Von Peter Hossli
Triumph und Fall fielen bei Eric Roth (63) auf denselben Tag. Am frühen Morgen des 11. Dezembers erfuhr der Autor, sein Drehbuch für den Film «The Curious Case of Benjamin Button» sei für den Golden Globe nominiert, den zweitwichtigsten Filmpreis nach dem Oscar. Abends teilte ihm ein Anlageberater mit, Roths Altersguthaben sei verpufft.
Ein Mittelsmann hatte es beim Investmentbanker Bernard Madoff (70) angelegt. Der ist geständig, den grössten Finanzbetrug aller Zeiten orchestriert zu haben. Mit einem Schneeballsystem vernichtete Madoff 50 Milliarden Dollar.
Roth ist ein Jude, wie viele Opfer des jüdischen Spekulanten. «Jewish treasuries» hiessen Madoffs Papiere im Volksmund, «jüdische Staatsanleihen». Das «emotionale und finanzielle Epizentrum» des kolossalen Betrugsfalls, so die «New York Times», liegt in den jüdischen Zirkeln in Hollywood, New York und Florida.
Hunderte von jüdischen Wohltätigkeitsorganisationen hatten Madoff blindlings ihr Geld anvertraut, der Verlust beträgt Milliarden von Dollar. Die Stiftung des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel (80), einem ehemaligen Auschwitz-Häftling, verlor ihr gesamtes Vermögen. Die Yeshiva University in New York büsste 110 Millionen Dollar ein.
Sie gilt als bedeutsamste jüdische Bildungsstätte der USA. Betroffen sind jüdische Kindergärten, jüdische Krebsforscher, jüdische Menschenrechtler. Neunzig Millionen Dollar oder elf Prozent ihres Kapitals kamen der ehrwürdigen zionistischen Frauenorganisation Hadassah abhanden.
Wie konnte ein Jude Geld von Juden veruntreuen, die für Juden Gutes tun? Die Frage erschüttert das aufgeschlossene jüdische Amerika, «als hätte eine Atombombe eingeschlagen», wie ein Blogger schreibt. Madoff hat nicht nur Geld vernichtet, er hat auch Schande über seine Gemeinde gebracht. Mehrheitlich moderne Orthodoxe investierten bei ihm. Gläubige, die in der aufgeklärten Welt aktiv und erfolgreich sind. Banker, Politiker, Schriftsteller und Anwälte, die den Sabbat einhalten, kein Schweinefleisch essen, Thora und Talmud achten. Sie wählen fortschrittlich und sind verwurzelt mit ihrer kulturellen und spirituellen Herkunft.
Genau wie Madoff. «Es ist nicht erstaunlich, dass die Opfer grösstenteils Juden sind», sagt Ronald Cass, einst Rektor der Boston University Law School und Spezialist für Affinitätsbetrug – Betrug im sozialen Umfeld. «Madoff ist jüdisch, Leute, die ihm nahestanden, waren prominente Juden, ihnen vertrauten andere prominente Juden.»
Vertrauen, sagt Cass, sei die Basis aller Schneeballsysteme. «Je grösser das Vertrauen, desto geringer die Kontrolle.» Wie andere in der Geschichte diskriminierte Gruppen vertrauten Juden oft nur ihresgleichen. «Viele Juden glauben, andere Juden beschützten sie.»
Ein Trugschluss. Ausdrücklich warnte die US-Börsenaufsichtskommission 2006 vor Affinitätsbetrug. Das sind meist «Ponzi-Systeme», wie Amerikaner Schneeballsysteme bezeichnen. Dabei schüttet der Initiant fiktive Gewinne aus, finanziert mit Einlagen neuer Investoren. Der italienische Namensgeber dieser Technik, Charles Ponzi, prellte 1920 in Boston italienische Einwanderer. Zwischen 1997 und 2001 luchste ein armenischer Amerikaner nach demselben System armenischen Amerikanern 19 Millionen Dollar ab.
2003 fasste ein Zeuge Jehovas 15 Jahren Haft. Er hatte andere Zeugen Jehovas um sechs Millionen betrogen. Und beim letzte Woche in den USA aufgeflogenen Fall verloren Investoren haitianischer Abstammung 23 Millionen Dollar. Der Betrüger war George Theodule – ein Amerikaner haitianischer Abstammung.
Bei Madoff kam hohes Ansehen hinzu. Seit den Sechzigerjahren ist er im Geschäft, amtete als Chairman der Technologiebörse Nasdaq. «Bernard Madoff war der jüdische Warren Buffett», so «Schneeball»-Fachmann Cass. Gross ist nun die Furcht, Madoffs Betrug könne Antisemitismus und das Image des gierigen Juden verbreiten helfen. «Madoff ist das Schlimmste, was Juden seit David Berkowitz widerfahren ist», sagt die Radiojournalistin Brooke Gladstone. Berkowitz hatte 1977 in Brooklyn sechs Menschen getötet.
Rechtsprofessor Cass sieht das anders. «Laut Stereotyp sind wir Juden geizig und nur daran interessiert, was mit unserem Geld geschieht. Madoffs Opfer aber bewiesen jüdische Nächstenliebe, Grosszügigkeit – aber eben auch mangelnde Sorgfalt im Umgang mit Geld.» Und: «Madoff klaute von Juden.»
So legten auch die Hollywood-Tycoons Steven Spielberg (62) und Jeffrey Katzenberg (58) Geld bei ihm an. Auch die jüdische Actrice Kyra Sedgwick (43) und ihr Ehemann, der Schauspieler Kevin Bacon (50), verloren Millionen. Riesig fällt der Verlust bei den Mitgliedern der prestigereichen Fifth Avenue Synagogue in Manhattan aus: zwei Milliarden Dollar, schätzt die «New York Post». Der Gemeinde gehören 300 einflussreiche Familien an, darunter die von Elie Wiesel, des Financiers Ron Perleman (66) und des Investmentbankers Michael Jesselson (57). 200 Millionen Dollar verlor Tempelgänger Ira Rennert (75), ein Junkbond-Händler.
Präsidiert wird die Synagoge von Financier und Philanthrop Ezra Merkin (55). Er ist versiert in jüdischer Religionslehre und betrieb den Fund of Funds «Ascot Partners», in den viele Mitglieder der Synagoge investierten. Merkin vertraute das Geld einem Freund an. Jetzt ist es weg. Der Name des Freundes: Bernard Madoff.