Gaddafi ist ein bösartiger Narzisst

Der Psychiater stand 21 Jahre im Dienst des US-Geheimdienstes CIA. Jetzt ist Jerrold Post (75) ­Berater des Pentagons. Exklusiv analysiert er die Psyche von Muammar al-Gaddafi.

Interview: Peter Hossli Foto: Charly Kurz

jerrold_postDoktor Post, für das Pentagon und die CIA erstellen Sie psychologische Profile. Ist Muammar Gaddafi ein Irrer?
Jerrold Post: Nein. Er ist blitzgescheit und arglistig. Allerdings zerfällt sein Urteilsvermögen, wenn er Erfolg hat, oder wenn er scheitert.

Wie wirkt sich das aus?
Post: Hat Gaddafi Erfolg, wird er grössenwahnsinnig und glaubt, sogar Supermächte wie die USA herausfordern zu können. Misslingt ihm etwas oder wird er von der Welt ignoriert, richtet er ein Chaos an.

Wer ist Muammar Gaddafi?
Post: Er ist ein brillantes Wüstenkind. Als er in Tripolis zur Schule ging, foppten dumme Städter den gescheiten Landbub. Darin fusst sein tiefer Hass gegen das Establishment.

Wie stufen Sie ihn psychologisch ein?
Post: Gaddafi ist ein bösartiger Narzisst. Er himmelt die eigene Grossartigkeit an, ist paranoid und beschuldigt stets die anderen. Es mangelt ihm an Einfühlungsvermögen. Zudem ist er sehr verunsichert.

Pompös feierte er letzte Woche den 40. Jahrestag seiner Machtergreifung. Leidet er zusätzlich unter Realitätsverlust?
Post: Nein. Er steht am Ende seiner Herrscherzeit. Viele narzisstische Despoten werden im hohen Alter keineswegs milder. Sie drehen nochmals richtig auf. Oft werden sie zu Karikaturen ihrer selbst. Genau wie jetzt Gaddafi.

Ihre Analysen helfen Diplomaten, sich auf Verhandlungen einzustellen. Was ist wichtig, wenn man mit Gaddafi verhandelt?
Post: Er sucht in jedem Gespräch Anerkennung und will behandelt werden wie ein Weltstar. Wer Druck auf ihn ausübt, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Bei der geringste Beleidigung rastet er aus.

Die Schweiz hat es bisher nicht geschafft, von Gaddafi zwei Geiseln frei zu bekommen. Was macht sie falsch?
Post: Die Schweiz hat seinen Sohn verhaftet. Aus Gaddafis Sicht ist das unverzeihbar. Jetzt rächt er sich, wofür er ja bekannt ist. Viele seiner Attacken sind reine Racheakte.

Warum hat ihn die Verhaftung seines Sohnes Hannibal in Genf derart gekränkt?
Post: Es war die grösste Beleidigung, die man ihm antun konnte. Die Familie bedeutet ihm alles. Für ihn ist es unbegreiflich, dass die Schweiz es wagte, ein Familienmitglied des grossen Gaddafi anzufassen. Egal ist, was Hannibal getan hat.

Wie kann die Schweiz Gaddafi zu diesem Zeitpunkt besänftigen?
Post: Die Schweiz muss mit seinem Narzissmus spielen, indem sie andere westliche Länder dazu bringt, sein Verhalten zu verurteilen. Gaddafi will immer nur eines: Er will wichtig sein, respektiert werden.

Warum bemüht sich Gaddafi um den Respekt westlicher Politiker?
Post: Weil nur der Westen Libyen wirtschaftlich stärken kann. Er braucht internationale Investitionen, damit er seinen Söhnen ein wirtschaftlich robustes Land übergeben kann.

Wer entscheidet über das Schicksal der Schweizer Geiseln?
Post: Nur Gaddafi und seine Söhne.

Ronald Reagan bezeichnete Gaddafi einst als «Irrer des Nahen Ostens». Hilft Provokation was?
Post: Beleidigungen sind kontraproduktiv. Sie motivieren Gaddafi, erneut Vergeltung zu üben.

Gaddafi hat sieben Söhne. Wie wächst man als Kind eines solchen Despoten auf?
Post: Es ist schwierig, als Kind Gottes aufzuwachsen. Es ist anzunehmen, dass die Söhne Züge des väterlichen Verhaltens übernehmen.

Wie gefährlich ist Gaddafi noch?
Post: Es gibt etliche Despoten, die im hohen Alter noch radikaler werden.
Muss sich die Schweiz denn vor einem Terroranschlag fürchten?
Das denke ich nicht. Mit der Geiselnahme hat er sich für das gerächt, was seinem Sohn widerfahren ist.

Sie analysieren Despoten anhand ihrer Biografien. Was hat Gaddafi am meisten geprägt?
Post: Er war stets der blitzgescheite Aussenseiter. Seit Kindesbeinen glaubt er, speziell zu sein. Dann kam er an die Macht und sah sich alsbald an der Schnittstelle zwischen Islam, Afrika, der Dritten Welt und dem Nahen Osten. Alle Menschen, die dazu gehören, will er führen.

Als Kind lautete sein Übernahme «der Schöne». Litt er darunter?
Post: Er wurde wegen seiner Schönheit gefoppt. Das hat seine Aussenseiterpsychologie noch verstärkt.

Wie hat der Tot des irakischen Diktators Saddam Hussein die Stellung Gaddafis in der islamischen Welt verändert?
Post: Für ihn war Saddam Hussein der grosse Rivale. Er beneidete Hussein um die hohe Aufmerksamkeit im Westen. Sein Tod kam ihm gelegen. Nun konnte Gaddafi aus Husseins Schatten ins Rampenlicht treten.

Bei einem amerikanischen Raketenangriff starb 1986 seine Tochter. Wie hat ihn das geprägt?
Post: Für ihn war das höchst traumatisch. Despoten zeigen unter Stress oft ihr wahres Gesicht. Gaddafi ist ein Rächer. Wer ihm etwas antut, erfährt Vergeltung. Nach dem Angriff suchte er weltweit nach kleinen terroristische Organisationen, deren Anschläge er finanzierte.

Gaddafi attackierte Passagierflugzeuge, unterstützte die RAF und die IRA, liess in Discos Bomben explodieren. Warum finanzierte er westliche Terroristen?
Post: Politisch brachte ihm das nichts. Er sieht sich aber als Champion der Aussenseiter. Sein Lebenswerk ist der Kampf gegen das Establishment. Wenn er kleine terroristische Organisationen im Westen unterstützt, glaubt er Gruppen zu helfen, die das Establishment bekämpfen.

Er nennt sich ein «islamischer Sozialist». Was meint er damit?
Post: Seine Überzeugungen sind bizarr und hauptsächlich geprägt durch seinen persönlichen Stil. Gaddafi ist kein rationaler Mensch. Er handelt emotional. Erst nach einer Tat versucht er, sie zu rationalisieren.

Auf wen hört Gaddafi?
Post: Auf niemanden. Er ist das einzige Mitglied seines Rats der Weisen.

Wie wichtig ist ihm die Familie?
Post: Nichts ist für Gaddafi wichtiger. Er unternimmt derzeit alles, damit Libyen in den Händen der Gaddafis bleibt. Weil er das Land den Söhnen übergeben will, hat er sich unlängst gemässigt. Deshalb verzichtet er auf Massenvernichtungswaffen.

Despoten haben oft ein komplexes Verhältnis zu Frauen. Wie ist das bei Gaddafi?
Post: Sagen wir mal, es ist sonderbar. Interviews gibt er eher westlichen Reporterinnen als Reportern. Sie berichten, er sei sehr verführerisch.

Auf Fotos sieht er aus, als konsumiere er öfters Drogen. Wahr?
Post: Das weiss ich nicht.

Sie haben über 100 psychologische Profile erstellt. Mit welchem anderen Despoten ist Gaddafi am ehesten zu vergleichen?
Post: Gaddafi ist einzigartig in seiner bizarren Unsicherheit, seinen eigenartigen Ansichten und den abrupten Handlungen. Sein Führungsstil ist hochgradig eigensinnig.