz geschminkt. Sie tragen weisse Tuareg-Turbane auf dem Kopf und haben französische Pässe bei sich.

Pfeffersprays und Taser sind am Gurt befestigt, die Pistolen liegen auf dem Rücksitz unter einer Wolldecke. Die Schweizer Spione folgen der Route, die ihnen das Navigationssystem vorgibt. Nach einer Stunde Fahrt überqueren sie die libysch-tunesische Grenze. Tripolis ist 170 Kilometer entfernt. Sie fahren an einer Tuareg-Karawane vorbei. Niemand schöpft Verdacht.

Kurz nach Mitternacht erreichen sie die westliche Stadtgrenze von Tripolis. Die Strassen sind menschenleer. Der Konvoi stoppt neben einer Moschee. Rico und Paul füllen die Tanks nach.

Es ist ein Uhr früh in Tripolis. Zur gleichen Zeit heben in Solen­zara zwei weiss bemalte Pilatus-Porter ab. Sie wollen in vier Stunden auf dem Flugfeld Ben Gardane aufsetzen. Die 1000 Kilometer schaffen die Propellermaschinen.

Die Schweizer Botschaft in Tripolis liegt am stark befahrenen Boulevard Shari al Jarabah. Drei Stockwerke, aus Beton gebaut. Eine hohe, gelb bemalte Mauer umgibt Hof und Garten. Innen wachsen Palmen.

Der Botschafter weckt zuerst sein Personal, dann die beiden Geiseln. «Beeilt euch, wir fliehen!», sagt er. «Wir werden in zwanzig Minuten abgeholt.» Sie lassen alles zurück, auch die Reisepässe. Wichtige Dokumente sind zerstört.

Nach dem Tankstopp am Stadtrand trennen sich die Fahrzeuge. Max und Paul fahren über den Boulevard Shari Al Nasr an der Bibliothek und der bulgarischen Botschaft vorbei. Sie kommen von Norden zur Kreuzung, an der die Schweizer Botschaft steht. Wenige Sekunden darauf und exakt zur vereinbarten Zeit – um 01.22 Uhr – trifft von Süden her der Landcruiser mit Rico und Hans ein.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Der Botschafter öffnet das eiserne Tor. Die Autos fahren in den Hof. Die Spione steigen aus, die Waffen gezückt. Göldi steigt zusammen mit drei Botschaftsangestellten bei Max ein. Hamdani, der Botschafter und der Militärattaché gehen zu Hans. Paul, der Romand, schliesst das Tor. Die Toyotas fahren weg.

Im Auto binden sich die Zugestiegenen Tücher um und schwärzen ihre Gesichter. Sie sprechen kaum. Nach 200 Kilometern legen sie einen Stopp ein. Paul und Rico giessen erneut Benzin nach. Max und Hans verteilen Müesliriegel und Wasser. Dann fahren sie weiter.

Es ist kurz vor fünf Uhr. Noch ist das Ben Gardane Airfield dunkel. Hotelier Meier lenkt eine rote Mercedes-Limousine auf das Flugfeld. Hinter ihm fahren fünf alte Peugeots und ein Tanklaster, gesteuert von den Grenadieren des Armee-Aufklärungsdetachements 10. Die Autos stellen sich im Abstand von hundert Metern entlang der Piste auf und drehen die Scheinwerfer auf Volllicht. Sie markieren die Landebahn.

landungVon weitem erblicken die Porter-Piloten die grellen Lichter. Sie senken ihre Flugzeuge zum Landeanflug. Die Landcruiser sind seit fünf Minuten hier. Die Grenadiere tanken die Flugzeuge, helfen Geiseln und Botschaftsangestellten in die Maschinen, steigen zu. Zuletzt gehen die Spione an Bord. Das Material – Autos, Pistolen und Taser, die Munition, die Plastikhandschellen – lassen sie da. Meier entsorgt es.

Er winkt, als die Pilatus-Flieger nach nur 197 Meter Anlauf steil in den Himmel stechen. Vier Stunden später landen sie auf Korsika. Göldi und Hamdani steigen in den wartenden Bundesrat-Jet um. Abends treffen sie in Bern ein. Die Grenadiere fliegen ins Tessin. Jegliche Spur von Max, Paul, Hans und Rico verliert sich in Genua.

Zwei Tage später stellen sich die Geiseln der Presse. An deren Seite stehen die sieben Bundesräte. «Wir sind glücklich, sie zurückzuhaben», sagt Calmy-Rey. Wie sie kamen, sagt sie nicht. Geheimsache. «Non», sagt sie auf die Fragen eines welschen Journalisten, «Schüsse sind nicht gefallen.»