US-Autosektor in Nöten

Der hohe Benzinpreis würgt die US-Konjunktur ab. Besonders leidet die amerikanische Autoindustrie.

Von Peter Hossli

gm.jpgBen Bernanke zeichnet ein düsteres Bild. Bis «weit ins nächste Jahr» werde die amerikanische Wirtschaft stottern, sagte der US-Notenbankchef am Dienstag. Nicht verdaut ist die Finanzkrise. Die Zahl der Hausenteignungen steigt weiterhin, jene der Arbeitsplätze fällt. Börsen bersten. Die Kaufkraft des Dollar ist mager. Erdöl und somit Benzin sind teuer wie nie zuvor.

Kaum eine Branche ist stärker betroffen als die US-Autoindustrie. Deren Geschäftsmodell – Gewinne einzig mit durstigen Geländewagen zu erzielen – ging nur dank billigem Sprit und Stahl auf. Innert Jahresfrist verdoppelten sich die Preise beider Rohstoffe. Da umweltfreundliche US-Autos fehlen, wechseln Kunden zu Honda und Toyota. Just brach der Absatz der US-Hersteller ein – um 25 Prozent. Erstmals seit der Ölkrise der siebziger Jahre beschwören Analysten den Kollaps von General Motors, Ford und Chrysler.

Bei Ford zerschlug sich die Hoffnung, im nächsten Jahr wieder einmal Profit abzuwerfen. Chrysler, vor zwei Jahren von einer Private-Equity-Firma aufgekauft, soll erneut veräussert werden. Ein Bankrott bei General Motors, einst weltweit grösste Firma, sei «nicht auszuschliessen», notiert nun Merrill-Lynch-Analyst John Murphy. Nicht beruhigen konnte das GM-Statement dazu: «Bis Ende Jahr reicht das Geld.» Als CEO Richard Wagoner am Donnerstag entwarnte, sank die Aktie um 6,2 Prozent.

Der Kapitalbedarf bei GM ist enorm. Monatlich verliert der Konzern derzeit zwischen einer und zwei Milliarden Dollar. Zwar liegen noch 23,9 Milliarden in der Betriebskasse. Um die Fabriken in Gang zu halten, so Analyst Murphy, braucht GM bis 2010 zwischen 10 und 15 Milliarden Dollar frisches Kapital.

Das ist nicht einfach zu finden. GMs Anteil am US-Automarkt schrumpft stetig, von einst fünfzig auf nunmehr zwanzig Prozent. Die GM-Aktie ist so billig wie seit fünfzig Jahren nicht mehr. Die Börsenkapitalisierung des einst stolzen Riesen liegt noch bei kargen 5,7 Milliarden Dollar. Demnach müsste GM zwei bis drei Mal den Firmenwert aufnehmen. Eine solch beträchtliche Neuemission setzt den Aktienkurs zusätzlich unter Druck.

Schuld an der desolaten Situation ist nicht allein der Umsatzeinbruch. Schwer trägt GM an der Last der Rentenverträge aus Boomzeiten. Nach dreissig Jahren am Fliessband kriegen GM-Arbeiter neben einer generösen Rente lebenslang die Krankenkasse bezahlt. Weniger als 200’000 Arbeiter erwirtschaften Geld, um den Ruhstand von 460’000 Pensionären zu bezahlen. Wie ein überalterter Sozialstaat blutet GM aus. Zwischen 1993 und 2007 gab die Firma 103 Milliarden Dollar aus für Pensionäre, zahlte aber nur 13 Milliarden Dollar als Dividenden aus. Demnach kriegen die Rentner des Konzerns weit mehr als dessen Besitzer.

andersonErst in zwei Jahren treten neue Arbeitsverträge in Kraft, die den Arbeitern weniger Vorteile und den Autokonzernen geringere Kosten bescheren. Da das nicht ausreicht, um von Rekordverlusten – GM: 39 Milliarden Dollar Jahresverlust – in die Gewinnzone zu gelangen, muss die Branche weiter magern. Ford, Chrysler und GM schliessen Fabriken und entlassen Personal. Gehen sollen nicht nur Fabrikarbeiter, sondern vermehrt Bürolisten und Ingenieure. Diesen Sommer und im Herbst schliessen 15 Fabriken. 25500 Leute erhalten den blauen Brief. GM entlässt 11000, Ford 5000 und Chrysler 9500 Personen.

Unnötige Kosten verursacht der Markenwirrwarr. Siebzig Modelle fabriziert GM unter acht Marken. Toyota, in den USA profitabel, stellt unter derselben Marke nur acht Modelle her. Als gesichert gelten bei GM nur Chevrolet und Cadillac. Die von protzigen Militärfahrzeugen inspirierte Marke Hummer wird bereits feilgeboten. Buick, Saturn und Pontiac droht das Aus. Selbst die Yuppie-Marke Saab will GM loswerden. Bloss 35000 Saabs finden in den USA jährlich Käufer. Jeden Monat gehen mehr Honda Accord weg.

Derweil könnte eine andere einst schwedische Automarke aus der Gunst der Amerikaner fallen. Ford hält Ausschau nach einem Käufer für Volvo. Es wäre nach dem Verkauf von Land Rover, Jaguar und Aston Martin die vierte Luxusmarke, die Ford abstösst.

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