Brief der Hoffnung

Per Brief richtet sich die Eidgenossenschaft zu Gunsten der UBS an ein US-Gericht. Sie will damit den Finanzplatz Schweiz retten. Die Strategie birgt Risiken.

Von Peter Hossli

ubs.jpgDer Auftrag von Stephan Becker ist erfüllt. Während Wochen hat der bärtige amerikanische Jurist in Washington einen mehrseitigen Brief verfasst. Diesen übergibt die Eidgenossenschaft am Donnerstag in Form einer amicus curiae – Botschaft eines Freundes des Gerichts – in Miami Richterin Joan Lenard. Sie betreut die Zivilklage, mit der die US-Steuerbehörde IRS Namen von 52’000 Amerikanern verlangt, die bei der UBS in der Schweiz zwischen 2001 und 2007 Konten hatten. Eine Klage, die «wie ein Damoklesschwert über dem Zürcher Paradeplatz hängt», heisst es. Verliert die UBS, darbt der Finanzplatz Schweiz.

Mit der amicus curiae führt die Schweiz juristische Beweise zu Gunsten der UBS. Nicht Parteien eines Rechtsstreits, betroffene Dritte reichen sie ein – falls das Gericht Betroffenheit anerkennt. Da die Zivilklage gegen UBS das Bankgeheimnis und somit eine Stütze der helvetischen Volkswirtschaft bedroht, «war die Betroffenheit der Schweiz rasch ersichtlich», wissen Diplomaten.

Ein in den USA zugelassener Anwalt muss das Schreiben einreichen. Seit Jahren dient Becker der Schweiz als Vertrauensanwalt. Vor neun Jahren etwa verfasste er in einer Klage gegen Schweizer Versicherungen eine amicus curiae. Becker, dessen Büro zwei Meilen vom Weissen Haus entfernt liegt, gilt als famoser Kenner grenzüberschreitenden Rechts.

Wie er im Fall UBS argumentiert, sagt er auf «Anweisung meiner Klientin, der Schweiz» nicht. Das diesbezüglich federführende EDA will den Inhalt des Briefes noch nicht kommentieren, da er erst von «oberster Stelle» abgesegnet werden müsse, also vom Bundesrat.

Beckers Hauptargument liege wohl bei der «konkurrenzierenden amerikanischen und Schweizer Gesetzgebung», sagt Rechtsprofessor Vikramaditya Khanna von der Michigan University. Werde der UBS gerichtlich auferlegt, Kundennamen preiszugeben, mache sie sich in der Schweiz strafbar. Weigert sie sich, würde sie ein Urteil eines US-Gerichts missachten. Das könnte unter dem im Februar abgeschlossenen Deferred Prosecution Agreements als Vergehen erachtet werden und dürfte zur Strafanzeige gegen die UBS führen. Ergebnislos hätte die Bank 780 Millionen Dollar bezahlt.

Die Schweiz argumentiere, glaubt Khanna, das Bankgeheimnis sei nicht absolut. Im Falle von Steuerbetrug würde ja kooperiert werden. «Das erhöht die Chance, dass das US-Gericht Schweizer Recht und somit das Bankgeheimnis respektieren wird.» Die Schweiz könne überdies vortragen, das zwischen UBS und IRS geschlossene Qualified-Intermediary-Agreement erlaube es Amerikanern unter gewissen Bedingungen durchaus, in der Schweiz Konten zu haben.

Leute, die den Inhalt des Schweizer Briefes kennen, sagen, zahlreiche Präzedenzfälle seien erwähnt, in denen US-Gerichte ausländische und sogar Schweizer Gesetze respektiert hatten. Insbesondere setze die Schweiz auf einen fast identischen Fall aus dem Jahr 1992. Damals respektierte ein kalifornisches Gericht nach einer amicus curiae Grossbritanniens, das Bankgeheimnis. Allerdings, warnt ein Jurist, müsse das für die UBS zuständige Gericht in Florida besagten Präzedenzfall nicht per se berücksichtigen. Eher folge es einem anderen Gericht, das einst die Bank of Nova Scotia zur Preisgabe von Kundendaten zwang.

In der amicus curiae werde wohl hingewiesen, die Zivilklage der IRS sei «sehr vage» und «übermässig allgemein», ist zu vernehmen. Ein riskanter Wortlaut. Ist der Brief herablassend oder zu aggressiv formuliert, käme das bei Richterin Lenard schlecht an, sagt Rechtsprofessor John Coffee von der Columbia University. «Zuallerletzt sollte die Schweiz das Gericht erzürnen», sagt er. Coffee hält die amicus curiae für wenig hilfreich. «Ausländische Regierungen reichen in den USA solche Briefe häufig ein», sagt er. «Sie werden nicht ignoriert, aber die Wirkung ist oft gering.» Zumal sich die Beweisführung selten von jener der gestützten Partei – hier die UBS – unterscheide.

Ohnehin ist der Brief nur Teil der Strategie, die Klage gegen die UBS wegzubringen. Es wird auf diplomatischer Ebene nach Wegen gesucht, damit die IRS die Klage ohne Gesichtsverlust zurückzieht. Möglich sei das, wenn sich viele Amerikaner mit geheimem UBS-Konto freiwillig melden und der IRS eine Busse zahlen. Dann hätte die Klage ihre zentrale Aufgabe kerfüllt: Amerikaner mit Vermögen in Steueroasen zur Anzeige zu verleiten.

Am Dienstag beginnen derweil die Verhandlungen über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Amerika. Die erste Runde findet in Bern statt, «quasi mit Heimvorteil», tönt es hoffungsvoll.

Demnach teilt die Schweiz das Ansinnen der UBS, wonach die Klage auf diplomatischem, nicht juristischem Weg bewältigt werden sollte. Die Wunschvorstellung der Schweiz: Kann die USA das neue Abkommen beim Kongress als Erfolg anpreisen, zieht sie die UBS-Klage zurück – und nimmt andere Länder ins Visier.