Die Stil-Ikone der Rezession

Die amerikanische First Lady Michelle Obama ist die Stil-Ikone der Rezession. Statt Pomp pflegt sie das Image der bescheidenen Hausfrau und Mutter. Sie trägt bescheidene Kleider von heimischen Schneidern. Diese freuen sich über den Imagegewinn, denn die amerikanische Kleiderbranche hats dieser Tage nicht unbedingt leicht.

Von Peter Hossli

michellePopulärer als der amerikanische Präsident ist nach 100 Tagen Amtszeit nur die First Lady. 76 Prozent der Amerikaner sagen, Michelle Obama erfülle ihre Aufgabe bestens. Hingegen hat ihr Gatte Barack Obama den Zuspruch von 73 Prozent der Amerikaner. «New York Times»-Kolumnistin Maureen Dowd ging so weit und wünschte «Michelle statt Barack» im Oval Office, der Amtsstube des US-Präsidenten. Eine StilIkone ist die muskulöse Michelle Obama. In Fitnessstudios würden Frauen vermehrt ihre Oberarme trimmen, ist zu hören. Gesellschafts- und Modereporter feiern die Juristin und Mutter zweier Töchter als Nachfolgerin von Jackie Kennedy. Die war von 1961 bis 1963 First Lady und setzte Trends wie sonst niemand.

J Crew braucht das Weisse Haus

Fiel Kennedy durch dezenten Pomp auf, gefällt Lady Obama der Wirtschaftslage angepasst mit stilvoller Bescheidenheit. Heimische Kleider ab Stange trägt sie bei Auftritten oder auf Titelseiten von Hochglanzmagazinen. Zwar zieht sie sich bei Empfängen schon mal ein europäisches Designerkleid über. Bevorzugt kleidete sie sich jedoch bei J Crew ein. Das ist ein preisgünstiges US-Label, das mittelständische Frauen in Mittelamerika tragen. Frauen, die zugleich Mütter und berufstätig sind. Modisch liegt es auf dem dünnen Grad zwischen bieder, praktisch und elegant › wie Michelle Obama.

J Crew, ein börsenkotierter Konzern mit Sitz in New York, freut der Zuspruch. Als Obama noch Präsidentschaftskandidat war, pries Michelle in der «Tonight Show with Jay Leno» J Crew als Lieblingsmarke. Prompt verfünffachten sich die Zugriffe auf die Firmen-Website. Seit Michelle Obama und ihre Töchter Malia und Sasha der Amtseinführung in Stoffen von J Crew beiwohnten, hat sich Aktienpreis des Konzerns verdoppelt. Wegen enormer Nachfrage schloss der Online-Shop zwischenzeitlich. Eine Warteliste legte J Crew für Bluse, Rock und Strickjacke an, die Michelle im März auf der Titelseite des Modeheftes «Vogue» anhatte.

michelle2Gar den Hauch des Majestätischen verlieh die First Lady J Crew im April. Beim Besuch der englischen Queen trug sie ein 300 Dollar teures Kleid. Anderentags wurden Duplikate auf Ebay bereits für 600 Dollar gehandelt. Für die Herbstkollektion nimmt J Crew Roben ins Sortiment, die eigens für die First Lady angefertigt wurden. Ein Bestseller sollen grüne Handschuhe werden, die sie an der Inauguration trug. Auf den Impuls aus dem Weissen Haus ist J Crew angewiesen. Im letzten Quartal von 2008 verlor die Firma 13,5 Mio. Dollar bzw. 13 Prozent Umsatz. Zur selben Zeit im Vorjahr verbuchte J Crew noch einen Gewinn von 25 Mio. Dollar.

Auch Talbots hofft auf Trendwende

Dass die First Lady die Trendwende der ramponierten Modebranche bringt, hofft auch Talbots, ein amerikanischer Schneider, der Frauen über 40 bedient. 128 Mio. Dollar Verlust schrieb Talbots im letzten Quartal. Nachdem das Magazin «Essence» Michelle Obama auf dem Titel in einem Seidenkleid von Talbots zeigte, schnaufte die Marketingabteilung auf. «Wir sind nun in der Lage, das Image von Talbots zu verändern», sagte Pressesprecherin Lori Wagner zu «Time» › solange die First Lady weiterhin Talbots-Kleider anziehe. Der Titel habe die Zugriffe auf die Website bereits drastisch erhöht, erklärte die Sprecherin. Das ist erstaunlich, zumal nicht mal die Hälfte der Amerikaner Michelle Obama gemocht hat, als ihr Mann letzten August zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde. Sie hatte Patrioten entrüstet, als sie sagte, die Wahl Obamas mache sie «erstmals in meinem Leben» stolz, Amerikanerin zu sein. Als sich die geball- ten Fäuste des schwarzen Paares vor laufenden Fernsehkameras zum Gruss trafen, vermuteten konservative Kommentatoren hinter Michelle eine radikale Aktivistin.

michelle3Seit sie im Weissen Haus lebt, hat sich das Image gewandelt. Sie tritt in vormittäglichen Fernsehsendungen für Hausfrauen auf, gibt sich als fürsorgliche Mutter und serviert Obdachlosen heisse Suppe. Die Schule der Töchter ist ihr wichtiger als Partys mit Leuten aus der feinen Gesellschaft. Volksverbunden eifert sie Eleanor Roosevelt nach. Pflanzte die damalige Landesmutter der Grossen Depression im Park des Weissen Hauses einst Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln, legt Michelle Obama nun an selber Stelle einen biologischen Gemüsegarten an.

Düngemittelproduzenten klagen

Bereits profitiert hat davon die biologische Landwirtschaft. Merklich zugenommen hat in Supermärkten die Nachfrage nach biologisch angepflanzten Nahrungsmitteln. Dank First Lady Michelle Obama sind Bioprodukte nun chic und gehören nicht mehr nur zum Lebensstil der Alternativen und Körnlipicker.

Sorgen bereitet dies indes den Düngemittelproduzenten des Landes. Per Brief ans Weisse Haus beschwerte sich die Lobby-Organisation Mid America CropLife Association, die First Lady habe beim Biogarten die Bedeutung der «konventionellen Landwirtschaft» nicht herausgestrichen. Bei solchem Einfluss bedauert die angeschlagene Autoindustrie, dass die First Lady kein privates Auto fährt. Detroit hätte die Unterstützung einer Stil-Ikone nun wirklich dringend nötig.