Pleitegeier über Detroit

Amerikas Autoindustrie fährt gegen die Wand. Kunden erhalten keine Kredite mehr, Umsätze brechen ein. Eine Fusion mit staatlicher Hilfe soll den Kollaps abwenden.

Von Peter Hossli

gm.jpgFreude herrschte nicht, als Mitte August am Sitz von General Motors in Detroit die Korken knallten. Eher verlegen stiessen Manager des grössten US-Autokonzerns zu dessen 100. Geburtstag an. Alle wussten: Den 101. Jahrestag wird GM prunkloser begehen – falls überhaupt.

Über Detroit kreist der Pleitegeier. Die Autos der «Big Three» – Ford, GM und Chrysler – finden immer weniger Käufer. Deren Aktien dümpeln auf historischen Tiefständen. Autohändler schliessen. Zulieferer bangen. Indessen erörtern Politiker, ob sie die Branche retten oder dem Markt überlassen und somit dem freien Fall aussetzen sollen.

Um einen Viertel sackte bis Ende September bei Chrysler der Umsatz ab. GM büsste 18 Prozent ein, Ford 17. Die Aussichten für 2009 sind düster, zumal die Finanzkrise die Kauflust der Amerikaner abgewürgt hat. Wurden im Rekordjahr 2000 noch 17,4 Mio. US-Autos abgesetzt, dürften es im nächsten Jahr knapp 10 Mio. sein. Die Überkapazität liegt bei 3 Mio. Wagen jährlich. Zehn amerikanische Fabriken fabrizieren täglich Autos, die keiner kaufen will oder kann.

GM-Kreditbank braucht Kapital

Eingebrochen ist der Absatz, weil Banken im Zuge der Verknappung von Konsumkrediten kaum mehr Autokredite ausstellen. Die von General Motors und der Private-Equity-Firma Cerberus Capital gehaltene Kreditbank GMCA braucht «dringend Kapital», wie CEO Alvaro de Molina unlängst warnte. Letztes Jahr schrieb GMCA einen Verlust von 5,4 Mrd. Dollar.

Neun von zehn Wagen werden in den USA auf Pump gekauft. Seit die Geldmärkte trockenliegen, erhält neu nur noch Autokredite, wer über eine exzellente Bonität verfügt. Eine Regel, die etliche Autohändler bis zu 85 Prozent der Kundschaft kostet. Können die Verkäufer keine alternativen Finanzierungsmöglichkeiten anbieten, müssen sie den Käufern eigenes Geld leihen oder dichtmachen. Rund 700 Autohändler schliessen dieses Jahr, prophezeit deren Branchenverband. Verloren gehen 37 000 Jobs. Insgesamt dränge die Finanzmarktkrise 3800 Verkaufsstellen aus dem Markt, schätzt die Beraterfirma Grant Thornton.

Mit fatalen Folgen für die Industrie, sagt der Autoanalyst der Deutschen Bank, Rod Lache. General Motors gehe im Oktober 2009 das Geld aus, hat er berechnet. Chrysler widerfahre dasselbe Los im August. Monatlich gibt GM 1 Mrd. Dollar mehr aus, als der Konzern einnimmt. Bei Chrysler liegt der Kapitalabfluss bei rund 400 Mio. Dollar monatlich.

1 Arbeiter für 4 Rentner

Verschlungen wird das Kapital für Kranken- und Pensionskassenkosten von Leuten, die längst keine Autos mehr bauen. Die 145 000 GM- und Chrysler-Mitarbeiter in den USA müssen genügend erwirtschaften, um rund 600 000 Pensionäre zu versorgen. In den Sechzigerjahren sorgten noch vier Arbeiter für einen Ruheständler. Seit das Verhältnis gekehrt hat, rast die Autobranche wie ein überalterter Sozialstaat der Pleite entgegen.

Abhilfe schaffen sollen der Staat und eine Megafusion. Bereits im Sommer verhandelten GM und Ford ergebnislos über den Zusammenschluss. Seit Anfang Oktober beraten GM und Chrysler die Möglichkeit zu fusionieren. Zusammengehen würden zwei Konzerne, die pro Jahr 130 Mrd. Dollar umsetzen, was 1 Prozent des Bruttosozialproduktes entspricht. Je nach Berechnung hängen zwischen 2 und 4,5 Millionen Jobs an den beiden Firmen. «Eine Fusion zwischen Chrysler und GM könnte zwei gesunde Firmen hinterlassen, was besser ist als drei Kranke», sagt Auto-Analyst David Cole vom Center for Automotive Research.

Megafusion teuer und umstritten

Zu gross seien GM und Chrysler, um sie in Konkurs gehen zu lassen, sagen deren Manager. Eine Fusion würde zwar Tausende den Job kosten und für fast alle Chrylser-Marken das Aus bedeuten. «Sie wird aber unsere Industrie retten», sagt GM-Chef Rick Wagoner. Vom Staat will er 10 Mrd. Dollar, um den Zusammenschluss abzuwickeln und die Kapitalbasis des neuen Konzerns zu stärken. Die Regierung zeigt sich zahlungswillig, zumal das günstiger wäre als eine Pleite. Müssten GM und Chrysler den Bankrott erklären, entfielen die Pensionsverpflichtungen auf den Staat. Der Entscheid dürfte kurz nach den Präsidentschaftswahlen fallen.

Derweil jaulen Marktwirtschafter auf. Die Autoindustrie hatte im Schatten der Finanzkrise Anfang Oktober fast unbemerkt bereits günstige Kredite im Umfang von 25 Mrd. Dollar erhalten. Als «Government Motors» verhöhnt das «Wall Street Journal» deshalb General Motors, als «staatlichen Autobauer». Machten zwei oder drei Autokonzerne Pleite, würden sie sich endlich neu ausrichten, schrieb das Blatt.

Wenn der Staat nun eingreife, werde der sichere Tod hinausgezögert. Die Autobranche sei nicht mit den Banken zu vergleichen, die gerettet worden seien, sagen die Kritiker der geplanten staatlichen Rettungsaktion. Seit Jahren würden amerikanische Fabrikanten massiv Marktanteile verlieren, weil sie am Markt vorbeiproduzierten.