Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Bild)
Ein Besuch bei Walmart kostet reichlich Schuhleder und viel Zeit. Sicher einen Kilometer legt zurück, wer sich in einem der riesigen amerikanischen Shoppingklötze ein Brot und eine Flasche Wein kaufen will. Esswaren sind in den Läden des weltweit grössten Detailhändlers hinter unzähligen voll bepackten Gestellreihen versteckt.
Nicht mehr in Phoenix im Sonnenstaat Arizona. Hier eröffnete Walmart Anfang Oktober vier Kleinläden. Sie tragen das Label «Marketside» und dienen Walmart als Versuch, das Tante-Emma-Lädeli-Prinzip landesweit zu reaktivieren. «Wir lösen das Problem, was es heute Abend zu essen gibt», sagt Sprecherin Amee Chande. Statt Kunden anzusprechen, die einmal wöchentlich beim Grosseinkauf den Kofferraum mit gefrorenem Gemüse und Fleisch füllen, bedient Marketside nun Shopper, die täglich wenig posten. «Es sind Quartierläden mit frischen Produkten, wo Leute schnell einkaufen», sagt Chande. Die Auswahl ist klein. Es hat, was täglich notwendig ist – Äpfel, Kaffee, Zahnpaste, Toilettenpapier.
Walmart ist nicht der einzige Gigant, der in Amerika kleinlich denkt. Die britische Supermarktkette Tesco begann letztes Jahr Läden unter dem Label «Fresh & Easy» zu eröffnen. Mittlerweile betreibt Tesco rund siebzig solcher US-Geschäfte. Sie sprechen Kleinhaushalte von Berufstätigen an. Unterhält Target hunderte Läden, deren Fläche jene von Walmart meist übertreffen, testete der Warenhändler im September in Manhattan so genannte Bullseye Bodegas. Vier Boutiquen nachempfundene Geschäfte boten billige Designerkleider feil. Der Versuch geriet zum Hit. «Kleine Läden stehen für die Individualität unserer Kunden», sagt ein Target-Sprecher. Jetzt will der Konzern den Test auf andere Städte ausweiten.
Die Ketten reagieren auf einen Trend. Boomen in der Schweiz neuerdings Malls, meiden die Amerikaner Shoppingcenter vermehrt. Zum einen hält der hohe Benzinpreis sie vom Auto fern. Zudem ist der Online-Einkauf günstiger und angenehmer. Qualität überragt Masse, und kleine Läden sparen Zeit. Wer will schon aus 56 unterschiedlichen Shampoos auswählen? Wöchentlich berichtet die Website deadmalls.com über das Verschwinden einst stolzer Einkaufstempel. Ladenmieter werden polizeilich evakuiert, ganze Einkaufszentren stehen vor der Enteignung. Diese Woche etwa wird in Georgia eine Mall zwangsversteigert. Eine in New Hampshire zählte einst 28 Mieter. 10 sind übrig geblieben.
Zum ersten Mal seit dem Rezessionsjahr 1980 schrumpft in Amerika die Verkaufsfläche. Es ist ein regelrechtes Gemetzel. 144 000 Läden werden dieses Jahr in den USA die Türen schliessen, schätzt der International Council of Shopping Centers. Das sind 7 Prozent mehr als letztes Jahr. Gemäss der Immobilien-Researchfirma Reis standen noch nie so viele Geschäfte leer wie derzeit. Besonders betroffen sind Malls. Rund 8 Prozent der Verkaufsfläche in Shoppingzentren fehlt der Mieter. Bis Ende 2009 könnten es gemäss Reis sogar 9 Prozent sein. Gerade 14 Prozent ihrer Einkäufe tätigen Amerikaner noch in den Shoppingpalästen mit den gigantischen Parkplätzen. Mitte der 90er-Jahre waren es 40 Prozent gewesen. Mit drastischen Folgen an der Börse. Letzte Woche sackte ein aus acht regionalen Mallkonzernen bestehender Dow-Jones-Equity-Index um 15 Prozent ab.
Schleichend geht eine Ära zu Ende, die mit dem Auto anfing. Malls erlebten in den 20er-Jahren ihre erste Blütezeit und gediehen insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Familien zogen aus den Städten und lebten den amerikanischen Traum vom Haus mit der Doppelgarage. Malls in Vororten ersetzten die Dorfplätze. Zu Beginn der 80er-Jahre zogen Kinoketten in Shoppingzentren ein. Innenstädte zerfielen. Zusammen mit den Highways veränderten Malls das Antlitz Amerikas. Nicht mehr offene Steppen prägen das Land, sondern überall gleich aussehende graue Betonburgen.
Viele rosten nun vor sich hin, zumal die Finanzkrise den Trend verstärkt. Aus Furcht, den Job zu verlieren, sitzen ungewohnt frugale Amerikaner auf ihrem Geld. Kreditkartenbanken vergeben Konsumkredite wegen des eingefrorenen Geldmarkts weit strikter. Der vergangene September erwies sich als schwächster Monat des Detailhandels seit den Terrorattacken von 2001. Analysten erwarten für das Weihnachtsgeschäft 2008 das niedrigste Umsatzwachstum seit den 80er-Jahren.
Um die Tendenz aufzuhalten, setzten Mallbetreiber auf skurrile Events. Eine Mall in Denver erzielte unlängst den Weltrekord zeitgleicher Hundehochzeiten. Andere locken mit Vergnügungsparks und Schwimmbädern. Vifen Unternehmern bescheren halbtote Einkaufszentren lukrative Geschäftsideen. So vermietet die New Yorker Werbeagentur Inwindow die Schaufensterfront längst geschlossener Läden als Reklamefläche. Läden, die noch in Malls leben, werben knallig bei ihren toten Nachbarn. Damit sie selber nicht sterben.