3800 illegale Treffen in Amerika

Vertrauliche E-Mails und Details aus der Klageschrift zeigen, dass die Schweizer Grossbank in den USA ein eigentliches Geheimsystem unterhielt, mit dem sie Kunden beim Steuerbetrug half.

Von Peter Hossli

Ziemlich aufgeregt tippte UBS-Banker Franz Odermatt am 27. April 2001 ein E-Mail an seinen Kollegen Gian Pietro Rosetti. «Sehr geehrter Herr Rosetti – Eine vertrauliche Information an Sie (falls sie stimmt).» Gehört hatte Odermatt, die amerikanische Steuerbehörde IRS hätte «vor rund drei Wochen hier in der Schweiz eine Undercover-Aktion» gestartet. Deren Ziel: «Die QI-Prozedere der Schweizbanken im Falle von US-Staatsbürgern in einem Feldversuch 1:1 zu testen.»

Prüfen würden US-Beamte, ob schweizerische Bankkundenberater Ratschläge «zur Umgehung der QI-Problematik» erteilen. Die Amerikaner wollten demnach wissen, ob die Vereinbarung über die Behandlung von US-Kunden verletzt werde. Die UBS und fast alle anderen Schweizer Banken hatten das Qualified-Intermediary-Abkommen (QI) im selben Jahr mit der IRS geschlossen. «Die IRS-Leute agieren hier in der Schweiz offenbar mit dem Einverständnis der Schweizer Steuerbehörden!», vermutete Banker Odermatt.

Am 2. Mai schickte Rosetti das brisante E-Mail mit dem Vermerk «FYI» – zur Kenntnisnahme – an diverse Banker weiter. Unter den Empfängern waren der heutige UBS-Chef Marcel Rohner, der letztes Jahr lange Zeit in Florida festgehaltene Martin Liechti sowie der unlängst in den USA strafrechtlich angezeigte Raoul Weil.

Stellung nahm Hansruedi Schumacher, der damalige Head of a Business Sector in Private Banking der UBS. Er hege «leichte Zweifel» am Bericht zur Undercover-Aktion, schrieb Schumacher. «Aber um sicher zu sein, weise ich alle Kundenberater an, bei einem ersten Kundenkontakt Vorsicht walten zu lassen in Sachen QI, mögliche Strukturen, etc.» Lösungen, das QI zu umgehen, sollten nur Kunden angeboten werden, «die uns seit einiger Zeit bekannt sind». Überschrift von Schumachers Nachricht: «Bitte vertraulich behandeln.»

Der E-Mail-Verkehr spricht Bände und verdeutlicht: Bereits kurz nach dem Abschluss des QI-Agreements Anfang 2001 war UBS-Bankern bis in die Chefetage die Problematik mit den US-Behörden voll bewusst. Es schien allgemeine Geschäftspraxis, dass «mögliche Strukturen» angewandt wurden, um das QI zu umgehen – was einem klaren Vertragsbruch mit den USA gleichkommt und Steuerbetrug begünstigt.

Das E-Mail ist Teil der Beweisführung einer Zivilklage, die das US-Justizdepartement für die IRS letzten Donnerstag in Miami gegen die UBS AG eingereicht hat. Die Klage erfolgte, einen Tag nachdem die UBS mittels eines so genannten Deferred Prosecution Agreement (DPA) durch die Herausgabe von rund 250 Kundennamen und der Zahlung von 780 Millionen Dollar einer Strafanzeige entkommen war.

In der darauf folgenden Zivilklage verlangt die US-Regierung die Herausgabe von 52 000 «nicht deklarierten» Kontendaten von US-Bürgern, die 2004 bei der UBS in der Schweiz Konten hatten. Das Gesamtvermögen betrug 17 Milliarden Franken. Die Zahlen gehen aus einer detaillierten, internen und vertraulichen Aufstellung der UBS hervor, die Teil der Klageschrift ist.

Überraschend kam die Klage nicht. «Die UBS wusste, dass eine Zivilklage folgt», sagt Rechtsprofessor John Coffee von der Columbia University. «Mit dem DPA hat die UBS erhalten, was sie zualler-erst anstrebte. Sie kann jetzt mit juristischen Mitteln eine weit umfangreichere Herausgabe von Kundendaten anfechten, ohne dabei Gefahr zu laufen, strafrechtlich verfolgt zu werden.»

Allerdings warnt Coffee: «Es ist durchaus möglich, dass Widerstand gegen die Zivilklage unter dem Deferred Prosecution Agreement als Versäumnis beurteilt wird – dann hätte die Bank 780 Millionen bezahlt und nichts dafür gekriegt.»

Die Gefahr ist nicht gering. Odermatts E-Mail ist ein knapper, aber vielsagender Teil eines 305 Seiten langen Dokumentes, das der IRS-Agent Daniel Reeves für die Zivilklage zusammengestellt hat. Es liefert Einsichten, wie die Schweizer Grossbank jahrelang wissentlich und absichtlich widerrechtlich gehandelt hatte. Wie Arbeitsgruppen gebildet wurden, um US-Kunden mit Tricks zu bedienen. Wie hinterlistige Strukturen in der Karibik errichtet wurden, die einzig dazu dienten, die US-Steuerbehörden hinters Licht zu führen. Oder wie Banker mittels Geheimcodes mit Kunden in den USA kommunizierten.

Grotesk: Die Dokumente, die Daniel Reeves öffentlich macht und die die Grundlage für die Klage liefern, stammen grösstenteils von der UBS selbst. Um ein Deferred Prosecution Agreement zu erlangen und eine Strafklage abzuwenden, musste die Bank seit Monaten eng mit den US-Behörden kooperieren. Kopien von «tonnenweise Dokumenten» hat die Bank in die USA überstellt, in einem «sehr teuren, höllisch aufwendigen Verfahren», beschreibt ein UBS-Mann die Aktion. Vertreter der auf forensische Analysen spezialisierten Firma Alixpartners durchforstete monatelang in einem eigens angelegten Datenraum in der Schweiz UBS-Dokumente. Bevor ein Dokument freigegeben wurde, achtete ein «Heer von UBS-Anwälten» darauf, dass schweizerisches Recht und das Bankgeheimnis eingehalten wurden. Daher sind viele Stellen eingeschwärzt. Pikant: Alixpartners ist jene Firma, die derzeit auch einen Teil der forensischen Arbeit im Fall des 50-Milliarden-Dollar-Betrügers Bernard Madoff leistet.

Wie ein Bankenkrimi lesen sich etliche als «vertraulich» klassifizierte Dokumente. Detailliert beschreibt die UBS darin ihr gewinnbringendes USA-Geschäft. Klar ersichtlich wird, dass die Bank für ihre US-Kunden Lösungen fand, den amerikanischen Fiskus zu hintergehen. Dass dies nicht legal war, war weitherum bekannt. Offen debattierten Banker, dass ihr Gebaren zum Entzug des QI-Status oder gar der Banklizenz in den USA führen könnte. Jederzeit rechnete man mit «Bussen und Strafen».

Sauber aufgelistet und kategorisiert sind die Anzahl der Konten von USA-Kunden sowie die Vermögen, die sie verwaltete. Auf einem anderen Papier hält die UBS fest, dass zwischen 2003 und 2004 32 Kundenberater geschäftlich in die USA reisten, obwohl sie dafür keine Lizenz der Börsenaufsichtskommission SEC besassen: «Durchschnittlich besuchte jeder Kundenberater die USA während 30 Tagen pro Jahr, traf vier Kunden täglich.» Pro Jahr, so die UBS, würden ihre in der Schweiz stationierten Berater 3800 Kundenbesuche in den USA absolvieren – ohne SEC-Lizenz und somit illegal.

Dass das problematisch war, war bei der UBS seit langem bekannt. So präsentiert Reeves Dokumente, die bis 1999 zurückreichen und die juristischen Risiken klar belegen. In einem Brief vom 9. Januar 2002 hält der Legal Counsel Franz Zimmermann fest: «Viele der Kerndienstleistungen der UBS im Private Banking an US-Personen aus der Schweiz sind problematisch wegen dem sehr restriktiven Ansatz der US-Regulatoren bei grenzüberschreitenden Aktivitäten.» Einer der Adressaten des Briefes war Marcel Rohner, heute UBS-Chef.

Zumindest ein Kundenberater wusste sich zu helfen – er entwarf eine Geheimsprache, die in E-Mails mit Kunden zur Anwendung kam. Währungen kodierte er mit Farben. Orange stand für Euro, Grün für Dollar und Blau für britische Pfund. Für die Zahl 100 000 verwendete er den Code C. Eine Viertelmillion war eine «Nuss», eine Million ein «Schwan». So fordert ein Kunde den Kauf von «ungefähr 2,5 orangen Nüssen à 13 710 (3%) und ungefähr 2,05 grünen Nüssen à 13 270 (12%)». Übersetzt wollte er 625 000 Euro und 512 500 Dollar kaufen.

Die UBS wusste, dass es illegal war, für US-Kunden Offshore-Konstruktionen in Drittländern zu errichten. Trotzdem schlug sie am 6. Juli 2004 eine «Swiss Solution» vor. Für 2500 US-Kunden, die Werte von über 500 000 Franken halten, würde sie in den Bahamas rund 900 geheime Strukturen aufbauen, heisst es in einem UBS-Papier vom Executive Board Wealth Management & Business Banking. Wobei 650 Schattenfirmen für Kunden gedacht waren, die innert drei Monaten nicht kontaktiert werden könnten, und 250 Firmen, über die Kontakt aufgenommen werden könne.

Bis zuletzt glaubten die Banker, sie seien durch das Bankgeheimnis geschützt. Es war ein Irrtum: Bei Betrug hält es nicht dicht.