Von Peter Hossli
Anfang 2006, Atomanlage Natans, 130 Meilen südlich der iranischen Hauptstadt Teheran. Ein weiss gekleideter Laborant steht im Kontrollraum und wirft den Strom an. Es surrt, dann knallt es. Fünfzig Zentrifugen, die Uran zu atombombenfähigem Material anreichern können, explodieren.
Ein paar tausend Meilen entfernt, im CIA-Hauptquartier in Langley (Virginia), prosten sich US-Agenten anerkennend zu. Einer ihrer Spionagesatelliten übermittelt Bilder der ramponierten Anlage in Natans. Ihr gezielter Sabotageakt hat funktioniert – und die Spione sind sich einig: Um Monate liegt das iranische Atomwaffenprogramm lahm.
Zurück in Natans. Iranische Techniker prüfen die geschmolzenen Kabel. Rasch ist klar: Die Generatoren der Zentrifugen waren absichtlich sabotiert worden. Erst später erfahren sie, von wem – von drei listigen Schweizer Doppelagenten aus dem St. Galler Rheintal.
Friedrich Tinner und seine Söhne Urs und Marco standen jahrelang im Sold des pakistanischen Schmugglers Abdul Kader Khan, der Vasallenstaaten beim Atombombenbau half. Von der CIA kriegten sie überdies zehn Millionen Dollar, um Khans Netz preiszugeben und seinen Kunden schadhafte Güter anzudrehen. Das Geld lieferten die Amerikaner fein säuberlich verpackt in Koffern ab – dies schreibt die «New York Times». Tinners Anwälte bestreiten diesen Punkt.
Seit Mitte der 70er-Jahre arbeitete Senior Friedrich für Khan. Die Expertise des Schweizer Ingenieurs half Pakistan, eigene Nuklearwaffen zu bauen. Khan und Tinner handelten danach mit Teilen für Anreicherungsanlagen. Damit startete der libysche Diktator Muammar Gaddafi heimlich ein Nuklearprogramm.
Ende der Neunzigerjahre geriet der Geldfluss der Tinners ins Stocken. Wie gerufen kam da ein lukratives Angebot der CIA. Monatelang hatten amerikanische Geheimdienstler die St. Galler beobachtet. Anfang 2000 heuerten sie zuerst Urs an, den älteren Sohn. Er brachte Vater Friedrich und Bruder Marco beim CIA unter – als Maulwürfe mit bübischem Spass an kniffligen und bei Despoten beliebten Maschinen. Das Trio belieferte weiterhin Khan und weihte die CIA darüber ein. Um die Nuklearprogramme Irans und Libyens zu stören, sabotierten die Schweizer zudem viele der heiklen Apparate.
Selbst der durchtriebene Wüstenherrscher Gaddafi blieb nicht verschont. Die Amerikaner wollten unbedingt die Atombombengelüste des unberechenbaren Libyers stoppen. Deshalb sandten sie im Juni 2003 eigens zwei CIA-Agenten ins bündnerische Bergdorf Jenins – mitten ins Heidiland. Eine Million Dollar offerierten sie dort Marco Tinner für einen riskanten Kurzeinsatz.
Vier Monate später beschlagnahmten die Amerikaner etliche Kisten mit Bestandteilen für Zentrifugen, die für Libyen bestimmt waren. Die Tinners hatten die Verkäufer verpfiffen. Bald darauf stellte Gaddafi sein Atomwaffenprogramm ein. Die Vakuumpumpen, die er besass, klemmten. «Ein Verdienst der Tinners», sagen US-Behörden heute.
Anders sieht das der Bundesrat. Nachdem das Khan-Netzwerk 2004 aufgeflogen war, schnappten sie die St. Galler Spione mit Verdacht auf Verstoss gegen das Kriegsmaterial- und Güterkontrollgesetz. Tausende Tinner-Dokumente fielen in Schweizer Hände – zum Verdruss der CIA, die befürchtete, die Akten kämen ans Licht, sollte die Schweiz den Spitzeln den Prozess machen. Damit würde nämlich bekannt, wie Amerika beim Nuklearschmuggel munter mitmischt.
Deshalb bestellte US-Justizminister Alberto Gonzales den Amtskollegen Christoph Blocher nach Washington. Blocher flog Ende Juli 2007 in die USA, um «über Terrorismus zu reden». Eine bewusste Irreführung: Es ging um die Tinners. Die Amerikaner forderten eine sofortige Herausgabe aller Papiere. Gemäss ihm nahestehender Personen schloss Blocher einen Kompromiss: Die Schweiz würde die Dokumente nicht aushändigen, aber zerstören.
Kaum war Blocher in Kloten gelandet, begannen Spezialisten in Bern das brisante Material zu zerstören. Letzten Mai bestätigte Bundespräsident Pascal Couchepin die eilig befohlene Aktion. Die Dokumente seien ein «erhebliches Sicherheitsrisiko für die Schweiz und die Staatengemeinschaft» gewesen. Wie schon Blocher, schwindelte auch Couchepin. Die Berner Schredder liefen allein auf Geheiss der Amerikaner.