Von Peter Hossli
Letzten Mittwoch am Times Square in New York: Frühmorgens erfahren Angestellte des weltweit grössten Buchverlags Random House von «radikalen Umstellungen», also Massenentlassungen. Kurz darauf schasst der Verlag Simon & Schuster 35 Leute. Houghton Mifflin, Herausgeber von Literatur-Stars wie Philip Roth, feuert 10 Prozent des Personals und gibt bekannt, derzeit keine neuen Bücher einzukaufen. Gegen Mittag kursieren erste E-Mails mit dem Vermerk «Black Wednesday». Bis am Abend verkünden drei weitere New Yorker Verlage drastische Lohnkürzungen und Freistellungen.
Der jähe Kollaps des Verlagswesens ist das jüngste Beispiel einer Glamour-Branche in New York, die unter der Wirtschaftskrise darbt. Ob Medien oder Mode, Film, Fernsehen oder Fotografie – einst bewunderte und begehrte Arbeitsfelder siechen in Manhattan.
Galt ein Job an der Wall Street bis vor kurzem als Nonplusultra in der Hochfinanz, suchen New Yorker Banker nun Stellen in Dubai und São Paulo. «Niemand weiss, ob er morgen noch ins Büro kann», sagt ein UBS-Mann. 20 000 Stellen haben Banken und Versicherungen heuer in New York abgebaut. 2009 dürften es nochmals so viele werden.
Ins Rollen kommt ein gefährlicher Dominoeffekt. Zumal von jedem Finanzjob drei weitere Stellen abhängen, seien es die Chauffeure der Bankiers oder die Wäscherinnen, die deren Hemden bügeln. Edle Restaurants, die unlängst Hamburger für 120 Dollar servierten, entlassen Kellner und Köchinnen en masse. An den Türen schicker Bars im Banker-Viertel Tribeca hängen «closed»-Schilder. Beliebte Quartierkneipen in Greenwich Village verschwinden.
Und während es zum Berufsziel jedes US-Journalisten gehört, einmal in New York zu arbeiten, entlassen renommierte Blätter wie die «New York Times» und das «Wall Street Journal» ihre Reporter. NBC liess am Donnerstag 500 Leute ziehen, darunter Star-Korrespondenten. Viacom – der Konzern hinter MTV und Indiana Jones – trennt sich von 7 Prozent der Belegschaft.
Der Pleitegeier kreist. Einst prall gefüllte Fitnessklubs sind selbst über Mittag leer. War es noch im Sommer schwierig, ein Taxi zu kriegen, fahren heute zahlreiche Wagen ohne Passagiere durch die Strassenschluchten. Der erstarkte Dollar hält Touristen fern. Selbst der robuste New Yorker Häusermarkt schwächelt. «Die Preise bröckeln, wir verkaufen weniger», sagt Pamela Liebman, die Chefin des Maklers Cocoran.
Im Zuge der Krise dürfte die AchtMillionen-Stadt New York 220 000 Jobs verlieren. Mit verheerenden Folgen für den Staatshaushalt: Verlieren 1000 Finanzleute ihre Stelle, schrumpft der Steuerertrag um 50 Millionen Dollar jährlich. Bereits klafft in der Stadtkasse ein Loch von 4 Milliarden Dollar. Bürgermeister Michael Bloomberg will 3000 Beamte entlassen. Alle Behörden hat er angewiesen, heuer 2,5 und nächstes Jahr 5 Prozent einzusparen.
Polizisten, die New York zur sichersten City der Welt trimmten, müssen gehen. Ebenso Lehrerinnen und Feuerwehrleute. Der Exodus könnte zurückbringen, was die City letztmals in den Siebzigerjahren erlebte. Damals gehörten die Strassen den Gangstern. Drogen verseuchten Schulen. Quartiere vergammelten. Als der Bürgermeister 1975 in Washington um Hilfe bat, winkte Präsident Gerald Ford ab. «Ford to City: Drop Deal», titelte darob die «Daily News» famos, «Fahr zur Hölle, New York».
Trotz Tristesse bleibt der nimmermüde Optimismus der New Yorker intakt. «Es ist nicht die erste Krise, die uns trifft», sagt der städtische Rechnungsprüfer William Thompson. Die Rezession der frühen Neunzigerjahre oder die Terrorattacken vom 11. September 2001 hätten ebenso viele Jobs vernichtet. Danach ging es aufwärts. «New York ist aus jeder Krise noch stärker herausgekommen.»