Nelson Mandela

Weil er schwarz ist, sass er 27 Jahre im Gefängnis. Nie hegte er Rachegelüste. Nahtlos schaffte er den Übergang vom Krieger zum Märtyrer, vom Diplomaten zum Staatsmann. Jetzt rollt dank ihm der WM-Ball in Afrika.

Von Peter Hossli

mandelaSeit wenigen Stunden erst war Nelson Mandela ein freier Mann. Ein Vierteljahrhundert hatte ihn das Apartheid-Regime weggesperrt. Nun stoppte er das Auto auf dem Weg vom Zuchthaus nach Kapstadt. Er stieg aus, ging auf das weisse Paar zu, das mit zwei Kindern am Strassenrand auf seinen Konvoi gewartet hatte. Mandela kniete nieder, umarmte die Kleinen, schüttelte die Hände der Eltern. Er lächelte. Die Geste, vollzogen am 11. Februar 1990, war spontan, symbolträchtig – und versöhnlich.

Typisch ist sie für die «bedeutendste Figur des 20. Jahrhunderts», wie Schriftstellerin Nadine Gordimer Mandela beschreibt. Als junger Mann schon stemmte er sich gegen die unfassbare Unmenschlichkeit in Südafrika. Wofür er eine lebenslängliche Haftstrafe erhielt. In einer engen Einzelzelle sass er sie ab. Einen einzigen Brief durfte er alle sechs Monate schreiben. Trotz gröbster Erniedrigungen dürstete er später nie nach Rache. Siegen sehen wollte er alle Südafrikaner. Peiniger wie Opfer vereinte er an der sondergleichen Wahrheits- und Versöhnungskommission. Was das befürchtete Blutbad abwandte.

Einen «weltlichen Heiligen» nennt ihn US-Journalist Richard Stengel, der seine Memoiren mitverfasste. Als Präsident übernahm Mandela 1994 ein gespaltenes wie marodes Land. Gleichwohl gelang ihm der Übergang von der Diktatur zur Demokratie – weil er selbstlos führte, nie mehr versprach, als er erfüllen konnte, stets das humanis­tische Ideal einer gerechten Gesellschaft vor Augen hatte. Sein langer Weg in die Freiheit – er kam 1918 zur Welt – mündete letzten Freitag im Beginn der Fussball-WM. Wegen Nelson Mandela rollt der Ball in Afrika.

Die Schweiz besuchte der Hoffnungsträger im Juni 1990. Anstelle eines Diplomaten begleitete ihn ein Praktikant. Freundlich, aber bestimmt sagte der Südafrikaner dem damaligen Aussenminis­ter René Felber, die Schweiz hätte das Apartheid-Regime jahrelang gestützt. Als eines der wenigen Länder hatte sie sich nicht an wirtschaftlichen Sanktionen beteiligt. Felber beeindruckte die ­direkte Art. Die anfänglich rüden Schweizer Diplomaten halfen südafrikanischen  Juristen, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten. Wissen wollte Mandela von der Schweiz vor allem eins – wie schafft man dauerhaft Stabilität?

Gut gelaunt empfing er im September 1994 den neuen EDA-Chef Flavio Cotti in Kapstadt. «Was ist zu tun, wenn ein Schweizer Banker aus dem Fenster springt?», witzelte Mandela. «Man springt ihm nach, es gibt sicher etwas zu verdienen.» Cotti erstarrte. Mandela nutzte die Schwäche und drängte ihn, sich für Schweizer Investitionen in Südafrika einzusetzen. Cotti konnte nicht anders.

Unvergleichlicher Charme war nur eine der Gaben, die Mandelas einzigartige Führungsqualität ausmachte. Blendend verstand er es, junge Talente zu fördern und Feinde zu umgarnen. So, wusste er, kontrollierte er sie. Mit Gefängniswärtern freundete er sich an. Politiker, die ihn schuldlos hinter Gittern hielten, holte er in sein Kabinett. Wie wichtig elegante Kleider sind, erkannte er früh. Mit dem ersten Lohn als junger Anwalt liess er sich in den 50er-Jahren einen Massanzug schneidern. Als er das Gefängnis verliess, trug er eine perfekt gebundene Krawatte, ein frisch gebügeltes weisses Hemd. Nicht wie ein gebrochener Häftling, stolz wie ein Staatsmann sah er aus.

Bei einer Propellermaschine mit Mandela an Bord war einst ein Motor ausgestiegen. Es brach ­Panik aus. Stoisch las Mandela die Zeitung. Was den Pilot ermutigte, das Flugzeug sicher zu landen. «Mann, hatte ich Angst», gestand er später. Sein eiserner Wille, stets ein Vorbild zu sein, triumphierte über jede Furcht.

Nach Luxus lechzte er nicht. Macht – für afrikanische Herrscher oft das Lebenselixier – missbrauchte er nie. Nach nur einer Amtszeit trat der Präsident 1999 ab und machte Platz für andere. Fortan schärfte Mandela weltweit das Bewusstsein für Armut.

Seit ihn seine Beine nicht mehr sicher tragen und im Gedächtnis erste Lücken klaffen, lebt er zurückgezogen. Nur noch selten tritt er öffentlich auf. Dem Sportfan wird aber bei jedem WM-Spiel ein ­Lächeln auf den Lippen liegen.