Rezession oder Inflation

US-Notenbankchef Ben Bernanke im Dilemma: Zinssenkungen und riskante Darlehen sollen die Kreditkrise bannen und die Wirtschaft stimulieren, ohne die Inflation anzuheizen. Geht seine Rechnung auf, tritt er aus dem Schatten seines legendären Vorgängers Alan Greenspan.

Von Peter Hossli

ben.jpgEs war ein nasskalter Abend Mitte März. Bear Stearns, ein 85 Jahre altes Finanzhaus, hatte «zu wenig Geld, um das Licht anzuzünden», warnte ein Analyst der Credit Suisse. Am nächsten Morgen gingen die Lichter trotzdem an. Die Federal Reserve Bank, die US-Notenbank, hatte Bear Stearns über Nacht mit einem Darlehen von 30 Milliarden Dollar vor der Pleite bewahrt. Als zu riskant erachtete Fed-Chef Ben Bernanke den Totalkollaps einer tragenden Säule des Finanzsystems.

Just besann sich der vormalige Professor und Spezialist der grossen Depression auf ein Gesetz von 1932. Das erlaubte es ihm, beinahe bankrotte Banken mit kaum abgesicherten Darlehen zu retten.

Bewunderung und viel Kritik

Seither hat die Notenbank weitere Banken mit wackeligen Krediten vor der Illiquidität bewahrt. Die mittlerweile als «Bernanke-Doktrin» beschriebene staatliche Stabilisierung trug dem 54-jährigen kahlen Vollbartträger Bewunderung, vor allem aber harsche Kritik ein. An den Börsen steigen zwar die Finanztitel. Der frühere Notenbankchef Paul Volcker wirft Bernanke aber vor, die wichtige Unabhängigkeit des Fed zu untergraben. Republikanische Parlamentarier rügen seine Eingriffe in die freien Märkte. Demokraten wettern, es sei nicht statthaft, liederliche Banken zu retten, nicht aber Millionen von Familien, die wegen Lockkrediten ihre Häuser verlieren.

Komplexe Herausforderung

Fest steht: Der seit Februar 2006 als Fed-Chef amtende Bernanke ist mit einer hochkomplexen Situation konfrontiert. Zur Kreditkrise gesellt sich derzeit abrupt langsameres Wachstum. Beide Probleme liessen sich in Zeiten geringer Inflation mit Zinssenkungen kontern. Doch der hohe Ölpreis sowie weltweit steigende Kosten für Nahrungsmittel heizen die Inflation in den USA kräftig an. Ebenso der infolge der tiefen Zinsen schwache Dollar. Bernanke, der als Professor der Princeton University stets gegen preistreibende Tendenzen plädierte, muss deshalb zwischen drohender Rezession und Inflation abwägen.

Den Dollar geopfert?

Vorerst hält er die stotternde Wirtschaft und die knappe Liquidität für grössere Gefahren. Falls nötig, gewährt er weitere günstige Darlehen. Seit September hat er den Leitzinssatz massiv gesenkt, von 5,75 auf 2 Prozent. Das trug ihm vom einflussreichen konservativen Kommentator Tony Blankley den Vorwurf ein, «den Dollar zu opfern». Tiefe Zinsen, hält Bernanke entgegen, verbilligten das Geld für Hauskäufer. Die US-Wirtschaft erhole sich erst, wenn die noch fallenden Immobilienpreise wieder stiegen.

Seine Schlüsse zieht er aus den Erfahrungen der Depression. Die Parallelen sind frappant. 1929 krachte die Börse nach einer Immobilienblase, jahrelangem Börsenboom und einer Hysterie um die neue Technologie Radio, die mit jener um das Internet vergleichbar ist. Als nach dem Crash die Rezession einsetzte, argumentiert Bernanke, hätte die Notenbank sich weniger um die Inflation und mehr um das Wachstum sorgen sollen. Mit raschen Zinssenkungen wäre der Sturz in die Depression abgewendet worden.

Von der Theorie in die harte Praxis

ben_alan.jpgDiesen fiskalischen Balanceakt hat Bernanke an der Princeton University jahrelang mit Studenten durchgespielt. Nun setzt er ihn ausserhalb des Laboratoriums in Realität um. Geht das Kalkül auf, tritt er endgültig aus dem Schatten von Vorgänger Alan Greenspan. Der hatte die Notenbank zwischen 1987 und Januar 2006 geführt und als unfehlbar gegolten.

Als Jugendlicher fiel Bernanke durch scharfen Intellekt auf. Er gewann die Buchstabiermeisterschaften in seinem Heimtatstaat South Carolina. Mit besten Noten legte er die Einheitsprüfung fürs College ab. Die Harvard University verliess er mit «summa cum laude», gefolgt vom Doktortitel am Massachusetts Institute of Technology. Er lernte und später lehrte an Elite-Universitäten, zuerst in Stanford, dann in Princeton.

Beim Fed ändert er die Kultur. Vorgänger Greenspan war bekannt für karge, orakelhafte Aussagen. Bernanke hingegen denkt oft laut nach und spricht gerne Klartext. Seine flapsige Äusserung, im Falle einer Deflation «so viele Dollars wie nötig» zu drucken und gegebenenfalls mit dem Hubschrauber auf die USA abzuwerfen, trug im den Kosenamen «Helikopter-Ben» ein. Entscheide der Notenbank vermittelt er direkter. Protokolle von Sitzungen legt er offen. Wie Greenspan ist er Republikaner, allerdings hält er sich absichtlich vom politischen Diskurs fern. Während Greenspan etwa Präsident Bill Clintons Defizit-politik oder George W. Bushs Steuerschnitte öffentlich pries, schweigt Bernanke zur Fiskalpolitik des Weissen Hauses. «Sie geht mich nichts an», sagte er. «Dafür sind Politiker gewählt worden.»

Bewusst pflegt Bernanke den Ruf des Unabhängigen. Bei seiner Amtseinsetzung dankte er nur seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern. Abgesehen von einem Sitz in der örtlichen Schulpflege belegte der Makroökonom nie ein politisches Amt.