Von Peter Hossli
Auf 135 Seiten ruft US-Präsident Barack Obama die «Neue Zeit der Verantwortung» aus. So lautet der Titel des am Donnerstag veröffentlichten Kommentars zum Budget 2010. Demnach kostet ein Jahr Amerika 3552 Milliarden Dollar.
Versteckt auf Seite 93, unten rechts, steht eine Passage, die den Wirtschaftsstandort Schweiz aufschreckt. Das amerikanische Finanzministerium «zieht Steuern hier und im Ausland ein», heisst es über einem Abschnitt, in dem Obama der US-Steuerbehörde mehr Geld zur Bekämpfung von Steueroasen zuteilt. Bewältigen soll sie Aufgaben, die ihr «die Bandbreite, die Komplexität und die schiere Grösse des internationalen Finanzsystems» aufbürde. Die «jährliche Lücke von über 300 Milliarden Dollar» will er schliessen, die zwischen geschuldeten und erhaltenen Steuern klaffe.
Mit dem Budgetvorschlag tritt Obama offiziell den Angriff gegen Steueroasen los. Er folgt auf eine Initiative von drei demokratischen Parlamentariern, die letzte Woche einen Brief an die Budgetabteilung des Weissen Hauses schickten. Darin verlangten Senator Carl Levin sowie die Repräsentanten Lloyd Doggett und Rosa DeLauro den Einbezug von «Schritten, um Steuerlücken» zu schliessen – mit «den Massnahmen aus dem Stop Tax Haven Abuse Act». Das ist ein angriffiges Gesetz zur Trockenlegung von Steueroasen. Es wurde 2007 erstmals im Senat eingereicht, lief dann aber aus. «Demnächst reichen wir den Stop Tax Haven Abuse Act wieder ein», schreiben die drei Kongressleute nun.
Das Gesetz, einst mitverfasst vom damaligen Senator Obama, zielt weltweit auf Bankgeheimnisse. «Offshore-Geheimhaltung» soll bewusst «bekämpft werden». Auf einer ersten schwarzen Liste sind 34 Länder als Oasen für steuerflüchtige Amerikaner und Firmen genannt, darunter die Schweiz. Schon in den nächsten Wochen ist eine neue Liste zu erwarten. «Es ist sehr wichtig, dass die Schweiz dafür sorgt, nicht auf dieser Liste zu erscheinen», sagt Martin Naville von der Swiss-American Chamber of Commerce. «Es muss jetzt proaktiv festgehalten werden, dass die Schweiz kein Steuerparadies ist, sondern vorbildlich gegen Geldwäscherei und internationalen Terrorismus ankämpft.»
Weitreichende Möglichkeiten sähe das Gesetz für US-Behörden vor, auf ausländischen Finanzplätzen Daten von Bankkunden einzufordern. Banken, die sich nicht fügen, dürften beispielsweise von der Kotierung an amerikanischen Börsen ausgeschlossen werden. US-Pensionskassen könnte es untersagt werden, bei widerborstigen Konzernen anzulegen.
Vorgehen wollen die Briefschreiber und Präsident Obama überdies gegen US-Firmen, die Gewinne an ausländische Tochterfirmen weiterreichen. Jährlich 100 Milliarde Dollar verliere die US-Regierung, weil 83 der 100 grössten amerikanischen Unternehmen ihre Gewinne ausserhalb der USA zu günstigeren Konditionen versteuern. Viele davon tun das auch in der Schweiz, geht aus einem im Dezember publizierten Bericht der Kontrollstelle der US-Regierung hervor. Demnach unterhalten 72 der 100 grössten börsenkotierten US-Unternehmen in der Schweiz oft mehrere Ableger. Vertreter sind Konzerne wie American Express, General Motors, Coca-Cola und Pepsi, IBM und Procter & Gamble.
Illegal ist das nicht, der neuen amerikanischen Regierung jedoch ein Dorn im Auge. Die Gesellschaften entrichten Offshore geringere Steuern als in den USA und verlagern daher Teile ihre Tätigkeiten ins Ausland. Als «grössten Steuerbeschiss aller Zeiten» bezeichnete dies Kandidat Obama im Wahlkampf und versprach, trotz Gegenwehr von Tausenden Lobbyisten dagegen vorzugehen.
Mit Konsequenzen für die Schweiz. «Bisher ging man davon aus, dass nur der Bankensektor betroffen war», sagt Jörg Walker, Leiter Steuern KPMG Schweiz. Nun erhalte die Debatte eine neue Dynamik und somit eine grössere Dimension. «Bald könnte auch die Realwirtschaft betroffen sein», sagt Walker. US-Gesellschaften, das heisst Töchter von amerikanischen Unternehmen, könnten gezwungen werden, für in der Schweiz erwirtschaftete Einkünfte auch dem US-Fiskus Steuern abzuliefern. Das gefährde die Vorteile des Wirtschaftsstandortes Schweiz.
Es sei «eine Katastrophe, dass die Schweiz überaupt auf Listen und in solchen Berichten erscheint», sagt ein schweizerischer Wirtschaftsförderer und spricht von «miserabler PR der Schweizer Behörden». Die Schweiz sei ein Ort mit niedrigen Steuern, nicht ein Land, wo Gewinne versteckt werden, müsste die Botschaft lauten.
Passiv sind die Behörden nicht. Seit eineinhalb Jahren nehmen Schweizer Diplomaten in Washington die gesetzlichen Initiativen sehr ernst. Mit Verve versuchen sie derzeit, die Schweiz von der rufschädigenden amerikanischen Länderliste der Steuerparadiese zu wegzubringen.
Allzu lange fühlte sich die Schweiz wohl zu sicher. Der republikanische Präsident George W. Bush hätte den Stop Tax Haven Abuse Act nie unterzeichnet, wussten sie. Nun ist vieles anders. Mit Barack Obama regiert ein Demokrat im Weissen Haus, der Ko-Autor dieses Gesetzes war. Zur Seite steht ihm der demokratisch kontrollierte Kongress. Will er ein Gesetz verabschieden, kann er es qua seines Amtes durch das Parlament pressen. Ein Zürcher Wirtschaftsförderer: «Für die Schweiz wäre es besser, John McCain wäre Präsident geworden.»