Bush – um Himmels willen!

Gross war die Euphorie im 705-Seelen-Kaff Crawford, als mit George W. Bush einer der Ihren zum Präsidenten gewählt wurde. Die hoffnungsvollen Träume von einst sind geplatzt, Ernüchterung hat sich breitgemacht. Eine Diagnose vor Ort.

Text: Peter Hossli Fotos: Stefan Falke

crawford1.jpgMillimeterdick ruht der Staub auf ovalem Porzellan. Hervor grinst eine junge Version von George W. Bush. Am Tellerrand bildet die silberne Inschrift «Crawford – Western White House» einen Bogen. Angerührt hat dieses und andere Erinnerungsstücke im Souvenirgeschäft Red Bull seit Wochen niemand mehr. «Still geworden» sei es in Crawford, sagt Besitzerin Jamie Burgess, 44. Nunmehr acht Jahre verkauft die füllige Mutter kitschige Andenken an den bekanntesten Bewohner des Präriekaffs. «Seit der Präsident unbeliebt ist, bleiben Touristen fern.»

Eine Woche vor dem Wechsel im Weissen Haus ist im texanischen Crawford die Euphorie verebbt, die Bushs Zuzug einst entfachte. Unter riesigem Himmel trat er hier seine nationale Laufbahn an. 1999 kaufte er eine Ranch. Das verlieh ihm das Image des Cowboys, der rascher schiesst als denkt.

Es verhalf ihm zum Wahlsieg und trug Goldgräberstimmung in den 705-Menschen-Ort zwischen Austin und Dallas. Die abgetakelte Innenstadt erhielt einen Facelift. Sechs Souvenirläden öffneten. Nach dem Terror im Herbst 2001 blühte die Stadt weiter auf. Fortan betrieb Bush auf der Ranch Aussenpolitik, er lud Staatschefs wie Wladimir Putin und Tony Blair nach Crawford, gab hier Befehle für militärische Operationen, hatte Angela Merkel und Silvio Berlusconi zu Gast. «Amerika rückte näher, huldigte dem Präsidenten und pilgerte nach Crawford», sagt Burgess. «Ob T-Shirt, Teetassenwärmer oder Mausmatte, alles in rot-weiss-blau verkaufte.»

crawford2.jpgDas Telefon läutet. «Red Bull, kann ich Ihnen helfen?» Burgess nimmt von einem Bush-Fan in Tennessee eine Bestellung auf. «Er rief an, weil er glaubt, wir schliessen am 20. Januar», Bushs Abgang. Vorerst bleibt Red Bull. Die anderen fünf Läden sind zu, «wegen den Demonstranten», sagt Burgess.

Tausende zogen im August 2005 nach Crawford. Sie prangten den Irakkrieg an und standen Cindy Sheehan bei, die von Bush Klärung zum Tod ihres Sohnes forderte. Der Aufmarsch bei 40 Grad Sommerhitze änderte Crawford für immer. «Kinder sahen wie Leute nackt in Autos schliefen und im Strassengraben Geschäfte erledigten», sagt Burgess. «Mein 10-jähriger Sohn war traumatisiert.»

Nun ist Ruhe eingekehrt. Eine einzige Ampel reicht für den spärlichen Verkehr. Entlang der Main Street zwängen sich zwei Tankstellen, ein Restaurant, die Lodge der Freimaurer, ein Coiffeur und ein Fitnessstudio. Fast ein Dutzend Läden stehen leer. Eine bunte Tafel preist Bush Wings an, in Speck gewickelte frittierte Pouletflügel. Andere Gesten an Bush stammen aus heitererer Zeit. Über einer verrosteten Karre prangt ein erbleichtes Bild von George und Laura Bush, dazu der Wahlkampfslogan «W ‘04». Vergilbte Fotos, auf denen Bush einheimische Schultern klopft, hängen an der Wand des Coffee Houses, neben einer Bush-Pappfigur.

Kürzlich noch flatterte auf dem 25 Meter hohen Getreidespeicher in der Stadtmitte ein gigantisches Plakat. «This is Bush Country» war von weitem zu lesen. Ein Herbststurm fegte es weg. Keiner nahm sich die Mühe, es wieder aufzuhängen. Fuhr einst jedes Auto mit Bush-Kleber herum, sind solche Bekenntnisse rar geworden.

crawford3.jpgDer Bürgermeister verweigert das Pressgespräch. Der Sheriff, ein beleibter Kerl namens Eddie McCoy, 37, geht ohne Uniform zur Arbeit. Von einem auf sechs Offiziere erweitere er die Ortspolizei. Nun entlässt er Leute. Nichts sagend sein Verdikt zu Bush: «Ich stehe hinter jedem Präsident.» Die fünf Senioren, die im Freimaurer-Haus Domino spielen, sind ähnlich wortkarg. «Bush hat Crawford auf die Landkarte gesetzt, sonst blieb alles beim Alten», sagt einer und lässt den Besucher spüren, keine Lust auf Fragen zu haben. Selbst die Antikriegsbewegung, die in Crawford neuen Schwung fand, rückte ab. Das «Peace House» in der Stadtmitte ist unbewohnt.

An der Tankstelle kriegen Hungrige über Mittag klebrige Snacks und Brause. Charlotte Latting nimmt Bestellungen für Hamburger und Fritten auf, die ein Koch innert Minuten richtet. «Ich bin froh, verlässt Bush das Weisse Haus», sagt die 48-Jährige. «Er brachte Amerika und Crawford nichts.» Sie streckt einem Kunden einen Papierbecher hin. Er füllt ihn an der Limonadenzapfstelle. Bush habe die Stadt missbraucht. «Er ist ein Ölmann, kein Cowboy.»

crawford4.jpgHeute Nachmittag, wenn der letzte Lunch verzehrt ist, räumt sie den Glaskasten mit Souvenirs aus und schafft Platz für einen Kühlschrank. Mit kalter Cola ist in Crawford mehr zu verdienen als mit Bush. Auf der anderen Strassenseite legt Robin Dietrich, 45, eine Dauerwelle. Seit 1985 führt die blonde Coiffeuse den Friseursalon in Crawford. Ihre Stühle sind besetzt, das Auftragsbuch voll. «Weil ich gut bin habe ich zu», sagt sie. «Nicht wegen Bush.»

Leidenschaftliche Anhänger hat der Präsident in Crawford nach wie vor. «Er ist ein guter Mann», sagt Lehrerin Marylin Judy, 52. In ihrem Klassenzimmer hängen gerahmte Fotos, die sie mit dem Ehepaar Bush zeigen. «Kein anderer Präsident meisterte grössere Probleme», sagt die Brünette mit dem netten Lächeln. «Er hat uns vor neuen Terrorangriffen bewahrt.»

crawford5.jpgSie führt an Glasvitrinen vorbei, wo die Geschenke von Putin und Blair stehen, hin zur Turnhalle. Hier stellte die Presse jeweils Computer auf, wenn der Präsident in Crawford weilte. «Für die Schüler war all das ein tolles Erlebnis», sagt Judy. An zwei Inaugurationen trompetete die Blaskappelle. Sie verschweigt nicht, dass die Kinder in Washington mit Eiern beworfen wurden.

Zuletzt zeigt sie das präsidiale Museum, das Primarschüler in einem Klassenzimmer angelegt haben. Es besteht aus Zeitungsartikel, Fotos und Bastelarbeiten. Bis Ende Monat muss sie für das Zeug einen neuen Raum finden, sonst landet es im Müll. «Die Schule braucht das Zimmer.»

Deutsche besiedelten die Gegend im 19. Jahrhundert. Sie fanden Weideland für Schafe und Äcker für Baumwolle. Noch heute sind viele Grabinschriften Deutsch. Land wird über Generationen vererbt. Highschool Sweathearts heiraten, gründen kinderreiche Familien, enden im selben Grab.

crawford6.jpgAn der Primarschule trafen sich Billy Lu und Keith Lynch, beide 71. Seit 52 Jahren sind sie verheiratet, haben drei Kinder, fünf Enkel. Vier Meilen vom Stadtzentrum entfernt, an der Prairie Chapel Road, halten sie Schafen, Ziegen und Pferde. «Kühe wurden zu anstrengend», sagt Keith, ein robuster Texaner in Jeans und Stiefeln. Er lehnt an den Zaun, der entlang der Strasse verläuft. Ein Hut mit Krempe bedeckt den drallen Kopf. Braune Flecken hat die Sonne in die Handrücken gebrannt. Billy Lu, grazil und smart, trägt zum Mickey-Mouse-Pullover eine Pluderhose. So weit das Auge reicht sehen sie abgegrastes Präriegras. Das Land kaufte 1857 Ururgrossvater Lynch.

Just stoppen ein Minivan und zwei Geländewagen. «Wo geht es zum Präsident?», röhrt der vorderste Fahrer. «Geradeaus, drei Meilen», sagt Lynch und winkt gefällig. «Zu sehen gibt es nichts.»

Ihr Idyll platzte als Bush einzog, sagen die Lynchs, Nachbarn des Präsidenten. Fuhren früher täglich drei Autos vorbei, seien es zeitweise Hunderte gewesen. Ständig hämmerten Helikopter über ihr Dach. Keith zog Autos von Fahrern aus den Gräben, die enge Strassen nicht gewohnt sind. «Hoffentlich hört das nun auf, Verkehr macht mürbe.»

Gute Anrainer seien Bush und seine Entourage nicht. Der Präsident stellte sich nicht vor, sagt Billy Lu. Einmal nur hätte er die lokale Kirche besucht. «Hier grüsst man sich, Secret-Service-Agenten grüssen nie», sagt sie. «Bin ich nicht hübsch genug?»

crawford7.jpgBis heute versteht sie nicht, warum die alteingesessene Familie Engelbrecht Land an Bush abtrat, für angeblich 1,2 Millionen Dollar. «Land gibt man nicht her.» Hätten sie verkauft, wären auch die Lynchs Millionäre. Jahrelang klopften Spekulanten an. Je näher ein Landstück zur Bush-Ranch lag, desto mehr boten sie, bis zu 12000 Dollar die Hektare. «Wir jagten sie vom Grundstück», sagt Keith. Jedes Angebot schlug er aus. Monatelang trotzen nun «Zu verkaufen»-Schilder auf kahlen Wiesen dem Präriewind. Die Hektarpreise sackten auf 4000 Dollar ab.

Drei Laster donnern an der Lynch-Farm vorbei und passieren ein oranges Verkehrschild, das jegliches Stoppen untersagt. Nach drei Meilen halten sie vor einer Wohnwagensiedlung, die Agenten des Secret Services beherbergt. Arbeiter verladen Antennen und Kabel. Es pressiert. Bis am 20. Januar wird das Western White House abgebaut, der direkte Draht zur Atombombe gekappt, die Schutzanlage demoliert.

crawford8.jpgNoch sind Agenten auf der Hut. «Was tun Sie?», schnauzt ein Grobian mit Sonnenbrille den Fotoreporter an. Der will die Barrikade ablichten, die den Zugang zu Bushs Farm versperrt. «Verschwinden Sie.» Am selben Nachmittag gewährt Marc Neuman, 49, auf seiner Ranch Gast- und Fotorecht. Der Farmer ist Bushs direkter Nachbar. Gegen gutes Geld liess er auf seinem Land einen Hangar für den Helikopter des Präsidenten errichten. Eine Baseballmütze, ein Vollbart und die Sonnenbrille verdecken das fleischige Gesicht. Über der Hose hängt das Hemd.

Wie viele Farmer in Crawford ist er froh, wenn Bush abtritt und sich in Dallas statt Crawford niederlässt. «Alles wird einfacher», sagt Neuman. Zu oft musste er den Tagesablauf nach dem Secret Service richten. Er wählt konservativ, will einen kleinen Staat und in Ruhe gelassen werden. Ausgerechnet er hatte den mächtigsten Staat vor der Haustüre. Was bleibt? «Regieren ist eine verrückte Sache.»