Von Peter Hossli (Text) und Sebastian Derungs (Foto)
Eine verschneite Privatstrasse windet sich hinter dem St. Moritzer Suvretta House zum grosszügigen Chalet von Marc Rich (75), dem geheimnisumwitterten Geschäftsmann. Ein Sicherheitsmann winkt das Auto in die Tiefgarage. An der Wand hängen Snowboards und Ski.
Hinter einer Arvenholztüre öffnet sich der Lift. Er führt in die zweite Etage, direkt ins lichtdurchflutete Wohnzimmer. Richs Enkel tollen herum. In tiefen Sofas sitzen deren Eltern. Es riecht nach köstlichem Essen. Kunst schmückt die Wände.
«Hallo, ich bin Dara», grüsst eine grosse, blonde Frau – Richs Freundin. Seine beiden erwachsenen Töchter Danielle (34) und Ilona (42) eilen herbei, sagen Hallo, stellen ihre Gatten und ihre Kinder vor.
Plötzlich steht Marc Rich im Wohnzimmer. «Willkommen», sagt der gebückt gehende Mann mit der hohen Stirn. Der Milliardär trägt verwaschene, hellblaue Jeans, einen hellgrünen Pulli und wattierte Hausstiefel.
«Setzen Sie sich», sagt er, versinkt in einem Sessel und nippt an einem Glas Rioja Imperial. Draussen glitzern die gefrorenen Engadiner Seen.
Rich ist eine Fabelfigur, ein mysteriöser Kaufmann, der mit Fidel Castro geschäftete und Israel mit lebensnotwendigem Öl versorgte, wie er sagt. 1983 wurde er in den USA der Steuerhinterziehung und illegale Geschäfte mit Iran bezichtigt. Er zog im selben Jahr in die Schweiz. Zu einem Prozess kam es nie. 2001 begnadigte ihn US-Präsident Bill Clinton und sprach ihn von allen Vorwürfen frei. Rich scheint scheu. Er hört zu, spricht in kurzen Sätzen, sagt weniger als der Gast, beobachtet.
Presse mag er nicht sonderlich. Ebenso wenig die Publicity, die ihm die neue Biografie «The King of Oil» des Schweizer Journalisten Daniel Ammann beschert. Rich offenbart darin erstmals sein Geschäfts- und sein Privatleben. Warum beteiligte er sich überhaupt an diesem Buch? «Es war ein Zufall», sagt er. «Ammann kam zu mir, ich mochte ihn, er hat einen guten Job gemacht.»
Etwas bedauere er allerdings sehr, sagt er. «Als ich mit Ammann über meine zweite Ehefrau Gisela redete, versprach ich mich.»
Nach seiner Trennung von Denise Rich (65) heiratete er 1996 die blonde Münchnerin Gisela Rossi. 2005 liess sich das Paar scheiden. Es war eine Ehe, die Rich in Ammanns Buch als «zweitgrössten Fehler» seines Lebens bezeichnet. Schlimmer sei nur der Rechtsstreit mit den USA gewesen. «Geld und Besitztümer» hätten Gisela verdorben, zitiert ihn Autor Ammann.
Bissige Worte, die Rich an diesen Festtagen nun bereut.
«Am Anfang hatten wir eine fantastische Beziehung», sagt er. «Unsere Liebe war erfüllend und sehr innig, ich wünschte mir, wir liebten uns ewig, aber es ging nicht.» Er blickt die Töchter an. «Es ist schade und ich bin traurig, dass die Ehe mit Gisela scheiterte.»
Ilona und Danielle zeigen sich gerührt vom hadernden Vater. «Er ist ein sensibler Mensch», sagt Danielle. «Mein Vater verabscheut es zu scheitern. Er ist auf sich wütend, weil er und Gisela scheiterten.»
Richs Reue scheint aufrichtig.
Keinesfalls umbenennen will er sein St. Moritzer Chalet. Liebevoll nennt er es Chesa Margi – eine Kurzform für Marc und Gisela.
Er wirkt gebrechlich. Der Eindruck täuscht. «Ich bin topfit», sagt Rich. Täglich fährt er Ski. «Meine Familie ist über die Festtage in St. Moritz, da geht es mir gut.» Herzhaft drückt er Töchter und Enkel.
Seine Haushälterin serviert als Appetizer ein spanisches Omelett und auf Eis gelegtes, rohes Gemüse. Marc Rich, ein Bürger Spaniens und Israels, redet sie spanisch an. Er erzählt, wie er eben im Familienkreis seinen 75. Geburtstag feierte. «Viel Zeit bleibt mir nicht mehr», wisse er. Wie nutzt er sie? «Mit Dingen, die mir gefallen – Skifahren, Schwimmen und Musik.»
Und mit Arbeit. Sie bedeute ihm alles. Das Rohstoffgeschäft verkaufte er 2003 an seine Partner. Heute handelt er weltweit mit Liegenschaften und ist am Finanzmarkt tätig. «Nächstes Jahr kommt der Aufschwung», glaubt er.
Warum ist er so fleissig? «Um Erfolg zu haben; wer Erfolg haben will, muss hart arbeiten.» Was ist Erfolg? «Geld verdienen.» Und was bedeutet ihm Geld? «Erstens kann ich mit Geld meine Bedürfnisse befriedigen, und zweitens kann ich es jenen geben, die es nötig haben.» So finanziert Rich insbesondere medizinische Forschung.
Er bittet zu Tisch. An einer Holztafel findet die gesamte Familie Platz. Rich sitzt oben. Neben ihm liegt ein länglicher Plastikhalter mit einem weissen Knopf. Drückt er drauf, serviert das Küchenpersonal sofort den nächsten Gang.
Zur Vorspeise gibt es butterweichen Räucherlachs, ein Avocado-Mousse mit frischen Kapern, dazu eine Scheibe Vollkornbrot.
Zwischen Ilona, Danielle und ihren Männern entflammt eine heftige Debatte über die Kriege in Afghanistan und Irak. Rich schweigt. «Ich höre lieber zu», sagt er und drückt den Knopf. Was hält er von US-Präsident Barack Obama? «Ein guter Mann, der sich noch nicht richtig beweisen konnte.»
Auf weissem Porzellan serviert die Kellnerin panierte Pouletplätzli mit glasierten Champignons, je zwei Stück angebratene Zucchini, eine längs filetierte Essiggurke.
Rich isst zügig. Die Hälfte lässt er auf dem Teller liegen. Er schaut, ob die anderen ausgegessen haben, drückt erneut seinen Knopf. Das Dessert kommt: Mandelkuchen mit zarter Vanille-Glace. Erneut verzehrt Rich nur die halbe Köstlichkeit.
«Den Kaffee trinken wir im Wohnzimmer», sagt Rich. Für die Haushälterin ein Zeichen, ihm eine Siglo II zu bringen, eine kräftige kubanische Cohiba-Zigarre.
Drei bis vier Cohibas rauche er täglich, sagt er.
Zigarrenschneider und das rosa Feuerzeug sind aus Plastik. «Wollen Sie auch eine?», fragt er. «Schon, aber ich sollte mitschreiben, was Sie sagen.» «Sie können sicher beides, rauchen und arbeiten.» Sein Charme obsiegt. «Okay, ich nehme eine.»
Er drückt den weissen Knopf und überreicht dem Gast sein Feuerzeug und den Cutter. «Eine Zigarre für den Herrn, por favor.»
Plötzlich steht er auf. «Für heute haben wir genug gesprochen.» Sein Händedruck ist kräftig. Er guckt noch, wie die Lifttüre schliesst.