Der Notenbanker

Jahrelang hat Ben Bernanke die Finanzkrise im akademischen Labor getestet. Jetzt muss er zeigen, ob seine Theorien in der Realität bestehen können.

Von Peter Hossli

ben.jpgStatt der gewohnt professoralen Gelassenheit lag letzte Woche unterdrückte Panik in der Stimme von Ben Bernanke. Die amerikanische Notenbank, sagte deren Chef, bewege «jeden erdenklichen Hebel», um das Finanzchaos zu lindern. «Wir leisten Monumentales», versprach Bernanke. Einfach fällt ihm das nicht. Vor kurzem noch mahnte er minimale staatliche Eingriffe an. Den Umkehrschluss fasste er, «um Probleme historischen Ausmasses zu bewältigen».

Er weiss, wovon er spricht. Wie einer, der jahrelang am Flugsimulator übte und nun einen Jumbojet durch einen Hagelsturm steuert, fühlt sich der Chef der US-Notenbank.

An der Princeton University baute der bärtige Ökonom ein Labor auf, das jene Finanzblasen analysiert, die jetzt geplatzt sind. Er ist Autor von «The Great Depression», einem Standardwerk zur Depression, die auf den Crash von 1929 folgte. Die damalige Inaktivität der Notenbank beschuldigt er für das kolossale Ausmass der konjunkturellen Flaute. Hätte sich die Fed statt um den Geldwert-zerfall mit mutigen Zinsschnitten um das Wachstum gesorgt, wäre die Depression wohl verhindert worden. «Damals haben wir Fehler gemacht, die wir jetzt nicht wiederholen», sagt er.

Umso beherzter handelt er – gänzlich ohne politisches Kalkül. «Es gibt keine Atheisten im Schützengraben und keine Ideologen in Finanzkrisen», sagt Bernanke, 54. Kein anderer US-Notenbankchef hat gröber in die freie Marktwirtschaft eingegriffen als der ungestüme Kapitalist. Kurz nach Amtsantritt im Februar 2006 begann der Immobilienmarkt abzusacken. Kühn kürzte er Zinsen. Letzten März orchestrierte er den Verkauf der bankrotten Investmentbank Bear Stearns. Er half, AIG zu retten, drückte die Verstaatlichung zweier Hypothekenbanken durch und dachte sich das 700 Milliarden Dollar teure staatliche Rettungspaket aus. Erstmals in der Geschichte der Notenbank leiht sie Geld an andere Konzerne als Banken. Persönlich rief er Amtskollegen führender Nationen an, um eine globale Zinsrunde abzusprechen.

Es ist ein geldpolitischer Spagat, den Bernanke in langen Arbeitstagen von sechs Uhr früh bis Mitternacht wagt. Zum einen pumpt er riesige Summen frisches zinsgünstiges Geld ins System. Gleichzeitig versucht er, die deswegen wachsende Inflationsgefahr zu dämpfen. Der steigende Dollar und der fallende Ölpreis begünstigen den Balanceakt.

Als intellektuelle Wucht gilt Bernanke, einer, der präzise denkt, rasch handelt und dazu die braune Brause Diet Dr. Pepper trinkt. Nie sucht er das Rampenlicht und schätzt den Einsatz der Mitarbeiter. Jeweils um drei Uhr nachmittags lässt er ihnen seit neustem Kaffee und Kuchen servieren. «Ben ist ein sanfter Grübler, ein beachtlicher Denker, er hört zu, analysiert und stösst keinen vor den Kopf», beschreibt ihn Ökonom Allan Hubbard.

Bereits als Kind fiel er durch scharfen Intellekt auf. Ben gewann die Buchstabiermeisterschaften in South Carolina, wo er aufwuchs. Wie eine Reklame für Amerikas Topschulen liest sich die akademische Karriere. Die Harvard University verliess er mit «summa cum laude». Es folgte ein Doktortitel am Massachusetts Institute of Technology und Lehrtätigkeiten an den Eliteuniversitäten Stanford und zuletzt Princeton. Am Fed traf er viele seiner besten Studenten wieder.

Gemeinsam ändern sie die Kultur der Notenbank. Vorgänger Alan Greenspan war bekannt für karge, orakelhafte Aussagen. Bernanke hingegen denkt oft laut nach und spricht gerne Klartext. Beschlüsse der Notenbank vermittelt er direkter. Protokolle von Sitzungen legt er offen. Seine flapsige Äusserung, im Falle einer Deflation «so viele Dollar wie nötig» zu drucken und mit dem Hubschrauber über Amerika abzuwerfen, trug ihm den Kosename «Helikopter Ben» ein.

Er ist Republikaner, meidet allerdings den politischen Diskurs. Pries Greenspan Präsident Bill Clintons Defizit-Politik oder George W. Bushs Steuerschnitte, schweigt Bernanke zur Fiskalpolitik des Weissen Hauses. «Sie geht mich nichts an», sagte er. «Dafür sind Politiker gewählt worden.» Abgesehen vom Sitz in der Schulpflege belegte der Makroökonom und Sportfan nie ein politisches Amt. Bewusst pflegt der Familienmann den Ruf des Unabhängigen. Bei der Amtseinsetzung dankte er nur Gattin Anne und den beiden Kindern.