New Yorks Lebenssaft versiegt

Überall wird über Banker-Boni geschimpft. New York befürchtet deren Ausbleiben. Die Stadt kommt in eine Finanzklemme und muss sparen.

Von Peter Hossli

bulle.jpgEin Aufschrei ging durch die Presse, als die Höhe der ausbezahlten Boni an der Wall Street vermeldet wurde. 18,4 Mrd. Dollar kriegen New Yorks Banker im vergangenen Jahr – trotz Milliardenverlusten. Als «beschämend» rügte US-Präsident Barack Obama die Boni bei Banken, die 2008 staatliche Stützen erhalten hatten. Wer Zuschüsse wolle, dürfe niemandem mehr als 500 000 Dollar jährlich zahlen, verlangt er. Die Idee erntete Beifall.

Ausser in der Finanzmetropole New York. Oft mehr als 50 Prozent der Gehälter werden an der Wall Street in Form von Boni ausbezahlt. Das gilt nicht nur für Chefs, sondern auch für Sekretärinnen und Postboten. Fast ein Drittel der Steuereinnahmen sind abhängig von den Bankerlöhnen. Nicht die Boni geben zu reden, sondern deren Rückgang um 40 Prozent gegenüber 2007 – die grösste Minderung seit je. Daher klaffen Löcher in den Haushalten der Stadt von 4 Mrd. und des Staates New York von 15 Mrd. Dollar.

Geht der Kreuzzug gegen die Bankergehälter weiter, spitzt sich die Fiskalkrise zu. Mit Folgen für New Yorks Einwohner. Die Stadt ist gesetzlich verpflichtet, das Budget auszugleichen. Mit drakonischen Massnahmen will dies Bürgermeister Michael Bloomberg einhalten. Beiträge an Bibliotheken und Altersheime will er kürzen. Städtische Angestellte sollen 10 Prozent ihrer Krankenkassenprämien selbst bezahlen. Hinzu kommen geringere Beiträge an die Pensionskasse. 23 000 Beamte drohen den Job zu verlieren, darunter 14 000 Lehrkräfte und 1000 Polizisten.

Wieder schlechtere Schulen?

Die Folge wären grössere Schulklassen und gefährlichere Strassen. «Wenn wir Lehrer entlassen, verringern wir die Leistung für unsere Kinder», empört sich die Präsidentin der Gewerkschaft der Lehrkräfte, Randi Weingarten. Das Schulamt komme mit Abzügen von 12 Prozent noch gut weg, erwidert ein Sprecher Bloombergs. Die Mehrwertsteuer soll von 8,375 auf 8,75 Prozent steigen, obwohl die Stadt bereits eine der höchsten Konsumabgaben der USA erhebt. Vehement opponieren Ladenbesitzer.

Doch auch die Wall Street blutet. Letztes Jahr verloren 17 500 New Yorker Finanzleute den Job, knapp 10 Prozent. 2009 könnten es 50 000 werden. Da in New York von jeder Finanzstelle drei bis vier weitere Arbeitsplätze abhängen, wären die Folgen verheerend.

Verfallene Quartiere renoviert

Drastisch verschärft hat sich die Abhängigkeit von der Wall Street seit 1970. Im historischen Durchschnitt zahlte der Finanzsektor 20 Prozent aller Löhne New Yorks. Zuletzt waren es fast 30 Prozent gewesen. Richtig reich fühlte sich die Stadt, als Ende der 90er- Jahre und von 2003 bis 2007 die Boni nach oben schossen. Das garantierte Porsche- und Wohnungshändlern und Friseuren beachtliche Einkommen.

Jetzt drohen die Kompensationen an der Wall Street auf das Niveau der 80er-Jahre zu sinken. Die städtischen Ausgaben aber haben sich vervielfacht. «Schrumpft die Wall Street weiter, ist das Leben in New York bald nicht mehr allzu lustig», sagte der Chefredaktor des Wirtschaftsmagazins «Crain’s New York Business» dem Radiosender WNYC. «Egal, wie viel staatliche Zuschüsse aus Washington kommen, es wird den Verlust nie ersetzen, sollen die Boni der Wall Street nun wegfallen.»

Mit dem Niedergang der Hochfinanz endet in New York eine Blütezeit. Die boomenden 90er-Jahre und 2003 bis 2007 bescherten der in den 80er-Jahren als dreckiger und gefährlicher Sündenpfuhl verschrienen Metropole Wohlstand. Die florierende Gang der Börse füllte die Stadtkasse. Die Truppenstärke der Polizei wuchs. Die einst gefürchtete Kriminalität ebbte ab. Vormals gemiedene Stadtteile erlebten eine Renaissance. Wo einst Drogen gehandelt wurden, stossen Mütter Kinderwagen. Verfallene Quartiere konnten renoviert werden, ebenso Schulhäuser und Strassen. Die Stadt erhöhte die Löhne der Lehrkräfte. Öffentliche Schulen verminderten die Klassengrössen.

Keine Job-Alternativen

Der Trend dreht sich. Aufgeben wollen viele New York trotzdem nicht. Als «Phönix-Stadt» bezeichnete einst Regisseur Rick Burns New York. «Sie steigt immer wieder aus der Asche empor.» An einer Krisenkonferenz im Hyatt Hotel debattierten letzte Woche Politiker und Wirtschaftsleute die Zukunft New Yorks. Der Tenor: Der Finanzsektor muss flott bleiben. Die diskutierten Alternativen – erneuerbare Energie, höhere Bildung, Gesundheitswesen – dürften die verlorenen Arbeitsplätze der Finanzbranche kaum ersetzen.

Zumal Hollywood am Hudson – unlängst noch eine Jobmaschine – darbt. Film- und Fernsehproduzenten bleiben fern, da Stadt und Staat die Steuerrabatte der letzten Jahre nicht mehr garantieren. Kein einziger Dreh für neue Fernsehserien ist in Planung. 2008 waren es 19 gewesen.