Von Peter Hossli (Text) und Igor Kravarik (Illustration)
Das Telefon klingelt. Es meldet sich ein berühmter Amerikaner. Nennen wir ihn hier Richard Berg. Vor vielen Jahren, als ich noch USA-Korrespondent war, lernten wir uns kennen. «Hallo», grüsst er freundlich. «Hallo, schön von dir zu hören, wie geht es? Wie hast du mich gefunden?» «Im SonntagsBlick las ich deine Artikel über die UBS.»
Er ruft nicht an, weil er eine längst verflossene Bekanntschaft aufwärmen möchte. Er ruft an, weil er ein persönliches Problem hat. Berg will wissen, ob die UBS ihn als ihren Kunden der US-Steuerbehörde ausliefert.
Jahrzehntelang hatte seine Familie bei der UBS in Zürich etliche Bankkonten. Nie hatte sie das Geld der amerikanischen Steuerbehörde gemeldet, eine «alberne Entscheidung», wie Berg heute sagt. Es «lag in der Schweiz, also war es sicher», glaubte Berg damals.
Das stimmt nicht mehr. Innert Jahresfrist muss die Schweizer Bank 4450 Kontendaten von amerikanischen Kunden an die USA liefern. 4450 von 52 000 geforderten Konten.
Geheim ist, nach welchen Kriterien die UBS die Konten auswählt. Grösste Unsicherheit hat das US-Steueramt damit bei amerikanischen UBS-Kunden erzeugt. Möglichst viele Steuersünder will es dazu bringen, sich bis zum 23. September selbst anzuzeigen.
Die List hat funktioniert. «Seit Wochen schlafe ich nicht mehr», sagt Berg. Nachts, wenn er hellwach im Bett liegt, werweisst er, ob er sich melden oder doch den Kopf in den Sand stecken und hoffen soll.
Zeigt er sich an, verliert die Familie 40 Prozent des Geldes, bleibt dafür aber straffrei.
Schweigt er, behält die Familie das Geld. Sie geht aber ein enormes Risiko ein. Denn fliegt der Steuerbetrug auf, drohen Strafanzeige und Zuchthaus. Die Busse wäre dann viel höher als 40 Prozent der Einlagen, womöglich über 75 Prozent. Schlimmer noch: Der Fall würde publik, der Ruf des hoch angesehenen Richard Berg nähme erheblichen Schaden.
Die Familie, die über die ganze USA verteilt lebt, ist darob zerstritten. Keinesfalls anzeigen will sich Richards Schwester Sally. Sie würde Geld verlieren, das sie nicht verlieren kann. Richard hingegen bangt um ein Lebenswerk. «Fliegen wir auf, ist meine berufliche Karriere dahin.» Es ist eine Karriere, die nicht vom Geld, aber vom Prestige bestimmt ist.
Und Betrüger verlieren jedes Prestige.
Es geht um eine halbe Million Dollar. Für viele ist das nicht viel Geld, für die mittelständischen Bergs schon. Viel mehr haben sie nicht. «Es heisst in der Presse stets, es gehe nur um reiche Amerikaner, die bei der UBS Schwarzgeld haben, wir sind nicht reich.»
Das Geld stammt vom Vater. Berg Senior überlebte den Holocaust in Konzentrationslagern. Nach dem Krieg wanderte der Osteuropäer in die USA aus, hatte einen Sohn und eine Tochter, wurde amerikanischer Staatsbürger. Deutschland kompensierte ihn für das zugefügte Leid. Das Geld liess er in der vom Krieg unversehrten Schweiz. Es war das einzige Land, dem er vertraute.
Erst nach seinem Tod tauchte das Geld in einem zweiseitigen, von Hand verfassten Testament wieder auf. Bei der UBS in Zürich richteten die Bergs damit drei Konten ein, zwei kleine für die Kinder, ein grosses für die Mutter. «Es schien uns damals die gescheiteste Investition zu sein», sagt Richard Berg. «Eine hohe Rendite erwarteten wir nicht, dafür sehr viel Sicherheit.»
Lange lag das Geld unberührt auf Sparkonten. Bis ein UBS-Kundenberater die Mutter anrief. «Ich will Sie treffen», sagte der Schweizer, flog aus Zürich nach Boston, dem Zuhause der Bergs. An der Grenze sagte der Banker, er sei Tourist. Mitten in der Stadt mietete er in einem noblen Hotel eine Suite, wo er die Familie empfing. Nach einer stündigen Sitzung hatte er sie überzeugt, das Bargeld in Aktien und Obligationen anzulegen.
Es war ein illegaler Akt. Ohne amerikanische Lizenz darf ein Schweizer Banker auf amerikanischem Boden keine Anlagetipps abgeben. Er hätte die Amerikaner dazu drängen sollen, US-Steuerformulare auszufüllen.
Zur Unterschrift legte er jedoch ein ganz anderes Papier vor. Berg und seine Mutter signierten ein Blatt, das belegen würde, das Beratertreffen hätte in Genf stattgefunden.
Einträglich war die Investition nicht. Die Höhe des Portfolios verlor an Wert, gewann wieder, war zuletzt, wo sie anfänglich gewesen war.
Der Familie Berg war das recht. «Wir betrachteten das UBS-Konto als Altersversicherung », sagt Richard. «Eine solide Geldanlage, bei der unser Geld geschützt ist.»
Selten hörte Richard von der UBS. Kontoauszüge sandte die Bank nicht in die USA. Wenn er in Europa war, rief er an. «Es war eine ruhige, ereignislose Bankbeziehung.»
Bis Ende 2007. Damals flog eine kleine Gruppe krimineller UBS-Banker auf, die Amerikanern systematisch half, Gelder am US-Fiskus vorbeizuschleusen. Seither bedroht der Fall den Schweizer Finanzplatz. Banker und Anwälte wurden eingeklagt. Um die UBS davor zu bewahren, musste die Schweiz zuletzt sogar das hehre Bankgeheimnis lockern.
Die Bank gab das US-Geschäft auf und entledigte sich amerikanischer Kunden. Die Bergs erhielten ebenfalls einen Anruf, in denen die UBS mitteilte, sie könne ihr Geld nicht mehr verwalten. «Seither liegen meine Nerven blank», sagt Berg. «Eine Strafanzeige würde mich ruinieren », klagt er.
Wenig Sorgen macht er sich um seine Mutter. «Es ist unwahrscheinlich, dass eine 70-jährige Frau ins Gefängnis muss.» Als Bollwerk bleibe der Familie zudem «unsere Geschichte, die sicher auf Sympathie stösst».
Es ist die Geschichte des europäischen Holocaust-Überlebenden, der vor der Auswanderung in die USA sein Geld auf ein Schweizer Konto trägt. Weil er der neuen Heimat nicht traut, meldet er es nicht. Eine Geschichte, über die keiner spricht.Dabei kursieren seit langem Gerüchte, ein beachtlicher Teil der amerikanischen UBS-Gelder in der Schweiz sei «old money», stamme von Kunden, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA kamen, es dort nie deklarierten.
Bei Schweizer Banken ist bekannt: Es gibt viele alte unversteuerte Vermögen aus einer Zeit, als das Bankgeheimnis vor Diktatoren schützte. Seit langem suchen Familien, die solches Geld haben, nach einem Ausweg. Bisher haben sie ihn nicht gefunden. Sie hatten Angst, dabei kriminalisiert zu werden. Nun bietet die US-Steuerbehörde Hand mit Selbstanzeige und Amnestie.
Selbstanzeige und Amnestie. Die Frage, ob Berg diesen Weg gehen soll, quält ihn. Seit Monaten liest er die NZZ, «Sonntags-Blick», «Le Temps». Französisch spricht er. Die deutschen Texte kopiert er in den Google-Übersetzer. Er beredet seinen Fall mit Steueranwälten. Die einen sagen, er sei sicher, die anderen, er solle sich melden. Er wägt Fakten gegen Meinungen gegen Einschätzungen ab, rechnet den wirtschaftlichen Schaden aus, den eine Selbstanzeige anrichten könnte. Alles um in Erfahrung zu bringen, ob die UBS die Konten seiner Familie preisgeben werde.
Tarnfirmen hat Berg keine eingerichtet. Die Einlagen liegen unter einer Million Dollar, jener Höhe, ab der gerüchteweise eine Gefahr bestehen soll. Er hatte keine Kreditkarten, die dem UBS-Konto angeschlossen waren. Schickte weder Faxe, E-Mails noch Briefe zwischen Amerika und der Schweiz hin und her.
Nur ein Betrugskriterium hat er womöglich erfüllt – er, seine Schwester und seine Mutter trafen in Boston einen Kundenberater der UBS. Dieses Treffen war illegal.
«Wütend auf die UBS und die Schweiz» ist Berg. «Die Bank hat uns betrogen, die Schweiz hat uns betrogen.» Nie würde so etwas passieren, wurde der Familie von Bank und Staat versichert. «Wenn die Bank 4450 Konten überweist, aber die Kriterien nicht nennt, dann stellt sie uns doch alle an den Pranger, zwingt alle Inhaber der 52 000 Konten zur Selbstanzeige. » Ein Sprecher der UBS sagt nur: «Wir kommentieren keine Einzelfälle.»
Berg weiss, nobel war das Verhalten seiner Familie nicht. «Aber kriminell sind wir nicht. Was wir getan haben war dumm und unvorsichtig. » Seine Rechtfertigung: «Es ist ja ein kleiner Betrag. Die Strafe muss dem Vergehen angepasst werden.»
Nichtsdestotrotz ist Berg von der Taktik seiner Landsleute tief beeindruckt. «Die amerikanische Steuerbehörde hat alles richtig gemacht », sagt er. «Höllische Angst» hätte sie allen Amerikanern eingejagt, die mit Schweizer Banken Geschäfte tätigen. «Ich bin sicher, der US-Steuerkommissär hat derzeit einen Heidenspass.»
Dann verabschiedet sich Berg und legt auf. Ob er sich stellt? «Ich weiss es noch nicht».
Betrüger glauben erstaunlicherweise häufig, sie selbst würden anderen Betrügern nicht zum Opfer fallen. «Richard Berg» muss nun schmerzhaft erfahren, dass dem nicht so ist … :->
Gerade Steuerbetrüger sind fast immer von Helfern abhängig und diesen entsprechend ausgeliefert. Wer betrügt oder sich sonstwie strafbar macht, sollte ohne Helfer auskommen oder diese in einem äusserst loyalen Umfeld suchen, beispielsweise in der Familie. Staaten und Banken waren noch nie loyal …