Von Peter Hossli
Locker sass Barack Obama am Freitagnachmittag auf einem Hocker. Das Jackett hatte er abgelegt, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Neben ihm stand Hillary Clinton und stellte ihn als «nächsten Präsidenten der USA» vor. Er nickte höflich.
Solche Selbstsicherheit zeugt nicht von Arroganz. Es ist politische Realität. Derzeit deutet alles auf eine fade US-Wahl hin mit Obama als klaren Sieger. Bei Umfragen liegt der Senator aus Illinois deutlich vor John McCain, dem Senator aus Arizona. Je nach Demoskop beträgt der Vorsprung zwischen drei und 15 Prozent.
Nicht nur landesweit schlägt der vife Anwalt mit Harvard-Abschluss den kernigen Militärpiloten. Obama führt in den Swing States, Staaten, die mal demokratisch, mal republikanisch wählen. Das ist entscheidend, da in den USA nicht das Volk, sondern Elektoren die Präsidenten küren. Alle 50 Gliedstaaten verteilen proportional zur Bevölkerung eine feste Anzahl von Wahlleuten. Gewinnt ein Kandidat in einem Staat, kriegt er alle dessen Elektorenstimmen.
Für den Einzug ins Weisse Haus braucht es 270 Wahlleute. Dem Demokrat Obama sind gemäss CNN-Hochrechnungen 231 sicher, der Republikaner McCain kann auf 194 zählen. Umkämpft sind 113 Elektoren in neun Staaten. Der 71-jährige McCain liegt nur im Altenparadies Florida vorne. In zwei Staaten sind die beiden gleichauf, in sechs anderen führt Obama, etwa in den bevölkerungsreichen Ohio und Pennsylvania.
Eine weite Lücke klafft beim Geld. 265 Millionen Dollar hat Obama gesammelt. Ärmlich muten da McCains 115 Millionen an. Gefüllt hat Obamas Wahlkampfkasse eine brillant geführte Kampagne. Als «erster Wahlkampf des 21. Jahrhunderts» rühmt Analyst Ron Brownstein seine Strategie. Statt einer Liste typischer Versprechungen verheisst er eindringlich Veränderung. Rechtzeitig bewegt er sich vom Populismus in die politische Mitte. Steht er ständig im Rampenlicht, spricht über McCain in den US-Medien selten jemand.
Besser als jeder andere Politiker legte Obama ein nationales Netzwerk, nicht in verrauchten Hinterzimmern sondern online. Millionen von Gleichgesinnten treffen sich auf Obamas ausgeklügelter Website. Sie tauschen Informationen aus, planen Veranstaltungen, offerieren freiwillige Dienste an. Das Geld, das sie sammeln, gibt Obama zielgerecht aus. Statt blind TV-Sports zu schalten, hat er in 50 Staaten straffe Organisationen aufgebaut. Ab September werden Heere von Freiwilligen um jede Stimme kämpfen.
Bestimmt an der Seite der Wähler, die inbrünstig auf Hillary Clinton und somit auf die erste Präsidentin hofften. Geradezu liebevoll umgarnt er Clintons Anhänger. «She rocks», feierte Obama seine einstige Rivalin am Freitag beim Auftritt in New Hampshire, «sie ist schlicht umwerfend». Bei jeder Gelegenheit loben seine Sprecher die New Yorker Senatorin und ihren Gatten, Ex-Präsident Clinton. «Bill Clinton war ein exzellenter Präsident», sagt Obamas Pressechef Robert Gibbs. «Wir wären stolz, zu erreichen, was er erreicht hat.» Solche Demut gefällt. Horden ehemaliger Hillary-Wähler helfen nun Obama.
Siegessicher kann sich Obama fühlen, weil sein Gegner ein unangenehmes Problem hat – er ist nicht beliebt. Fiskalisch Konservative sowie die rechten Christen –Stammwähler der Republikaner – trauen McCain nicht. Bereits ist die Rede von Obama-Cons – Konservativen, welche sich aus Enttäuschung über die Bush-Jahre auf die Seite von Obama stellen. Mit schütterem weissen Haar, geknicktem Gang und mässiger Eloquenz hat er es schwer im jugend- und fernsehverliebten Amerika gegen einen 46-jährigen, charismatischen Redner.
Gleichwohl dämpfen Analysten die Obama-Mania. Vor Labor Day, dem ersten Montag im September, sei Umfragen wenig Gewicht beizumessen. Die Medien wollen einen knappen Ausgang, der die Quoten treibt. Sehnlich lauern sie auf Fehltritte Obamas, oder auf eine der famosen Oktober-Überraschungen. Passiert kurz vor dem 4. November Unvorhergesehenes, kann die Wahl kippen. Was die Demokraten beispielsweise fürchten und die Republikaner wünschen: die Verhaftung von Terrorfürst Osama bin Laden.