Newsroom

Die Medienwelt ist global, digital und mobil geworden. Stets schneller drehen die Nachrichten. Überall und pausenlos wollen Leser informiert sein. Ringier lanciert deshalb eine voll integrierte Redaktion für die Blick-Gruppe.

Von Peter Hossli (Text) und Karl-Heinz Hug (Fotos)

teppichFreitagnacht, kurz vor elf. Redaktion BLICK in Zürich. Blattmacher Urs Helbling, 48, tippt die Titelschlagzeile: «Stephanie – das Diätwunder». Er sitzt an einem von vier Computern, die noch surren. Daneben schneiden Handwerker den Teppich in viereckige Stücke, reissen diese vom Boden und tragen sie weg.

Die Schlagzeile passt, Helbling schickt die Seite an die Druckerei. Es ist heute die letzte. «Ein emotionaler Moment», sagt er. «Vor 21 Jahren habe ich hier angefangen, jetzt verlasse ich diesen Raum – und den alten BLICK.»

Ein Techniker löst alle Kabel, die an Helblings Rechner hängen. In der Nacht löscht er die Festplatte und setzt sie neu auf. Ein Packer schraubt Beine von Tischen. Sein Kollege sammelt Telefone ein. Helbling schnappt einen mit Schleckstängeln bestückten Plastikhalter.

ursDann geht er heim, vorbei an gepackten Kisten. An jeder prangen orange Kleber mit vierstelligen Zahlen – Material von Redaktoren. Kräftige Kerle karren es den Nummern nach an die neuen Arbeitsplätze.

Der Umzug verändert die Blick-Gruppe und somit den Medienkonzern Ringier. Die grösste Schweizer Redaktion zieht in einen integrierten Newsroom, ein Grossraumbüro auf zwei Etagen im Zürcher Quartier Seefeld. Eine einzige Redaktion beliefert fortan vier News-Titel: SonntagsBlick, BLICK, «Blick am Abend» und die Website Blick.ch. Gefallen sind Mauern, verschwunden Türen. «Wir stellen uns damit dem ökonomischen Druck und rasend schnellen Veränderungen», sagt der Chef von Ringier Schweiz, Marc Walder, 44.

Fit machen für den strukturellen Wandel will er Ringier. Zeitungsabonnenten altern, Junge informieren sich digital. Ihre Kunden, merken Verlage weltweit, lesen vermehrt online und mobil, auf iPhones und Blackberrys.

lollipopReporter müssen besser und rascher digitale Inhalte produzieren. Vor allem dafür braucht Ringier jetzt einen Newsroom.

Newsroom – das Modewort bedeutet Redaktion auf Englisch. Ist ein Newsroom integriert, arbeiten die Online- und die Printredaktion enger zusammen. Das ist komplex, aber bereits alltäglich. «Viel komplexer» sei hingegen der Blick-Newsroom, sagt Walder. «Wir verknüpfen Print und Online, eine kostenlose Abendzeitung, eine bezahlte Tageszeitung, eine hintergründige Sonntagszeitung.»

Sonntag früh, um acht. BLICK-Chefredaktor Ralph Grosse-Bley, 50, betritt den Entscheidungsraum. Dort, wo alles Wichtige passiert.

Auf seinem neuen Tisch findet er die Schleckstängel, die Helbling gesichert hat. Er legt die Süssigkeiten in sein Regal, wirft den Plastikhalter weg und startet den Computer.

abNeben ihm sitzt Rolf Cavalli, 41 und Chefredaktor von Blick.ch. «Das Telefon geht nicht», sagt er. «Mein zweiter Computer fehlt.» Die Leiterin im Ressort News, Andrea Bleicher, 36, legt zwei Bücher in die Schublade, stellt eine Schneekugel auf, holt Kaffee, ist bereit. Eine Kollegin hilft ihr noch, das vom System verlangte neue Passwort einzurichten.

Über Nacht hat Ringiers IT-Abteilung Festplatten von 220 Computern gelöscht und wieder aufgesetzt. Jeder Rechner erhielt ein neues Redaktionssystem. Es ist auf Ressorts angelegt, nicht mehr auf Publikationen. Früher hatten BLICK-Reporter nur Zugriff auf BLICK-Artikel. Jetzt hat jeder Zugriff auf alles.

8.24 Uhr, die Videowand flimmert. Achtzehn Monitore mit je 116 Zentimeter Durchmesser bilden darauf das mediale Jetzt ab.

Grossflächig zeigen sie Websites, geben Fernsehsignale und Computerschirme wieder. Ressortleiter projizieren Ideen für Artikel. Redaktoren und Layouter verfolgen die Produktion der aktuellen Zeitung. Fotoredaktoren bilden Bilder ab. In Realzeit sieht jeder, ob eine Geschichte auf Blick.ch gut läuft. Korrespondenten schalten sich per Video-Chat zu.

Die Videowand – Kosten: 275 000 Franken – ist das «Herzstück des Newsrooms», sagt Christian Glanzmann, 48, bei Ringier zuständig für Redaktionssysteme und Medienproduktion, «ein Sammeltrichter aller Inhalte». Die Videowand soll digitales Bewusstsein schärfen.

videoZumal der Newsroom nicht bloss ein Gebäude sei, sagt Edi Estermann, 45 und Manager des Projekts. «Der Newsroom muss in den Köpfen der Journalisten passieren.» Redaktoren schreiben nicht mehr einfach Artikel für eine Zeitung. Sie recherchieren und schreiben Geschichten, bevor sie wissen, wo diese erscheinen. Darüber befinden zuletzt die Ressortleiter und Chefredaktoren.

Neu bespielt die Blick-Gruppe «verschiedene Kanäle», sagt Estermann. Eine Story, die beim BLICK beginnt, kann parallel auf Blick.ch laufen. «Blick am Abend» nimmt sie auf. Der SonntagsBlick liefert die Hintergründe.

Das funktioniert, weil die einzelnen Ressorts nun kräftiger sind. Nachrichtenchefin Andrea Bleicher setzt 35 Journalisten auf Storys an – und leitet das mit Abstand grösste Newsressort der Schweiz. «Diese Kraft steigert die Qualität der Artikel», sagt Estermann.

kbDas Tempo ist hoch. Sitzungen sollen im Stehen stattfinden. Nicht um Medientitel, um Themen soll es gehen. Zehn Minuten Wirtschaft. Zehn Minuten Politik. Zehn Minuten Lifestyle. «Die Arbeit im Newsroom ist herausfordernder, aber spannender», sagt Walder.

10.02 Uhr. Auf der Videowand laufen ein Ski-Rennen, CNN und SF. Daneben sind Blick.ch und Bild.de abgebildet. «Es ist zehn», ruft Grosse-Bley. «Konferenz?» «Ja.» «Wo?» «Am Tisch in der Mitte.» Dieser wackelt. «Okay, dann setzen wir uns auf die Treppe.» Die erste Stehung im Newsroom? Findet im Sitzen statt. «Willkommen zum offiziellen Start im Newsroom», sagt Grosse-Bley. «Noch wackelt der Tisch, aber wir sind fest entschlossen.»

Als Vater des Newsrooms gilt Konzernleitungsmitglied Thomas Trüb, 57, bei Ringier zuständig für Asien und neue Märk­te. Nach der Einstellung der Zeitung «Cash» im Sommer 2007 begann er, die Idee «ernsthaft zu thematisieren». Er ernannte den ehemaligen «Cash»-Produktionschef Pascal Zemp, 44, zum Projektleiter. Zemp sollte die Antwort auf eine einzige Frage finden: Wie stellt man die Blick-Gruppe zukunftsweisend auf?

Mit den Chefredaktoren besuchte Zemp integrierte Redaktionen in Madrid und London, in Stockholm, Nottingham (GB), Wien und im dänischen Aalberg. Im Juni 2008 ernannte Ringier den SonntagsBlick-Chefredaktor Marc Walder zum Chef Schweiz. «Skeptisch» hätte er damals den Newsroom betrachtet. Walder wandelte sich zum «verhaltenen Euphoriker». Zuletzt ging er morgens um sieben durch die Baustelle – «und bekam Hühnerhaut, als ich sah, wie viele Leute sich Mühe geben, etwas Wegweisendes für die Schweiz zu errichten.» Es ist kurz vor 12 Uhr. Rolf Cavalli bereitet einen Artikel zu den Abstimmungen vor. Er blickt auf die Uhr. Um 12 Uhr schliessen die Urnen, dann schaltet er eine Prognose frei.

12.22 Uhr. «Was höre ich da?», ruft Grosse-Bley. «Was ist mit dieser Stewardess?» «Lauschst du mit, wenn ich mit meiner Mitarbeiterin rede?», fragt Bleicher.

Der integrierte Newsroom ist ein transparenter Ort. Alle sind auf dem Laufenden. Rasch drehen die Informationen. Niemand soll etwas verheimlichen. «Eine Flugbegleiterin der Swiss ist in Indien tot aufgefunden worden.» «Gute Geschichte, vielleicht was für Seite eins. Haben wir ein Bild?» «Noch nicht.»

edipascal13.53 Uhr. Die beiden Projektleiter Estermann und Zemp flicken den Tisch.

14 Uhr. Eine erste Stehung. Die Stewardess arbeitete für EasyJet, lebte in Genf, war Französin. «Das rückt die Story klar nach hinten.» Marc Walder steht am Tisch, in Jeans und Pullover. «Gute Geschichten habt ihr für einen Sonntag», motiviert er das Team.

Auf einer Fläche sollte Ringier-Bauherr Peter Gasser 250 Arbeitsplätze unterbringen. Zu klein waren die vorhandenen Räume. Gasser, 54, prüfte und verwarf die Idee, die Redaktion im Parterre einzuquartieren. Ebenso den Plan, sich in ein bestehendes Haus einzumieten oder auf der grünen Wiese eines zu bauen. Verleger Michael Ringier entschied zuletzt, im Seefeld zu bauen. Dort, wo seit 1978 an der Dufourstrasse das Pressehaus steht.

Der Bau begann letzten Juli. Der Statiker, der das Letzigrund-Stadion in Zürich betreute, gab grünes Licht, zwischen Haupt- und Hofgebäude eine dreistöckige Verbindungsbrücke zu legen. Ein Sinnbild ist die Brücke. Altes und Neues verbinden, ein Kommandoraum, der immer besetzt ist. «Der integrierte Newsroom steht für einen Journalismus ohne Redak­tionsschluss», so Trüb, der von sich sagt: «News lese ich ausschliesslich digital.» 18.30 Uhr. Zemp sucht nach Telefonen für die Redaktoren beim «Blick am Abend».

19.17 Uhr. Grosse-Bley setzt die Titelschlagzeile für den BLICK. «Bundesrat gedemütigt, 73 Prozent sagen Nein!» Das passt.

23 Uhr. Der BLICK ist fertig. Der erste Tag im Newsroom lief ohne grossen Pannen ab.

lueInsgesamt investiert Ringier 15,5 Millionen Franken. Wobei der Newsroom sieben Millionen kostet. Ringier baute die Kantine um. Das auf sumpfigem Boden stehende Pressehaus widersteht Erdbeben nun besser. Neue Fens­tergläser sparen 60 Tonnen Heizöl. Die Heizung nutzt nun Temperaturunterschiede des Zürichsees. Nicht ganz selbstlos baut der Verlag den Mitarbeitern einen Fitnessraum. Dort können Reporter ihre Muskeln spielen lassen.

Gänzlich zufrieden ist Bauchef Gasser nicht. Er spricht von «Kompromiss». Nicht wie gewünscht auf einer einzigen Fläche, auf zwei Etagen arbeiten die Redaktoren. Die in gebrochenem Weiss und dezentem Grau gehaltenen Räume sind eher niedrig. Erst im Entscheidungsraum – Höhe: 3,25 Meter ohne Säule – entsteht das Gefühl echter Grösse.

Hier sitzen die Chefredaktoren an einem geschwungenen Pult aus dunklem Holz. Strahlenartig führen zwei Tischreihen mit Stellvertretern, den Blattmachern und Ressortleitern weg. Redaktoren arbeiten in zwei anliegenden Flügeln, ebenso Bildbeschaffer und Layouter.

Alle sind nah beieinander, tauschen sich sofort aus. Den Chefredaktoren steht zudem eine Lounge zur Verfügung.

pulDer Raum pulsiert. People-Chef Dominik Hug, 40, geht mit dem Mobiltelefon am Ohr durch die Reihen. Ein unterzuckerter Layouter schiebt beim Gehen ein Stück Kuchen in den Mund. Redaktoren telefonieren, surfen im Web. Wortfetzen und Witze jagen sich.

Die Journalisten sitzen an höhenverstellbaren Tischen. Hinter ihren Stühlen bietet ein Caddy auf Rollen die einzige Ablagefläche. Weniger Papier sollen Redaktoren nutzen und Artikel vermehrt online lesen. Damit schärft Ringier die Affinität für die digitale Welt.

Es gilt die «Clean Desk Policy»: Nach Arbeitsende räumen Layouterinnen und Redaktorinnen die Tische auf. Reporter dürfen nicht mehr am Computer essen. Pflanzen gibt es keine. Die Räume sind klimatisiert, die Kaffeemaschinen mit Touchscreens versehen.

Die im Pressehaus frei werdende Fläche nutzt Ringier für andere Abteilungen. So zieht etwa die «Schweizer Illustrierte» im Herbst von der Höschgasse an die Dufourstrasse.

rgbDer Schritt zum Newsroom ist ein mutiger Entscheid, da sind sich bei Ringier alle einig. Führt er zum Erfolg? Der werde nun anders gemessen, sagt BLICK-Chef Grosse-Bley. «Kein Kanal sagt Ende Jahr, wir waren toll, leider hat es bei euch nicht geklappt.» Er fühle sich mitverantwortlich für sämtliche Blick-Titel. «Entweder reüssieren alle oder keiner.»

Daher hänge der Erfolg davon ab, «ob wir im Kader ein echtes Miteinander zustande bringen». Die vier Chefredaktoren, die ihre klar zugeordneten Teams verloren haben, müssten lernen, Personal und Geschichten zu teilen. «Unsere Reporter sind gut», sagt Grosse-Bley. «Gefordert sind jetzt die Chefs.»

Einen klar messbaren Treiber für den Erfolg sieht Berater Alexander Theobald, 45 und zuvor in der Geschäftsleitung von Ringier Schweiz: «Es ist eklatant wichtig, den Online-Auftritt der gesamten Marke Blick zu stärken.» Die Integration der Redaktionen lohne sich, «wenn Nutzerzahlen und Qualität der Online-Inhalte rasch massiv nach oben gehen.»

rcDafür kämpft der Chefredaktor von Blick.ch, Rolf Cavalli. Eher enttäuscht ist er drei Tage nach dem Start der integrierten Redaktion. «Noch werden mehrheitlich Zeitungen gemacht», sagt Cavalli. «Das Bewusstsein fürs Online ist eher unterentwickelt.» Zu sehr seien die Redaktoren wie die Blattmacher auf ihre alten Teams ausgerichtet. «Das muss sich schnell ändern, sonst funktionierts nicht.»

Dem pflichtet Newsroom-Vordenker Trüb bei. «Journalisten sind Dienstleister, im Newsroom schreiben sie nicht mehr für einen Titel, sie schreiben für die Leser und somit für den Markt.» Und die Leser sind immer häufiger online. Unendlich viele Anbieter tummeln sich in der digitalisierten Welt. «Um im Newsgewitter zu bestehen, sind Qualität und vor allem Kreativität gefragt», sagt Trüb. Reporter seien gezwungen, aussergewöhnliche Stoffe packend zu erzählen. «Erfolg hat nur, wer mit Geschichten einen Whoa!-Effekt erzielt.»

Scheitern werde das Projekt dann, «wenn die Journalisten in alten Strukturen denken, also an Produkte statt an Storys.»

Kann Ringier gute Journalisten halten und neue anziehen, die es dafür braucht? «Wer publizierfreudig ist, hat hier ein lukratives Umfeld», sagt Estermann. «Geschichten erreichen sehr viele Leute auf vielen Kanälen.»

Montag, 6 Uhr. Erste Redaktoren treffen ein. Zemp findet die vermissten Telefone im Abfall. Sie funktionieren nicht.

stehung8 Uhr. Stehung. Die Oscar-Nacht ist Thema. Krise in Griechenland. Abstimmungsschlappe des Bundesrats. «Mach die Bilder gross», sagt «Blick am Abend»-Chefredaktor Peter Röthlisberger. Sofort erscheinen etliche Fotos der Oscar-Nacht auf der Videowand. Marc Walder schaltet sich ein. «Das ist ein Wischiwaschi», sagt er zu einem Redaktor. «Ihr müsst Themen pointiert bringen, zügig und prägnant reden, ich will Schlagzeilen hören, der Newsroom ist eine hochkomplexe Struktur, die Inputs müssen präziser sein.»

Die Personalabteilung führte die Journalisten durch einen «tiefgründigen Veränderungsprozess», sagt Personalchefin Jutta Wurz, 40. Sie stellte die Chefredaktoren auf Machtverlust ein – zwar stehen sie noch einem Medienprodukt vor. Aber sie haben keine eigene Redaktion mehr. Ressortleiter gaben Kaderfunktionen ab. Alle Redaktoren mussten für die neuen Arbeitsweisen geschult werden.

Ringier zog Theobald als Berater bei, um die Kosten runterzubringen. Er erhielt eine Budgetvorgabe und schaute, «ob sich diese umsetzen lässt», sagt Theobald. Er zählte alle redaktionellen Seiten, die Journalisten der Blick-Gruppe mit Texten und Bildern füllen – jährlich sind es 20 000 –, analysierte, wie viel Zeit das beansprucht. Zuletzt berechnete er, wie viel Personal nötig ist, um das Soll zu leisten.

Groll erntete Theobald beim Ringier-Personal, als er die Resultate vorstellte. Es sei unmöglich, journalistische Arbeit industriell zu messen. «Journalismus ist kreative Arbeit, Kreativität ist nicht messbar», gesteht Theobald. «Mein Design ist eine ideale Welt.»

10 Uhr. Stehung. Ex-Schauspielerin Gwendolyn Rich ist Thema. Sie jobbt als Verkäuferin. «Die Story läuft online super», sagt Cavalli. «Macht euch nicht darüber lustig, dass sie Verkäuferin ist», sagt Grosse-Bley, «es gibt schlimmere Jobs.» «Ja», sagt CEO Walder, «in unserem Newsroom zu arbeiten.» Alle lachen. Seine Rede wirkt. Das Treffen ist kurz, die Themenvorschläge kommen rasch.

ladner10.50 Uhr. Wirtschaftsredaktor Anton Ladner textet für den Börsenbericht. Der Leiter des Ringier WebCenters, Michi Huber, richtet den Regieraum des WebTV-Studios ein. Er überwacht zehn Monitore. Per Joystick steuert er drei Kameras an. Ladner lädt den Text auf den Teleprompter, beginnt – «wir kommen jetzt zur Mittagsbörse» – und liest ihn fehlerlos.

12.45 Uhr. Ein Layouter setzt den Titel für den «Blick am Abend». Auf dem Bild dazu versucht Regisseur James Cameron die Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow zu würgen.

Die Chefredaktoren wollten keine Reporter entlassen, nicht am Inhalt sparen. Gehen müssen Produzenten und Korrektoren. Leute, die Artikeln den letzten Schliff geben, Titel und Legenden setzen. Nun greifen weniger ein. «Das zwingt Journalisten zur Eigenverantwortung», sagt Trüb. Andere fragen: Kann man ohne Goalie Fussball spielen?

Nie sei Personalabbau der Treiber für den Newsroom gewesen, so Trüb. «Der Umbau in den Köpfen ist dramatischer als die Entlassungen.» 22 Vollzeitstellen baut Ringier ab. 25 Personen erhielten ein Kündigung. Drei gehen unfreiwillig frühzeitig in Pension. Sie erhalten einen Sozialplan, der in Härtefällen das Gehalt bis zu einem Jahr sichert. «Wir haben den Sozialplan verbessert, weil wir wissen, wie schwierig der Arbeitsmarkt für Journalisten derzeit ist», sagt die HR-Chefin Wurz.

lunchDie Personalkommission ist «zufrieden», sagt Mitglied Werner Vontobel. Dennoch stellt der Wirtschaftsredaktor bei vielen Leuten grosse Verunsicherungen fest. «Viele merken, dass sie bei gleichem Lohn nun mehr arbeiten.»

Politik-Redaktor Joël Widmer zügelte nicht, er wechselt zur «SonntagsZeitung». «Der Newsroom machte es mir leichter, ein Angebot der Konkurrenz anzunehmen», sagt er. «Die Gefahr, für den ‹Blick am Abend› schreiben zu müssen, wollte ich nicht eingehen.»

Der Personalabbau drücke auf die Qualität, fürchten Redaktoren bei Ringier. Mit weniger Leuten lasse sich kaum ein besserer Journalismus machen. Walder widerspricht: «Jedem Ressortleiter stehen jetzt viel grössere Ressorts zur Verfügung», sagt er. «Statt kleine Zellen in vier Redaktionen haben wir nun nur noch grosse Zellen.» Zudem hänge die Qualität nicht allein von der Grösse der Redaktion ab. «Mir sind gute Leute lieber als viele.»

Musik werde nicht besser, wenn ein Orchester fünf Leute mehr hat, pflichtet Grosse-Bley bei. «Mit drei Mann kann man aber keine Philharmonie mehr anbieten, sondern höchstens noch eine Kammermusik.» Dienstag 10.02 Uhr. «Wir sind schon wieder nach 10 Uhr dran», sagt Grosse-Bley.

sitzung18 Personen stehen am Tisch. Es geht zügig. Drei Minuten für das Ressort Sport, News braucht sechs, Wirtschaft acht Minuten, ­People zehn und die Politik sieben. Bereits projizieren Bildredaktoren selbständig die jeweiligen Fotos zu den Geschichten auf die Videowand.

Erstmals sind die Blattmacher des SonntagsBlicks dabei. Sie horchen News-Chefin Bleicher. «Prozess in München gegen die Küsnachter Schläger», bietet sie an. «Habt Ihr zu München schon was für den Sonntag?», fragt SonntagsBlick-Chef Hannes Britschgi, 54. «Wir wissen nicht mal, was wir übermorgen machen», sagt ihm Bleicher.

Für ehemalige Journalisten des SonntagsBlicks ist die Umstellung gross. Sie sind gewohnt, länger an Geschichten zu arbeiten, vertiefender zu schreiben. Jetzt hängen sie in den Gängen, werweissen, wie es weitergeht. «Kann uns der BLICK zwingen, dort zu schreiben?», fragt eine Redaktorin. «Wem biete ich Geschichten an?» «Kommt der Input von uns, landet die Geschichte im SoBli», sagt einer.

Die «Ellenbogen trainieren» müssten die Leute vom SonntagsBlick, sagt einer. «Sonst wird BLICK zu dominant, der SoBli gerät unter die Räder.» Dabei gibt es keine SonntagsBlick-Redaktoren mehr. Nur in den ersten drei Monaten bilden einzelne Reporter ein SoBli-Kernteam. Dann entfallen alle Zugehörigkeiten.

10.30 Uhr «Noch was?», fragt Grosse-Bley. Es ist still. «Okay wir sind fertig.»

decisionStreiten sich Chefredaktoren um Geschichten, entscheidet Walder, der publizistische Leiter. Warum geht der Manager in die integrierte Redaktion? «Die Newsroom-Idee muss von oben mit viel Überzeugung gestossen und gezogen werden», sagt er. Verleger Michael Ringier hätte ihn gebeten, «diesen Wagen zumindest am Anfang zu ziehen».

Externe Berater rieten ihm, nur mit einem Chefredaktor zu starten. Er entschied anders. «Wir haben gute Chefs», sagt er. «Sie sichern die Identität der einzelnen Titel.» Den Superman, der alles kann, Online wie Print versteht und auch repräsentiert, «gibt es noch nicht».

Eine Frage der Zeit, prophezeit Trüb. «Es braucht einen Chef im integrierten Newsroom.» Ginge es allein nach ihm, «hätten wir mit einem Chefredaktor begonnen».

lifestyleMit dem Newsroom will sich Ringier als innovativster Schweizer Verlag aufstellen. «Im Vergleich zu den anderen sind wir mental ein grosser Schritt voraus», sagt IT-Mann Glanzmann. «Kein anderer Verlag hat ein ähnlich geschärftes Bewusstsein für neue Medien.»

Schweiz-Chef Walder schiebt es dem Verleger zu. «Bei jedem Auftritt provoziert Michael Ringer geradezu Innovation.» Und er sagt: «Klar, die Krise zwingt uns zur Innovation.»

Eine Eigenkapitalrendite von jährlich 15 Prozent strebt er für Ringier Schweiz an. Kein einfaches Ziel. Walder widerspricht. Ringier habe Firmen, die bereits jetzt mehr Rendite abliefern, etwa Betty Bossi oder Geschenkidee.ch. «Rentabilität ist wichtig», sagt Walder. «Nicht, damit Herr Ringier seine Kunstsammlung erweitern kann, sondern um Geld für neue Produkte zu erwirtschaften.» Vornehmlich für Journalismus.

Standen bei Ringier in den letzten zwölf Monaten die Bereiche Unterhaltung und E-Commerce im Zentrum, «liegt der Fokus jetzt wieder ganz klar im Kernbereich Zeitungen und Zeitschriften», sagt er. «Personalreduktionen auf Redaktionen sind derzeit nicht denkbar.» Walder kündigt das Gegenteil an: «Mit dem Newsroom wachsen wir wieder.» Ein Ziel, das Verleger Ringier an der Konferenz der Ringier-Chefredaktoren unlängst bekräftigt hatte: «Schon bald beschäftigen wir im Newsroom mehr Leute als mit denen wir jetzt starten.»

Sie sollen mobile Magazine entwickeln. Applikationen für das iPhone und den Blackberry, für das bald erhältliche iPad von Apple, für elektronische Lesegeräte. «Ringier verlangt für digitale Inhalte künftig Geld», sagt Trüb. Das sei nötig. Hätte der Konzern nicht reagiert und in den Redaktionen alles beim Alten belassen, «wären wir in Schönheit gestorben».

hbUnverändert aber bleibt der Kern des Journalismus, betont SoBli-Chef Britschgi. «Wir bilden die Realität mittels Geschichten ab, egal, auf welchem Kanal.» Wer mit Sprache eine gute Analyse abgebe, eine Story erzählen könne, schaffe das überall. «Die Technik ändert sich, auch das Tempo», sagt Britschgi. «Die Fähigkeit aber neugierig zu sein und mit Sprache umzugehen, bleibt unabdingbar.»

Grosse-Bley teilt diese Ansicht. «Wir sind jetzt hochmodern ausgerüstet, aber für guten Journalismus braucht es Menschen», sagt der BLICK-Chef. «Es gibt keine Computer, die prickelnde Texte schreiben, das tun die sehr guten Schreiber, die halt auch gut verdienen.» Qualität, sagt er, «kostet einfach Geld».

Noch fehlt der Beweis, dass ein integrierter Newsroom sich kommerziell auszahlt. «Letzlich ist es ein unternehmerischer Entscheid, dieses Risiko jetzt einzugehen», sagt Trüb. «Das nicht zu tun, wäre aber viel riskanter.»

Dienstagnacht, kurz vor zwölf. Redaktion Blick-Gruppe. Ein Tag endet. Der nächste beginnt. Nachrichten stoppen nie. Journalisten erscheinen zur Arbeit. Leser wollen Geschichten.