“Kein Angriff auf das Bankgeheimnis”

Im Fall UBS geht es nur um Steuerflucht, sagt Rechtsexperte John C. Coffee. Die Bank muss einlenken.

Von Peter Hossli

john_c_coffee.jpgProfessor Coffee, mit der Untersuchung der UBS greifen US-Behörden das Schweizer Bankgeheimnis an. Warum gerade jetzt?
John C. Coffee: Das ist falsch. Es gibt keinen Angriff auf das Schweizer Bankgeheimnis. Mit Bradley Birkenfeld gibt es einen Ex-UBS-Banker, der zugibt, Amerikanern systematisch bei Steuerflucht geholfen zu haben. Jetzt wollen die US-Behörden wissen, was passiert ist und wer sonst noch involviert war.

Das ist nur möglich, wenn die Bank Daten offen legt. Es ist also ein Angriff auf das Bankgeheimnis.
Coffee: Der US-Regierung ist es egal, ob und wo reiche Personen aus aller Welt ihr Geld verstecken. Es interessiert sie nur, ob Amerikaner mit Hilfe von ausländischen Banken die amerikanische Einkommenssteuer umgehen.

Birkenfeld half US-Bürgern, Geld über die Schweiz in Länder zu verschieben, mit denen die US-Steuerbehörde kein Abkommen hat. Welche Bedeutung hat sein Fall?
Coffee: Birkenfeld ist ein Stein im Domino. US-Ankläger spielen Domino, wenn sie systematischen Betrug zerschlagen wollen. Sie versuchen eine weniger wichtige Person zu fassen, die mit einer hohen Haftstrafe rechnen muss. Sie bieten ihr eine mildere Strafe an, wenn sie dafür Namen von wichtigeren Leuten und Informationen zu deren Handlungen kriegen. Dann fällt ein Stein nach dem anderen.

Gibt es andere Dominosteine?
Coffee: Ich vermute, dass der UBS-Banker Martin Liechti viel über Liechtenstein weiss. Er sitzt derzeit in Miami fest. Plaudert er, könnte er andere Figuren an den Pranger liefern.

Was muss die UBS tun, um in den USA einer Strafklage zu entkommen?
Coffee: Die USA ist nicht daran interessiert, Konzernen den Prozess zu machen. Selbst wenn genügend Beweise für eine Schuld vorliegen, sehen Ankläger meist von Anklagen ab, wenn eine beschuldigte Firma kooperiert. Die UBS wird eine Studie in Auftrag geben müssen, in der dargestellt wird, wie Verbrechen begangen wurden, wer involviert war, wer die Verantwortung trägt – und warum die interne Aufsicht fehlschlug.

Um straffrei zu bleiben, müsste die UBS eigene Banker anschwärzen, die illegal handelten?
Coffee: Ja. Firmen sind schlussendlich juristische Kunstprodukte. Sie können nicht ins Gefängnis. Es sind immer Menschen, die hinter Gitter kommen. Die Bank wird aber nicht mit einem blauen Auge davon kommen. Sie muss mit einer hohen Busse rechnen.

Wie hoch?
Coffee: Wir haben in jüngster Zeit Bussen in der Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar gesehen. Die Busse für die UBS hängt wohl vom Steuerausfall ab, der verursacht wurde.

In Schweizer Bankenkreisen kursiert die Theorie, es gebe eine gezielte Attacke gegen die UBS, dem weltweit grössten Verwalter privater Vermögen. US-Banken könnten davon profitieren.
Coffee: Das ist Unsinn. Es gibt keinen Handelskrieg zwischen der Schweiz und den USA. Der Grund für die Untersuchung der UBS ist simpel: Die amerikanische Steuerbehörde IRS ist wütend, dass ihr hunderte von Millionen Dollar an Steuern entgehen. Sie hat sich deshalb beim Department of Justice gemeldet. Dort kann nicht jeder anklopfen und eine Untersuchung verlangen.

Zu Beginn der Affäre hiess es, der UBS drohe der Entzug der Banklizenz. Halten Sie das für möglich?
Coffee: Das wäre im unwahrscheinlichen Fall denkbar, wenn die UBS nicht kooperiert. Es geht ja nicht, dass ein Ex-Mitarbeiter bei einer Straftat erwischt wird, und die Bank keinerlei Interesse zeigt, das Vergehen aufzuklären. Die UBS will die Sache möglichst rasch aus den Schlagzeilen bringen und wird deshalb sicher kooperieren.

John C. Coffee ist Rechtsprofessor an der Columbia University. Er gilt als anerkanntester Bankfachmann der USA. Gemäss «National Law Journal» ist Coffee einer der «100 einflussreichsten Anwälte der USA».