Von Peter Hossli
Sarah Palin war im vierten Monat schwanger, als sie von der Erbkrankheit ihres Fötus erfuhr. Der Kleine, so ihr Arzt, habe das Downsyndrom. Nie dachte die Gouverneurin von Alaska an eine Abtreibung. «Gott hat uns für diese Aufgabe erkoren», sagte sie. Letzten April gebar sie ihr Söhnchen Trig. «Es ist kaum zu beschreiben, wie wichtig diese Geschichte für konservative Gläubige ist», sagt Ralph Reed, einst Präsident der Christian Coalition. «Wir sind sehr zufrieden mit John McCain.»
Auf diese Worte hatte McCain monatelang gehofft. Am Freitag schlug der republikanische Kandidat fürs Weisse Haus Sarah Palin als seine Stellvertreterin vor. Just erhielt er den Segen jener Gruppe, die ihm lange misstraute, aber Wahlen oft im Alleingang entscheidet.
Als wäre es die Wiederkunft Jesu, feiern US-Christen die ungeahnte Ernennung. Palin, die mit ihrer Familie einst von Idaho nach Alaska zog, ist eine von ihnen. Eine Evangelikale, welche die Bibel als wörtliche Wahrheit Gottes versteht. Sie schwor vorehelichem Sex ab, ist seit 21 Jahren mit demselben Mann verheiratet und stellt die Familie vor alles. An Schulen will sie statt Darwins Evolutionslehre die biblische Schöpfungslehre unterrichten. Abtreibungsgegner verehren die fünffache Mutter, die willentlich ein behindertes Kind austrug.
«Wow», kommentiert der Korrespondent des Christian Broadcasting Network, David Brody, den Entscheid für Palin. «Wenn etwas diese Wahl kehrt, dann das.» Die christliche Basis werde massenhaft wählen. Wie schon vor vier Jahren könnte sie das Wohnrecht im Weissen Haus vergeben.
Das Wahlvolk Amerikas teilt sich in zwei starre Blöcke. 48 Prozent wählen republikanisch, 48 Prozent demokratisch, 1 Prozent geht an Splitterparteien. Die grossen Parteien umgarnen daher bloss 3 Prozent Unentschlossene, die in so genannten Swing States leben, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen. Das Zünglein an der Waage spielen seit Jahrzehnten radikale Christen. Sie wählen vornehmlich republikanisch – wenn sie wählen.
Der Demokrat Bill Clinton profitierte in den Neunzigerjahren vom Desinteresse der Christen an den republikanischen Kandidaten. George W. Bush siegte im Jahr 2000 nur knapp, weil 15 Millionen statt der erwarteten 19 Millionen fanatischen Gläubigen an die Urne gingen. Zu wenig resolut hätte sich der Texaner gegen Abtreibung oder die homosexuelle Ehe ausgesprochen. Vier Jahre später – Bush spickte Reden gezielt mit Bibelzitaten – schlug er den Demokraten John Kerry klar. In vielen Staaten stand ein Plebiszit zur Homo-Ehe an. Das trieb aufgebrachte Christen zur Urne.
Diesen Effekt soll nun die Vizepräsidentin in spe erzielen. Evangelikale sehen darüber hinweg, dass die junge Gouverneurin kaum Erfahrung mitbringt. «Gehen wir zur Wahl, interessiert uns nur, ob jemand für oder gegen Abtreibung ist», sagt Doug Hutschens, ein Verkäufer, der ausserhalb von Dallas lebt.
So denken weit mehr amerikanische Wähler, als ein Blick in traditionelle Medien erahnen lässt. Rund 46 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als Evangelikale. Für sie ist Palin, Mitglied der Assemblies of God, der weltweitgrössten Kirche der Pfingstbewegung, ein Geschenk Gottes.
Als «Sieg der Bewegung» feiern sie christliche Radiostationen. «John Mc-Cain hat ein Jahrhunderttor erzielt», sagt der einflussreiche Evangelikale Mat Staver vom Liberty Counsel zur Nominierung Palins. «Wir stehen stramm hinter ihm.»
Will heissen: Bis zum Wahltag im November trimmen Priester jeden Sonntag Amerikas Gläubige auf das Duo McCain/Palin.