Interview: Peter Hossli Fotos: Charly Kurz
Herr Staatssekretär Maurer, können Sie denn schwimmen?
Peter Maurer: Ja. Warum die Frage?
Hannibal Gaddafi sagt, er wolle Ihre Chefin Micheline Calmy-Rey in den Genfersee werfen. Vielleicht müssen Sie sie ja retten.
Ich denke, sie kann auch schwimmen.
Warum entgleist Diplomatie derart?
Das tut sie nicht. Bei solchen Äusserungen kann man nicht von Diplomatie reden.
Sie verlassen einen der begehrtesten Jobs in der Schweizer Diplomatie und wechseln von New York nach Bern. Ist das ein Abstieg?
Auf- und Abstiege sind immer relativ. Privat werde ich in Bern weniger Spielraum haben als in New York. Als Diplomat und im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten mache ich aber sicher keinen Abstieg.
Hier in New York waren Sie ein hoch geachteter Botschafter auf internationalem Parkett. Jetzt gehen Sie in die bilaterale Welt. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Es ist kein fundamentaler Wechsel. Es ist nicht so, dass ich hier nur multilateral tätig war und in Bern nur bilateral. Die Bereiche lassen sich nicht mehr trennen, selbst an der Uno nicht.
Leute aus Ihrem Umfeld erwarteten einen Wechsel in die Privatwirtschaft. Warum lagen sie derart falsch?
Sie lagen nicht falsch. Es ist immer eine Option für mich gewesen, Diplomat zu bleiben oder etwas anderes zu tun.
Warum bleiben Sie Diplomat?
Ich mag den Beruf und arbeite sehr gerne im internationalen Umfeld. Es gäbe aber verschiedene Orte und Funktionen, wo ich nützliche Arbeit machen könnte.
Ihr internationales Beziehungsnetz ist immens. Viele Konzerne hätten dafür sicher viel bezahlt. Reizte Sie das nicht?
Geld hat mich noch nie gelockt. Sonst wäre ich nicht in der Verwaltung tätig. Wer sehr schnell sehr viel Geld verdienen will, sollte nicht Diplomat werden. Das bin ich seit fast 25 Jahren, und zwar gern.
Dann war nicht Eigennutz, sondern patriotische Pflicht der Grund, das Amt des Staatsekretärs anzunehmen?
Patriotische Pflicht? Das sind grosse Worte. Ich bin interessiert an der Schweiz und an internationalen Beziehungen. Ich will das Verhältnis der Schweiz zur Welt mitgestalten. Es ist schön, eine weitere Aufgabe zu erhalten, die sich mit meinen Interessen deckt.
Was bedeutet Ihnen die Schweiz?
Die Schweiz ist für mich – das ist ein pathetisches Wort – Heimat. Sie ist das Land, das meine Identität bestimmt. Ihre politische Kultur ist ausserordentlich. Für dieses Land und dieses politische System bin ich gerne tätig. Ich bin gern Bürger eines Landes mit verschiedenen Sprachen und kultureller Vielfalt. Das Land ist innovativ und geht Probleme pragmatisch an, entgegen dem Klischee, konservativ zu sein. Es fasziniert mich, wie auf diesem kleinen Flecken Welt mit wenigen Leuten enorm viel wirtschaftliche und politische Gestaltungskraft zusammenkommt. All diese Stärken versuche ich in die Welt zu tragen.
Sie machen das so fleissig und engagiert wie kaum ein anderer Staatsangestellter. Arbeitstage von 20 Stunden sind bei Ihnen keine Ausnahme. Warum rackern Sie sich ab für die Schweiz?
Warum ist man, wie man ist?
Okay, was treibt Sie an?
Ich betrachte mich als privilegiert, weil ich eine Arbeit tun darf, die mich fasziniert. Das motiviert mich. Da ich überzeugt bin von dem, was ich mache, ist es kein Problem, viel zu arbeiten.
Sie sagten mir in einem Interview vor drei Jahren, pro Nacht nicht mehr als vier Stunden zu schlafen. Das sorgte damals für Schlagzeilen. Werden Sie in Bern nun mehr schlafen können als in New York?
Nein. Warum auch? Es entspricht meinem Naturell, wenig zu schlafen. Es ist ja keine Heldentat. Ich schlafe einfach wenig. Viele haben damals meine Aussage falsch verstanden. Weder brüste ich mich damit noch zwinge ich mich dazu, wenig zu schlafen.
Durch Ihren Umzug von New York in die Schweiz wechseln Sie den geografischen und kulturellen Lebensmittelpunkt. Wissen Sie, worauf Sie sich da einlassen?
Vor ein paar Wochen hatte ich ein Erlebnis, das mir den vielleicht grössten Unterschied des Lebens in New York und der Schweiz verdeutlichte. Es regnete als ich morgens in den Central Park joggen ging. Mit einem «what a wonderful rainy morning» begrüsste mich der Doorman. Am Nachmittag flog ich in die Schweiz, am nächsten Morgen sass ich im Tram Richtung Wabern. Es regnete ebenfalls. Vor mir sassen zwei Männer. Einer sagte: «Die huere Seicherei.» Was in New York als wonderful gilt, ist in Bern ein Problem.
Sie mögen die PCs der Bundesverwaltung nicht. Hier in New York haben Sie einen privaten Mac verwendet. Wie umgehen Sie in Bern Windows?
Auch mit einem Mac. Ich werde meinen Mac von New York nach Bern zügeln.
Über Ihren Vorgänger Michael Ambühl heisst es, «wenn es brennt, holt man den Ambühl». Warum holt man Maurer?
Da müssen Sie meine Vorgesetzte fragen.
Was werden Sie anders machen?
Letztlich glaube ich nicht, dass Michael und ich sehr unterschiedlich sind. Wir haben unterschiedliche Biografien und leicht unterschiedliche Arten, die Welt zu sehen. Aber wir sind beide sehr angetrieben von der Gestaltung internationaler Beziehungen, von Interessenvertretung. Man kann diesen Job nur machen, wenn man die Schweiz gernhat und stolz ist auf dieses Land.
Sie sind seit 25 Jahren aussenpolitisch tätig. Was ist eigentlich Aussenpolitik?
Internationale Beziehungsgeflechte – ob man Globalisierung oder Interdependenz sagt – werden immer bedeutender. Jedes Land muss sehen, wie es seine Beziehungen zur internationalen Welt gestaltet. Zwischen dem zu vermitteln, was politisch im Land artikuliert wird, und dem, was das internationale System an Interessen und Strukturen herstellt, ist die Kernaufgabe der Aussenpolitik. In diesem Spannungsfeld muss man Interessen vertreten, Ziele formulieren und Strategien entwickeln.
Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Welche Interessen hat die Schweiz?
Sie hat wegen ihrer Vielfalt vielfältige Interessen. Zum einen beruht das schweizerische System auf wirtschaftlicher Macht und wissenschaftlicher Innovation. Folglich geht es um wirtschaftliche Interessenvertretung.
Schweizer Aussenpolitik ist also Aussenwirtschaftspolitik?
Nicht nur. Die Schweiz hat ein eigenwilliges politisches System, das über Jahrhunderte gelernt hat, mit Konflikten umzugehen. Es liegt demnach im Interesse der Schweiz, dieses Wissen bereitzustellen. Sie macht sich so sichtbar und bringt politisches Kapital ein.
Stehen sich die beiden Interessen nicht im Weg? Neben der Wirtschaft hat Friedensförderung doch kaum Platz.
Die Vorstellung, die Interessen auf das eine zu reduzieren, ist nicht nur falsch. Es ist politisch dumm und gefährlich. Wer versucht, die Schweiz auf ihre wirtschaftliche Kraft zu reduzieren, vergisst die riesige Bedeutung der Investitionen in die Wissenschaft und den technologischen Fortschritt. Wer glaubt, wirtschaftliche Interessen unabhängig vom Umfeld zu vertreten, vergisst die Realität. Wertschöpfung geschieht auf stabilen internationalen Märkten, nicht in Krisenregionen.
Der Bundesrat legt die Aussenpolitik fest. In den letzten Jahren sind im Bundesrat Konsens und Konkordanz verloren gegangen. Ist da eine vernünftige Aussenpolitik überhaupt noch möglich?
Das schweizerische System ist nicht einfach. Letztlich zwingt es alle wesentlichen Akteure zur Kooperation. Schwindet diese Kooperationsbereitschaft, nehmen die Schwierigkeiten zu. Wir kommen nicht darum herum, immer wieder Konsens zu finden. Solange wir Referendum und Initiative haben – ich bin ein grosser Befürworter –, können wir nicht anders. Unsere Verfassung bedingt Konsens.
Die Politik entfernt sich aber davon.
Unser System braucht Leute, die Konsens nicht nur anstreben, sondern leben. Es ist gefährlich, wenn die Politik sich nicht bewusst ist, dass man mit Konsens sorgsam umgehen muss. Man kann nicht ohne Folgen eine polarisierende Politik machen, wenn das System nicht auf Polarisierung eingestellt ist.
Ist das ein schweizerisches Phänomen?
Die Polarisierung nimmt weltweit zu, selbst in einem System wie der Uno, das auf Konsens ausgerichtet ist.
Was bedeutet das für einen Diplomaten?
Er muss sich stärker anstrengen. Der Prozess ist arbeitsintensiver geworden. Man muss den Gegner besser verstehen und die Kernbeweggründe seines politischen Handelns ergründen. Das ist intellektuell und politisch schwieriger. Es erfordert verstärkten Kontakt mit den verschiedensten Kreisen. Aber ich sehe keine Alternative, weder an der Uno noch in der Schweiz.
Wer Schweizer Zeitungen liest, glaubt, das Image der Schweiz sei schlecht. Sie schauen von der Weltbühne zu. Haben wir wirklich keine Freunde mehr?
Das Trübsalblasen über das Schweizer Image kann ich nicht nachvollziehen.
Es ist aber eine Realität.
Viele Schweizer verfallen der Wehleidigkeit, sobald jemand Kritik übt. Wie bei jedem anderen Land gibt es bei der Schweiz Dinge, die man in internationalen Kreisen mag, und solche, die nicht ankommen. Gehe ich nach Frankreich, finde ich ja auch nicht alles generell toll oder generell schlecht. Aber wir scheinen unterhalb der generellen Begeisterung für die Schweiz nichts zu akzeptieren.
Die Schweiz macht sich stark für die Reduktion von CO2. Sie bekämpft die Terrorfinanzierung. Als fast einziges Land redet sie über Weissgeldstrategie. Sind wir der Musterschüler, den keiner mag?
Vielleicht sind wir über die Jahre Opfer einer einlullenden Rhetorik geworden. Bei uns muss immer alles sehr gut, ja das Beste sein. Manches, das in unserem Land wirtschaftlich und politisch gemacht wird, ist auch sehr gut. Es gibt aber Bereiche, wo eine Kluft zwischen Anspruch und Realität klafft.
Wo zum Beispiel?
Wir glauben, das humanitäre Zentrum der Welt zu sein. Es gibt andere Länder, die sich sehr stark in humanitären Fragen engagieren. Wir sind lange nicht mehr der wichtigste Beitragszahler humanitärer Organisationen.
Wenn die Schweiz politisch angegriffen wird – wie jüngst von den USA und Deutschland –, macht die offizielle Schweiz auf Abwehrstellung statt einfach mal die Hellebarde auf den Tisch zu legen. Sind wir zu wenig aggressiv?
Wir sind es uns zu wenig gewohnt, dass auf internationalem Parkett mit harten Bandagen gekämpft wird. Das braucht Übung und eine dicke Haut.
Warum können wir nicht hart sein?
Vielleicht, weil wir Jahrzehnte lang abseitsstanden. Jetzt sind wir überrascht von harten Forderungen. Dabei sind die nicht hart. Sie sind einfach, wie sie sind. Die Schweiz muss sich daran gewöhnen.
Reicht es denn, sich daran zu gewöhnen? Braucht es nicht mehr Gegenwehr?
Da haben Sie recht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass zur Diplomatie und zur internationalen Politik gewisse Spielregeln und Kommunikationsformen gehören, die nicht mit Samthandschuhen zu handhaben sind.
Sie haben die Mitgliedschaft der Schweiz bei der Uno gefestigt und als Botschafter viel erreicht. Was gelang Ihnen nicht?
Wieso sollte ich über mein Scheitern sprechen? Das wäre nicht in meinem Interesse. Kein Diplomat geht in eine Verhandlung oder in ein Interview und sagt, warum er gescheitert ist. Sie haben mir eben empfohlen, die Hellebarde auf den Tisch zu legen. Also: Meine Diplomatie ist immer erfolgreich.
Der japanische Uno-Botschafter sagt, das Uno-Engagement der Schweiz übersteige ihre Grösse. Das steht doch im Widerspruch zu dem, was die Schweizer wollen.
Solche pauschalen Aussagen erachte ich als gefährlich. Wer weiss schon, was die Schweizer wollen? Ich bin Uno-Botschafter gewesen und werde jetzt Staatssekretär. In beiden Ämtern setze ich die Aussenpolitik des Bundesrats um. Der Bundesrat will, dass wir die Interessen der Schweiz auf internationaler Ebene wahren, dass wir mit anderen zusammenarbeiten, Koalitionen schmieden, Initiativen ergreifen, dass wir die wirtschaftliche und wissenschaftliche Schweiz zeigen.
Die politische Rechte sagt, Schweizer interessierten sich nicht für Aussenpolitik.
Das widerspricht meinen Erfahrungen. Selbst wenn ich vor sogenannt konservativen Kreisen in scheinbar konservativen Orten über Aussenpolitik spreche, habe ich nie das Gefühl, die Leute seien per se isolationistisch. Sie stellen legitime und kritische Fragen. Ich frage mich auch, wie nützlich und effizient die Uno ist – häufiger als viele denken.
Pauschalurteile entstehen, weil die Medien gerne Politiker zitieren, die ihnen laute Schlagzeilen liefern.
Da nährt sich gegenseitig ein geschlossenes System. Es ist wie ein Faradayscher Käfig.
Warum ist die Uno weit entfernt davon, die zur Jahrtausendwende gesetzten Ziele zur Bekämpfung der Armut zu erreichen?
Das stimmt nicht. Es gibt viele Menschen, die seit der Verabschiedung der Millenniumsziele der Armut entkommen sind. Das geht auf die Entwicklung der Märkte, die Anstrengungen der Uno und der betroffenen Länder zurück.
Die Armut wurde vor allem in Indien und China reduziert.
Sind Indien und China etwa nichts? Wir haben in Asien eine enorme Entwicklung gesehen. Ebenso in Lateinamerika, auch wenn sie etwas fragiler ist.
Dort, wo die Armut am grössten ist, bleiben die Erfolge aus – in Afrika.
In Sub-Sahara-Afrika haben wir die Ziele nicht erreicht. Aber das Bewusstsein, was dort gemacht werden muss, ist heute geschärft. Friedenskonsolidierung in Sub-Sahara-Afrika ist die grosse Aufgabe der nächsten Jahre.
Sie kamen als Befürworter der EU nach New York. Als Uno-Botschafter stellten Sie fest, dass Sie bei multilateralen Verhandlungen als Nichtmitglied freier sind. Wo stehen Sie heute?
Für mich als Historiker ist das europäische Einigungsprojekt weit mehr als ein ökonomisches Projekt. Die Gründung wie die Entwicklung der europäischen Union ist ein riesiger Fortschritt in der Zivilisationsgeschichte Europas. Es ist ein Friedensprojekt für den europäischen Kontinent. Dafür ist meine Sympathie gross.
Für Ihre Arbeit in New York war es aber ein Vorteil, nicht der EU anzugehören.
Das ist eine andere Ebene. Als Nichtmitglied habe ich es geschätzt, in New York ungebunden die schweizerische Politik zu gestalten. Allerdings habe ich viel Zeit und Energie verwendet, die schweizerische Interessenvertretung gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn zu gestalten.
Einer Ihrer Vorgänger, Franz von Däniken, hat gesagt, er wäre länger Staatssekretär geblieben, wenn es eine klare EU-Linie des Bundesrats gegeben hätte. Wie wichtig ist das für Sie?
Die Gestaltung unseres Verhältnisses zur europäischen Union gehört zum Kernbereich dessen, mit dem ich mich inskünftig stärker werde befassen müssen. Es ist per se wichtig.