Rolling Stones der Computerindustrie

Bill Gates tritt ab, Steve Jobs tritt kürzer. Sie waren beinharte Konkurrenten und sind sich ähnlicher, als sie glauben. Vorbei ist die faszinierendste Rivalität der Wirtschaftsgeschichte.

Von Peter Hossli

bill_gatesjpg_steve_ballmer.jpgZum Schluss flossen Tränen. Noch einmal hatte Bill Gates letzten Freitag vor hunderten von Mitarbeitern seine Ideen ausgelegt. Wie stets trug der 52-jährige Microsoft-Gründer ein zerknittertes helles Hemd, dazu eine Brille mit verfleckten Gläsern. Dann räumte Gates sein Büro am Microsoft-Hauptsitz in Redmond. Innig umarmte er beim Gehen Freund und Nachfolger Steve Ballmer. Beide hatten feuchte Augen. Es war nach 33 Jahren Gates’ letzter Arbeitstag. Nicht mehr Google wird er künftig bekämpfen. Seine Feinde heissen Malaria, Aids und Kindersterblichkeit. Ausmerzen will er sie mit den Milliarden, die ihm Microsoft eintrug.

Drei Wochen zuvor und 820 Meilen südlicher stellte Steve Jobs in San Francisco ein zweites iPhone vor. Noch schneller finde das Wunderding das Internet, sagte der Apple-Gründer. Das Gerät geriet rasch zur Nebensache. Firmenchef Jobs, normalerweise ein famoser Redner, wirkte matt und von der Bestform weit entfernt. Merklich dünner war er geworden. Backenknochen zeichneten sein Gesicht. Der althergebrachte Rollkragenpullover hing lose von den Schultern. Jobs, beruhigte Apple, leide an einer «normalen Viruserkrankung».

sjobs.jpgGlauben mochte das niemand. Vor vier Jahren erkrankte Jobs an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Er unterzog sich damals einer Wipple-Operation, berichtet jetzt das Magazin «Fortune». Beim nach dem US-Chirurgen Allen Whipple benannten Eingriff werden die Gallenblase, der Zwölffingerdarm, die Bauchspeicheldrüse sowie Teile des Magens entfernt. Wer einen Whipple überlebt, verliert ständig Gewicht – «und ist nie mehr der gleiche Mensch», schreibt «Fortune». Trotz vorzüglichen Verkaufsprognosen für das neue iPhone sackte die Apple-Aktie um zehn Prozent ab. Tritt Jobs als CEO ab, schrumpft der Börsenwert des Konzerns um insgesamt 20 Milliarden Dollar, spekulieren Analysten.

Nach Gates’ Rücktritt und Jobs’ erwartetem Abtritt geht eine drei Jahrzehnte dauernde Fehde zu Ende. Prächtig unterhielt der Wettstreit um die digitale Vormacht mit ständig neuen Apercus. 1975 gründete Gates Microsoft, 1976 startete Jobs Apple. Seither sind sie Rivalen. Auf dem Höhepunkt des Streits beschuldigte Jobs 1985 Erzfeind Gates des Ideenklaus. Das Betriebsystem Windows sei eine miese Kopie seines vor Jahresfrist lancierten Macintosh. Gates stritt es nicht einmal ab. «Macht es genau so wie beim Mac», befahl er seinen Software-Entwicklern. Ein Problem sah er darin nicht – zumal Jobs zuerst bei Xerox abguckt hatte.

Gleichwohl pflegte Jobs das Images des unbändigen Erfinders. Gates sah sich als genialer Verkäufer, der auf «jedem Schreibtisch und in jedem Haus» einen Computer mit seinem Betriebssystem haben wollte. Nicht Qualität, Masse und niedrige Gewinnmarge bescherten den Erfolg. Jobs hingegen kreierte teuere Produkte, die «anders sind». Nicht grau, sondern farbig, ein bisschen sexy, ständig innovativ, nie stagnierend.

Nun treten die «zwei Egos» ab, die «unsere Welt verändern», wie das Wirtschaftsblatt «Cash» einst titelte. Wie wahr. Mehr als eine Milliarde Kopien von Microsoft Windows betreiben über 90 Prozent der Personal Computer. Eine solche Dominanz in einem derart dominanten Sektor schaffte vor und nach Gates niemand. Es gelang ihm mit dem scharfsinnigen Entscheid, Software- und Hardware als von einander unabhängige Marktbereiche zu betrachten. Microsoft lieferte die Programme, die anderen die Rechner, auf denen sie laufen.

stevebill1.jpgDem damaligen Computer-Riesen IBM bot Gates das Betriebssystem DOS an, unter der Bedingung, es auch anderen Computerherstellern lizenzierten zu dürfen. Etliche Jungunternehmer fabrizierten nun eigene Rechner und zahlten Gates eine Gebühr, um sie mit DOS zu betreiben. Mit diesem Kniff zerschlug er das Monopol von IBM und kreierte gleichzeitig neue Kunden für sich selbst. Danach lancierte er das Softwarepaket Office, mit dem Weltkonzerne wie Einzelfirmen seither den elektronischen Alltag meistern.

Das Gates-Prinzip stand. Je mehr Leute Microsoft-Programme nutzten, desto wertvoller wurden sie. Da er das Betriebssystem günstig abgab und jeden Computer mit einem Intel-Chips damit ausrüstete, beherrschte er eine weltumspannende technologische Plattform. Wer digitale Produkte und entwickelte, musste das zuerst immer für seinen universellen Standard tun. Zufrieden gar er sich nie. «Erfolg ist ein schlechter Lehrer», sagte Gates. «Er verführt gescheite Leute zum Glauben, sie könnten nicht verlieren.»

Geriet er mal in Rücklage, kaufte er sich frei. Als 1993 der erste Browser von Netscape auf den Markt kam, behob er die technischen Tücken von Windows 95. Lauthals zweifelte er am Erfolg des World Wide Web. Just verpasste er die ersten Jahre der Internet-Revolution. Erst als alle nur noch von Netscape sprachen, sprang er auf den fahrenden Zug auf, suchte nach verwundbaren Stellen beim Konkurrenten und blies zum Angriff. Zuerst beauftragte er seine Ingenieure, die besten Elemente der Netscape-Programme in den Microsoft-Browser Internet-Explorer einzubauen. Dann koppelte er seinen Browser an das von fast allen benutzte Betriebssystem Windows an.

Mit einer Finanzspritze von 150 Millionen Dollar an die beinahe bankrotte Computerfirma Apple setzte er 1997 die Krönung auf die krumme Tour. Von Apple verlangte er, neue Rechner mit dem Microsoft-Browser zu versehen. Die Arglist dahinter: Da die meisten Websites auf Apple-Computern gestaltet wurden, setzte Gates fortan den technischen Standard im Internet. Es ging auf. Gates gewann damit den Browser-Krieg. Netscape verschwand. Er zementierte seinen Ruf als ruchlosen Kapitalisten und Monopolisten. Jahrelang stritt er nachher mit europäischen und amerikanischen Kartellämtern.

Ausgerechnet Gates hatte Apple vor dem Untergang bewahrt. Jobs nahm die Erniedrigung gelassen hin. Nach einer 12-jährigen Odyssee ausserhalb Apples war er eben als neuer CEO eingesetzt worden. Das frische Kapital von Gates und sein eiserner Wille würden Apple dorthin bringen, wo er stets hinwollte – weg von der kleinen Computerfirma, hin zum weltweiten Trendsetter. Den Weg zum Ziel verliess Jobs nie. Ob zuerst beim Macintosh Computer, später beim Musikplayer iPod und nun beim iPhone – stets baute er auf Apples Dreifaltigkeit aus betörendem Design, überlegender Technik und vifem Marketing. Diktatorisch bläute er den Ingenieuren ein, schöne, einfache und nützliche Geräte zu entwickeln. Da er dies nur für möglich hält, wenn Software und Hardware harmonieren, gab er im Gegensatz zu Gates die Kontrolle über beide Bereiche nie ab.

Er suchte jeweils nach unausgegorenen und vollendet sie wenn die Zeit dazu reif war. Die benutzerfreundliche Oberfläche des Macintosh fand er bei Xerox-Ingenieuren, die nicht wussten, was sie damit anfangen sollten. Der iPod von Apple war nicht der erste tragbare Musikplayer. Den hatte Sony 1979 als Walkman lanciert. Dem «Star Wars»-Regisseur George Lucas kaufte er 1986 das Trickfilmstudio Pixar ab und formte es zum führenden Fabrikanten computeranimierter Filmen. Zuletzt blitzte beim iPhone sein wahres Talent auf – er veredelte das Smartphone.

Insofern sind Gates wie Jobs hervorragende Verkäufer von Dingen, die andere erfunden hatten. Es ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Beide kamen 1955 zur Welt, Jobs im Frühling, Gates im Herbst. Noch heute sind es die Aushängeschilder einer Generation von Amerikanern, die den «selfmade man» leidenschaftlich verehrt. Beide brachen das Studium ab, beide verfolgten mit in Garagen gegründeten Firmen anfänglich dasselbe Ziel – die Dominanz von IBM zu brechen.

Beide sind Kontrollfreaks. Der eine – Gates – verdeckt es hinter dem zahmen Strebergesicht, der andere – Jobs – hinter dem Hippie-Gebaren. Dabei verachtet Gates, wer ihm intellektuell unterlegen ist. Herrisch kontrolliert Jobs sein Personal. Wer ausplaudert, woran er gerade tüftelt, fliegt raus. Blogger, die auf ihren Websites geheime Apple-Produkte enthüllten, verklagte er gnadenlos.

Ihren kolossalen Erfolgshunger stillen beide. Wobei Gates mehr Geld als Ruhm erntet. Zeitweilig schwoll sein Vermögen auf 100 Milliarden Dollar an. Jahrelang war er reichster Mann der Welt. Seit dem Kurssturz der Microsoft-Aktie steht er mit 58 Milliarden Dollar an dritter Stelle, so das Magazin «Forbes». Rund 5,8 Milliarden Dollar besitzt Jobs. Mehr als verzehnfacht hat sich seit 2001 der Kurs der Apple-Aktie. Ansehen scheint ihm aber wichtiger als Geld. «Als ich 23 war, hatte ich mehr als 1 Million Dollar, mit 24 waren es mehr als 10 Millionen und mit 25 über 100 Millionen. Es war mir völlig egal», sagte Jobs. «Ich habe nie etwas wegen des Geldes gemacht.» Lieber lässt er sich von «Time» als «innovativsten CEO» feiern. Es gefällt ihm, wenn in Kinofilmen die Bösewichte auf PCs tippen und die Helden Macs bedienen; und dass er Hollywood und das Silicon Valley prägt.

Apple und das Jobs-Prinzip scheinen gewappnet, der neuen digitalen Konkurrenz von Google und Facebook die Stirne zu bieten. Seine designierten Nachfolger – der Apple-Designer Jonathan Ive und Marketingchef Phil Schiller – haben verinnerlicht, was Jobs predigt: anders als alle anderen zu denken und Nischenprodukte anzubieten, die doch jeder will.

Microsoft hofft hingegen auf den Befreiungsschlag nach Gates. Wehmut um und Lobpreisungen auf ihn verdecken, was Microsoft plagt. Müde dümpelt der Koloss vor sich hin. Die Aktie, einst im Höhenrausch, bewegt sich seit 2000 seitwärts. Das Anfang 2007 lancierte Betriebssystem Vista floppte technologisch. Unlängst scheiterte die Übernahme von Yahoo. Kostenlos bietet Google mittlerweile Textverarbeitung und Tabellenkalkulation an. Viele gewichtige Trends verpasste Gates. Er unterschätzte die Kraft der Suchmaschine, ebenso das rasante Wachstum der Online-Werbung, die digitale Musik, die sozialen Netzwerke. Weil er den Konzern selbst aufbaute, war er nicht in der Lage, ihn radikal umzubauen.

Dabei braucht Microsoft dringend ein neues Geschäftsmodell. Windows wird nicht mehr lange Milliarden in die Microsoft-Kasse spülen. Software ist zum Allgemeingut geworden. Erfolg hat, wer rasch die gewünschte Information findet. Google, nicht Microsoft, ist das Mass der digitalen Dinge. Demnach ist falsch, was der «Economist» letzte Woche schrieb. Gates geht nicht «im Zenit», er verlässt ein sinkendes Schiff.

Eine Kurzversion dieses Artikels ist in der Weltwoche erschienen.