Von Peter Hossli
Wer es in New York schaffe, sang einst Frank Sinatra inbrünstig, schaffe es überall. Nirgends war das zutreffender als bei der Bleibe. Unmöglich erschien es, in der Weltmetropole eine gute Wohnung zu finden. Für sehr viel Geld gab es sehr wenig Platz. Makler knüpften bis zu drei Monatsmieten für die Vermittlung ab. Hausbesitzer konnten die Jahresmiete im Voraus kassieren. Für Investoren war ein Eigenheim in Manhattan eine unerschütterliche Anlage. Preise bewegten sich nur nach oben.
Das ist vorerst passé. Die Rezession hat den Wohnungsmarkt in New York erreicht. Preise purzeln. Makler drehen untätig Daumen. Mancherorts bleiben neue, noch nicht verkaufte Wohntürme im Rohbau stehen, weil der Bauherrschaft das Kapital ausgegangen ist.
Preissturz um 25 Prozent
Entlang dem East River im Quartier Williamsburg in Brooklyn etwa ragen fertig gestellte gläserne Hochhäuser gegen den Nachthimmel. Nur wenige Wohnungen sind hell. Manche stehen leer. Kürzlich gestartete Grossprojekte in Queens und Brooklyn liegen wohl jahrelang auf Eis. Wo Presslufthammer krachen sollten, wächst in aller Stille Unkraut.
Über 60 Prozent weniger Wohnungen wurden im ersten Quartal 2009 allein in Manhattan verkauft. Die Preise fielen um 25 Prozent. Von «Great Recession»-Rabatten ist die Rede, dies in Anlehnung an die Grosse Depression. Für Ausländer mit Kapital wird das begehrte New Yorker Heim durch den tiefen Dollar zusätzlich verbilligt.
Entlassungswelle drückt massiv
Besonders drückt die Entlassungswelle auf den Immobilienmarkt. Rund 121 000 Stellen gehen dieses Jahr in New York verloren, schätzt der städtische Kostenprüfen. Nächstes Jahr dürften es weitere 83 000 werden. Hausenteignungen, bis vor kurzem noch spärlich in New York, sind nun alltäglich. Sechs Prozent des New Yorker Wohnraums wurde infolge der Rezession zwangsenteignet. Betroffen ist aber auch das Hochpreissegment. Banker, die Job und Bonus verloren haben, bieten ihre Luxusbehausungen günstig feil. Gerade 29 Wohnungen im Wert zwischen 20 und 100 Millionen Dollar waren vor zwei Jahren auf dem Markt. Von einem Engpass war damals die Rede. Mittlerweile stehen über 350 Behausungen im teuren Segment leer.
Mit massiven Verlusten gehen sie weg. Ein Jahr lang auf dem Markt war die 17-Zimmer-Wohnung von Abigail Disney, einer entfernte Verwandten Walt Disneys. Erst nachdem sie den Preis von 13,5 auf 7,5 Millionen Dollar senkte, konnte sie die Wohnung abstossen.
Schätzungsweise sechs Jahre werde es dauern, bis das Luxusinventar abgebaut ist. Vorausgesetzt, die Lage wird nicht noch dramatischer. In neun von zehn US-Städten seien die Hauspreise gefallen, gab der Branchenverband National Association of Realtors bekannt. Hat sich die Situation im Westen Amerikas beruhigt, beginnt die Immobilienkrise New York erst jetzt zu erfassen. Das drückt auf die Psyche der Stadt. Immobilien bieten in New York weit mehr als ein Dach über dem Kopf. Sie sind das Hobby und der Fetisch der Grossstädter. Ob auf Partys, in der Arbeitspause oder unter Eltern auf dem Spielplatz – kein Thema kommt rascher aufs Parkett. Lautete kürzlich die erste Frage «Um wie viel hat der Wert deiner Wohnung zugenommen?», heisst sie nun: «Musst du verkaufen? Mit wie viel Verlust?»
Bei Vertragsabschluss Mieterlass
Die Anekdoten unterscheiden sich von jenen, die noch vor kur- zem die Runde machten. War es einst üblich, den abgelaufenen Mietvertrag mitsamt Mieterhöhung möglichst rasch zu erneuern, warten Mieter derzeit ab. Es ist ein Leichtes geworden, mit den Eigentümern eine Mietreduktion auszuhandeln. Oft wechseln Wohnungen ohne Makler den Mieter. Es ist üblich, bei Vertragsabschluss zwei Monate Mieterlass zu kriegen. Leute, die Wohnungen kaufen, bieten weniger als den bereits reduzierten Preis – und erhalten dennoch den Zuschlag.
Schnäppchenjäger finden tolle Angebote. Ein Paar, das bereits eine Wohnung in Brooklyn besitzt, verkauft diese nun mit Verlust, um zwei nebeneinanderliegende zu posten und sie zu kombinieren. «Es ist derzeit so günstig, wer jetzt kauft, kann gar nichts verlieren», sagt einer der beiden Käufer. Derweil liebäugeln jene, die infolge des Booms und exorbitanter Preise in die Aussenquartiere oder nach New Jersey gezogen sind, mit der Rückkehr nach Manhattan. Zumal die Mietpreise auf der gefragten Insel 15 bis 20 Prozent gesunken sind.
Insbesondere der Stadtteil Brooklyn gewann in den letzten Jahren an Popularität bei Familien und kreativen Leuten. Tiefere Mietpreise lockten sie in Scharen von Manhattan weg. Brooklyn ist en vogue – und wird nun doch verlassen. Zwar liegt der durchschnittliche Preis für Zweizimmerwohnungen in Brooklyn mit 1900 Dollar nach wie vor unter dem Preis von 2400 Dollar in Manhattan. «Aber», sagt eine Grafikerin, die jüngst von Brooklyn nach Chelsea in Manhattan zog, «jetzt kann ich mir Manhattan endlich wieder leisten.»