Von Peter Hossli
Auf Halbmast weht an einem Café im New Yorker Quartier Chelsea seit Mittwochmorgen die Regenbogenfahne. Unter den mehrheitlich schwulen Gästen hat keiner Lust, in den Freudentaumel über Barack Obamas Wahlsieg einzustimmen. «Klar, hab ich ihn gewählt», sagt ein Schauspieler, der ein enges T-Shirt und Jeans trägt. «Für Schwule und Lesben hat die Wahl aber böse Folgen.»
Drei Staaten – Florida, Kalifornien und Arizona – haben am Dienstag Initiativen
zugestimmt, die gleichgeschlechtliche Ehen verbieten. Der Grund für das deutliche Verdikt: Obama hat so viele Schwarze und Latinos an die Urnen gelockt wie nie zuvor. Deren Auflauf bescherte ihm den wichtigen Sieg im meist republikanisch wählenden Florida. Beide Bevölkerungsgruppen sind jedoch grösstenteils religiös und Homosexuellen feindlich gesinnt. Vereint verweigerten sie Schwulen und Lesben das Eheglück, belegen Befragungen nach der Wahl.
Verdankte George W. Bush den zweifachen Einzug ins Weisse Haus einem Bündnis aus konservativen christlichen Eiferern, wurde Obama von schwarzen und lateinamerikanischen christlichen Eiferern gewählt. So sprachen sich in Kalifornien siebzig Prozent der Schwarzen und noch mehr Latinos für ein Verbot schwuler Eheschliessungen aus. Per Gerichtsentscheid war dort die Homo-Ehe vor fünf Monaten legalisiert worden. Konservative Kirchengruppen reichten dagegen das Referendum ein. Von Obama beflügelte Schwarze und Latinos drückten es an der Urne durch. Am Mittwochmorgen schon schickten Standesämter in Kalifornien heiratswillige homosexuelle Paare heim.
Obama geht als Opportunist hervor. Er war auf hohe Beteiligungen der Afroamerikaner und Hispanics angewiesen. Vor der Wahl sprach er sich deshalb gegen legale Homo-Ehen aus – obwohl das seinem zentralen Motto widerspricht, Präsident aller Amerikaner sein zu wollen. Damit schürt er den von Bush geführten Kulturkampf. Allzu progressiv wird er nicht reagieren können. Sonst bleibt ein gewichtiger Teil der neu gefunden demokratischen Koalition bei der nächsten Wahl wohl zu Hause.