Interview: Peter Hossli und Hannes Britschgi
Als Hoffnungsträger übernahm der ehemalige Finanzminister Kaspar Villiger (68) Mitte April das Präsidium des Verwaltungsrats der angeschlagenen Crossbank UBS. Der einstige Zigarrenfabrikant legte Verwaltungsratsmandate bei Nestlé, NZZ und Swiss Re nieder. Mit neuem Management leitete er bei der UBS Reformen ein. Im Bundesrat sass der Luzerner FDP-Mann von 1989 bis 2003. Zuerst stand er dem Militärdepartement vor, ab 1996 dem Finanzdepartement.
Herr Villiger, was ist das Beste am Vergleich zwischen den USA und der Schweiz?
Kaspar Villiger: Aus Sicht der UBS, dass der Mühlenstein an unserem Hals weg ist. Aus staatsbürgerlicher Sicht, dass alles rechtsstaatlich gelöst wird.
Die Schweiz jubelt, die USA jubeln. Das macht misstrauisch.
Villiger: Kompromisse sind gut, wenn beide Parteien Hurra rufen oder sich beklagen. Hauptsache, sie sagen das Gleiche. Die US-Steuerbehörde hat ein Interesse, den Vergleich propagandistisch zu nutzen, um Druck zu machen. Der Druck richtet sich aber nicht mehr gegen die UBS.
Am Tag nach dem Vergleich reichten die USA Strafklage gegen einen Ex-UBS-Banker und einen Schweizer Anwalt ein. Ihre Bank kommt also nicht zur Ruhe.
Villiger: Amerikaner machen wahnsinnig viel Lärm. Ist das Problem mal erledigt, sind die Töne wieder freundschaftlicher. Diese Strafklagen betreffen uns nicht.
Zuletzt handelten nur die beiden Regierungen den Vergleich aus. Hat die UBS überhaupt noch etwas dazu beitragen können?
Villiger: Ich habe Gespräche geführt mit US-Notenbankchef Ben Bernanke und seinem Amtsvorvorgänger Paul Volcker. Konkreten Einfluss nahm ich damit nicht. Ich wollte darlegen, dass die Bank einen neuen Geist hat. Im Rahmen des Vergleichs hat die UBS eine grosse Leistung erbracht, um festzustellen, wie viele Konten den Kriterien für Steuerbetrug und dergleichen entsprechen. Es sind etwa 4450.
Das heisst, die UBS hat die Betrüger vorab schon mal gezählt?
Villiger: Nicht jeden einzelnen. Wir haben strukturierte Schätzungen vorgenommen. Wir entscheiden aber nicht, wer betrogen hat und wer nicht.
Ist es für UBS-Kunden nicht stossend, dass die Bank ihnen zuerst beim Steuerbetrug half und sie nun als Betrüger aussortiert?
Villiger: Kunden haben das Vertrauen in die UBS verloren. Das ist klar. Die Bank hat etwas getan, das sie nicht hätte tun dürfen.
Erst war die Bank Komplizin, dann Henkerin.
Villiger: Die Kunden sind nicht bloss harmlose Opfer. Sie haben gewusst, was sie hinterziehen wollen. Sie haben derBank abervertraut, dassesfunk-tioniert. Jetzt müssen wir das korrigieren.
Die UBS tut das, indem sie US-Kunden aus der Bank wirft.
Villiger: Es ist nicht schön, Kunden fortzuschicken. Es blieb uns aber keine Wahl.
Die Kunden, auch Auslandschweizer, sind empört, weil die UBS sie panikartig rausstellt.
Villiger: Es ist Teil der Abmachung mit der Steuerbehörde. Am Anfang haben wir das nicht subtil genug getan. Jetzt reden wir oft über das Problem. Meine Schwester hat Freunde in Amerika. Sie haben unseren Brief erhalten. Sie riefen meine Schwester an und fragten, was ihr Bruder da tun könne. Ich kriege oft E-Mails von Kunden und habe Verständnis für ihren Frust. Wir offerieren unseren Kunden jetzt aber Lösungen im Einklang mit US-Bestimmungen.
Bankiers in Liechtenstein sagen neustens: «Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kunden Steuern ordentlich bezahlen.» Auch ein Weg für die UBS?
Villiger: Wir sind nicht verantwortlich, ob jemand Steuern zahlt. Beihilfe zur Hinterziehung dürfen wir aber nicht leisten. Wir sollten Kunden ermuntern und ihnen Wege zeigen, wie sie aus der Falle rauskommen.
Die UBS und die Schweiz stehen in der Pflicht, in einem Jahr 4450 Kundendossiers zu bearbeiten. Eine enorme Aufgabe, die sehr viel kostet. Zahlt die UBS mit?
Villiger: Wenn der Bund die Kosten vergütet haben will, dann machen wir das.
Die UBS finanziert die Aufarbeitung ihrer Vergehen. Entsteht da nicht eine Befangenheit?
Villiger: Ihre Frage unterstreicht typisch die schweizerische Situation. Zahlen wir nicht wegen der staatlichen Hoheit, heisst es, die UBS zahle nicht mal. Bieten wir an zu zahlen, heisst es, es entstünde Befangenheit.
Ein Dilemma eben.
Villiger: Es ist nicht mein Dilemma. Der Bund muss darüber entscheiden.
Man kann es beklagen oder feiern: Heute deckt das Bankgeheimnis Steuerhinterziehung nicht mehr.
Villiger: In einem demokratischen Staat mit demokratisch legitimierten Steuern ist eine fortgesetzte, schwere, organisierte, systematische Steuerhinterziehung nicht einfach ein Kavaliersdelikt, das vom Bankgeheimnis geschützt werden kann.
Was bedeutet das für die Zukunft des Swiss Banking?
Villiger: Solange es instabile Länder mit instabilen Währungen gibt, bleibt das Bedürfnis, einen Teil des Vermögens in stabilen Ländern mit stabiler Währung anzulegen.
Dann bleibt also alles beim Alten?
Villiger: Schweizer Banken versteckten sich jahrelang hinter dem Bankgeheimnis. Kunden haben eine tiefere Performance akzeptiert, weil ihr Geld in der Schweiz sicher war. Mit dem Wegfall der Unterscheidung zwischen Betrug und Hinterziehung ist die Konkurrenz grösser geworden. Jetzt muss die Leistung der Schweizer Banken besser werden, als sie bisher war. Es braucht perfekten Service und gute Performance.
Müssen wir uns auf den freien Datenaustausch vorbereiten, wie das Liechtenstein tut?
Villiger: Aus Asien höre ich klare Signale, dass der automatische Informationsaustausch nicht globaler Standard wird.
Viele Europäer drängen darauf.
Villiger: Europa muss sehr gut überlegen, ob es auf darauf beharrt. Es besteht ein erhebliches Risiko der Verschiebung grösserer Vermögen in den asiatischen Raum. Dieses Geld wird der europäischen Wirtschaft und dem Fiskus fehlen. Mit einer Abgeltungssteuer wäre es beispielsweise möglich, das Kapital in Europa zu behalten.
Die UBS hat fast zwei Jahre nur Verluste geschrieben. Wann ist die Bank wieder flott?
Villiger: Vertrauen ist unser Hauptkapital. Davon haben wir viel verspielt. In den letzten Monaten haben wir einige vertrauensbildende Ziele erreicht. Das US-Problem ist gelöst. Wir haben uns vom Staat gelöst, was wichtig ist. Der Markt hat grösseres Vertrauen in Banken, die nicht auf den Staat angewiesen sind. Zudem haben wir das Management und den Verwaltungsrat ersetzt. Die Kapitalisierung ist solider als vor drei Monaten. Risiken bauten wir ab, die Bilanz wurde verkleinert. Zuletzt erzielten wir einen operativen Gewinn. All das hat sich an den Märkten positiv ausbezahlt.
Dann ist die UBS über dem Berg?
Villiger: Der Grossteil der Arbeit steht noch bevor. Wir müssen zur Profitabilität zurückfinden. Im November präsentieren wir eine neue Strategie. Alle 70000 Angestellten müssen vorleben, dass der Kunde und nicht der Bonus im Zentrum steht.
Wer sind die Grossaktionäre, die das Aktienpaket des Bundes übernommen haben?
Villiger: Es sind internationale, auch angelsächsische institutionelle Anleger. Das ist ein Vertrauensbeweis.
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey sagt öffentlich, sie sei sauer auf die UBS. Verstehen Sie das?
Villiger: Ja, denn ich bin gleicher Meinung. Auch ich bin sauer auf die UBS. Aber Calmy-Rey hätte sagen sollen, sie sei sauer auf die alte UBS.
Viele Schweizer ärgern sich, dass die UBS straffrei davonkommt. Verstehen Sie diesen Arger?
Villiger: Die UBS kommt nicht straffrei davon. Sie zahlt einen hohen Preis, hat hohe Verluste erzielt, eine Strafe von fast einer Milliarde Franken bezahlt und einen Prestigeverlust erlitten. Die UBS wurde härter bestraft als jede andere Bank.
Sie haben ein Jahr, um den US-Fall abzuwickeln. Was wünschen Sie sich für die Bewährungszeit?
Villiger: Dass unsere eigenen Leute wieder Vertrauen schöpfen. Jeder Mitarbeiter muss zugleich realisieren, dass wir am Zug sind. Der Erfolg in Amerika darf uns nicht in eine falsche Sicherheit versetzen. Von der Öffentlichkeit wünsche ich mir Geduld. Wunder können wir nicht vollbringen.