Kandidaten im Finanz-Sumpf

Republikaner wie Demokraten suchen nach Wegen aus der Finanzmisere. Allzu resolut gehen sie jedoch nicht gegen die Finanzbranche vor – denn sie füllt die Wahlkampfkassen.

Von Peter Hossli

abendmahl.jpgErleichtert schnauften die Berater von US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama auf, als am Montag die Börsen krachten. Endlich, urteilten sie, kann ihr Kandidat den Fokus auf den Lauf der Wirtschaft richten, weg von Sarah Palin. Der Crash, tippten Obamas Redenschreiber hastig in ihre Laptops, sei das «Resultat fehlgeschlagener republikanischer Politik». Gleichentags trug Obama die Worte johlenden Anhängern vor.

Derweil beschuldigte Obamas republikanischer Konkurrent John McCain den «demokratischen Kongress» für das Finanzfiasko. Demokraten wie Obama hätten die Hypothekenkolosse Fannie Mae und Freddie Mac mit Pfründen hofiert und vor Kontrollen bewahrt. Dem jugendlichen Widersacher sprach er die nötige Erfahrung ab, die Nation durch den Finanztaifun zu lenken. Ein Vorwurf, den Obama am Freitag mit einer aufsehenerregenden Sitzung zu kontern versuchte. Er traf in Miami Koryphäen wie Ex-Notenbankchef Paul Volcker oder Ex-Finanzminister Robert Rubin.

Marktschreierisch forderte John McCain daraufhin die Entlassung von Christopher Cox, dem Chef der Börsenaufsichtskommission. Eingeschüchtert stoppte Cox per Dekret spekulative Leerverkäufe, denen Analysten die Pleite von Lehman Brothers zuschieben. Als am Freitag die Aktienkurse stiegen, beanspruchten sowohl das Lager von McCain als auch das von Obama das Label vifer Wirtschaftshüter für sich. Klar ist jedoch: Ein atemberaubendes Pyramidensystem ist zerfallen, das Republikaner wie Demokraten gemeinsam errichteten. Triebfeder waren Berater von John McCain und Barack Obama.

Da ist zum Beispiel der einstige Goldman-Sachs-Banker Robert Rubin. Als Einflüsterer von Präsident Bill Clinton trieb er die Deregulierung der Hochfinanz voran. Zwischen 1995 und 1999 amtete der heutige Obama-Berater als Finanzminister. Gleichzeitig entwarf der republikanisch beherrschte Kongress unter Federführung von Senator Phil Gramm den Financial Services Modernization Act. Clinton unterschrieb das Gesetz im November 1999.

Risikoarm konnten Banken fortan kreditunwürdigen Kunden umfangreiche Kredite aufschwatzen. Zumal sie die Darlehen selbst nicht mehr eintreiben mussten. Sie reichten sie an andere Banken weiter, die sie wiederum weiter reichten. «Obama kann die Banken nicht angreifen», sagt Autor Robert Scheer. «Er hört Leuten zu, die Gesetze stützten, die den Crash verursachten.»

gramm_mccain.jpgGesetzesautor Gramm erhielt nach dem Abtritt aus dem Senat einen Job als Vizechairman bei der UBS. Für McCain erarbeitete er ein Wirtschaftsprogramm – bis er jene Amerikaner, die über den müden Gang der Wirtschaft mäkeln, als «Truppe von Jammerern» tadelte. McCain entliess ihn.

Keine Partei fiel bei den nun verstaatlichten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac löblich auf. «Fannie und Freddie ist das Enron der Demokraten», sagt Grover Norquist, Präsident der Denkfabrik «Americans for Tax Reform» und republikanischer Königsmacher, in Anspielung auf die skandalträchtige Pleite des amerikanischen Energiekonzerns Enron im Jahr 2001. «Es ist nur viel teurer als Enron.»

Tatsächlich wird der Staat wegen der Immobilienkrise nun bis zu einer Billion Dollar in die Finanzmärkte pumpen. Der Enron-Kollaps kostete private Investoren rund 180 Milliarden Dollar. Es war Bill Clinton, der die Konzernchefs von Fannie und Freddie nominiert hatte. Eine Gesetzesinitiative des Demokraten begünstigte die unheilvollen Subprime-Darlehen. Beide Parteien segneten Clintons Vorschläge ab.

Allzu resolut dürften aber weder Obama noch McCain gegen die Finanzbranche vorgehen. Kein anderer Sektor legt mehr Geld in deren Wahlkampfkassen. Bisher 114,5 Millionen Dollar spendeten Banker und Versicherungsvertreter dieses Jahr. Die Demokraten erhielten mit 59,8 Millionen Dollar knapp mehr als die Republikaner mit 54,5 Millionen.

Haben die Turbulenzen Folgen für die Wahlen? «Kaum», sagt Norquist, der ein knappes Resultat erwartet. Entscheiden würden die Unentschiedenen. «Wer noch nicht weiss, ob er Obama oder McCain wählt, versteht die Wall Street ohnehin nicht.» Gesellschaftliche Themen seien wichtiger, sagt Norquist. «Bibel und Gewehr, nicht Aktien und Obligationen führen ins Weisse Haus.»