Von Peter Hossli
Bis in den frühen Mittwochmorgen feierten die Menschen auf den Strassen Manhattans den Wahlsieg von Barack Obama. Am Tor zur New Yorker Börse stoppte der Freudentaumel. Pessimismus regierte am Tag nach der historischen Präsidentschaftswahl. Der Dow-Jones-Aktienindex stürzte um 5,5 Prozent ab – der höchste Tagesverlust nach einem nationalen Urnengang. Um 4,9 Prozent sanken die Aktien am folgenden Tag. Unmerklich nur erholten sie sich am Freitag. Ein vorschnelles Verdikt über die Entwicklung der Börsen unter Präsident Obama stellen die tiefen Taucher nicht dar. Anleger stiessen Aktien wegen negativer Konjunkturdaten ab. Die Maschinenindustrie wie auch der Dienstleistungssektor meldeten Einbrüche in den Auftragsbüchern. Die Arbeitslosenquote stieg auf den höchsten Stand seit 1994. Mies ist die Spendierlaune der Konsumenten. Die Investoren reagieren auf die Rezession, nicht auf Obama.
Verheissungsvolle Aussichten
Meist beflügelt ein neuer amerikanischer Präsident Anleger und somit Aktienkurse. Zumal eine Wahlnacht beseitigt, was für die Börse Gift ist: Unsicherheit. Zuletzt hat die Ungewissheit über den Namen des künftigen US-Regenten die Finanzmarktkrise zusätzlich verschärft. Bestärkt werden dürfte eine Gewissheits-Hausse vom enormen Optimismus, den Obama weltweit verbreitet. Er ist der Visionär, der glaubt, er könne die Kluft im Land mit Enthusiasmus schmälern und Amerika zu grandiosen Taten treiben – das sind verheissungsvolle Aussichten für Anleger, die nicht in Fakten, sondern in die Zukunft investieren wollen.
Demokraten: Plus 4,2 Prozent, Republikaner: Plus 2,8 Prozent
Laut Volksmeinung boomen Börsen und werden Konjunkturen angekurbelt, wenn Republikaner im Weissen Haus regieren. Ein Blick in die Geschichtsbücher widerlegt die Ansicht. Unter demokratischen Präsidenten läuft die Konjunktur besser, die Aktien steigen steiler. So wuchs die US-Wirtschaft zwischen 1953 und 2006 jeweils mit einem Demokraten im Weissen Haus im Schnitt um jährlich 4,2 Prozent. Unter republikanischen Präsidenten lag das durchschnittliche Wachstum in der gleichen Zeitspanne bei mageren 2,8 Prozent.
Ein ähnliches Bild zeigt der Dow-Jones-Aktienindex. Er stieg seit 1900 unter Demokraten im Jahresschnitt um 13,3 Prozent, unter Republikanern um 7,1 Prozent. Während etwa Bill Clinton präsidierte, war der höchste Kurssprung nach dem Zweiten Weltkrieg zu registrieren: Unter ihm stiegen die US-Aktien um 22 Prozent. Wohingegen die Republikaner Richard Nixon (-16,5 Prozent) und George W. Bush (bisher -12 Prozent) in Perioden sinkender Aktienkurse im Weissen Haus regierten.
Hoover – Reagan – Bush jun.
Stets republikanische Präsidenten verfolgten die herbsten Crashs vom Oval Office aus. Herbert Hoover regierte, als der Dow Jones Index zwischen dem Schwarzen Freitag von 1929 bis 1933 rund 75 Prozent an Wert verlor. Am Schwarzen Montag im Oktober 1987 war Ronald Reagan Präsident. Der Dow büsste an einem Tag 22,6 Prozent ein. Im Zuge der diesjährigen Finanzkrise sanken die US-Aktien um rund 35 Prozent. Präsident war der Republikaner George W. Bush. Demnach stimmt, was der demokratische Präsident Harry Truman einst sagte: «Willst du wie ein Republikaner leben, wählst du mit Vorteil Demokraten.»
Anleger hoffen auf die geballte politische Macht Barack Obamas. Ab Januar kontrolliert er nicht nur das Weisse Haus, seine Partei führt mit beachtlichem Vorsprung zusätzlich den Kongress. Vorbei sind dann zwei Jahre, in denen George W. Bush mit einem demokratischen Parlament wenig zustande brachte und als «lahme Ente» der Finanzkrise nur zögerlich entgegentreten konnten.
Zuletzt nutzte Franklin D. Roosevelt ein politisches Monopol, um eine flach liegende Wirtschaft in seinen ersten 100 Amtstagen geschwind anzuheizen. Ohne Grabenkämpfe brachte er 1933 fünfzehn Gesetze durch, die Millionen von Jobs kreierten. Just stieg der Dow Jones Index im ersten Amtsjahr um 86 Prozent. Daran orientiert sich Obama. An der ersten Pressekonferenz beschwor er, «die wirtschaftlichen Herausforderungen frontal» anzupacken und die Finanzmärkte zu stabilisieren. «Statt politisch zu denken, müssen wir praktische Lösungen gegen die Krise finden.»
Guru Buffett auf der Käuferseite
Er versucht, vor dem Amtsantritt am 20. Januar Vertrauen zu säen. Allerdings warten die Märkte auf die rasche Wahl eines überragenden Finanzministers. Beste Chancen haben der einstige Finanzminister Lawrence Sumners, 52, und Timothy Geithner. Der 47-jährige Ökonom leitet den New Yorker Zweig der US-Notenbank. Er gilt als Star unter den jungen Wirtschaftswissenschaftern. Bravourös leitete er Anfang Oktober die Verhandlungen zur Rettung der grossen US-Banken.
Demnach scheint eine US- Hausse im nächsten Jahr möglich. Die Zinsen sind tief. Anfang Jahr wird das Rettungspaket für die Finanzindustrie greifen. «Amerikanische Aktien sind günstig, ich kaufe sie», sagt Investment-Guru Warren Buffett. Überdies stecken die USA bereits in einer wuchtigen Rezession. Aktien erholen sich meistens vor der Realwirtschaft.