Von Peter Hossli (Text) und Stefan Falke (Fotos)
Hastig wühlt Imelda Caluag in einer Plastiktasche voller Kleider. Sie zieht Socken, Slips und Sandalen hervor, bis sie findet, was sie zeigen will – ihren Fernseher. Dessen Monitor gibt schwarzweisse Bilder wieder und misst diagonal 22 Zentimeter. «Er verleiht mir das bisschen Würde, die mir zusteht», sagt sie. «Sehe ich fern, vergesse ich, wo ich bin.»
Die dunkelhaarige Frau im schwarzen Baumwollkleid ist Maklerin für Mobilheime. Seit Januar lebt sie in einem purpurroten Plastikzelt unter einer Ulme. «Mein Markt brach einfach weg», sagt sie, «die Banken hörten auf, meinen Kunden neues Geld zu leihen.» Sie zieht am Reissverschluss des Zeltes, greift nach dem Mobiltelefon, geht raus, hängt eine nasse Hose an die Leine. Monatlich sechs Häuser verkaufte Caluag einst, bis die kolossale US-Kreditkrise den finanziellen Fluss jäh abwürgte. Erst verloren ihre Klienten das Zuhause. Dann konnte die Maklerin ihre Rechnungen nicht mehr zahlen, ihr Mobilheim kam unter den Hammer, die 40-Jährige war obdachlos.
Freunde kauften ihr ein Zelt und brachten sie nach Tent City, jener wild wuchernden Zeltstadt, die sich seit Juli in Ontario formt, einem Vorort von Los Angeles. Caluag traf den augenscheinlichsten Ort der horrenden Immobilienkrise Amerikas an. Zeitweise 600 Menschen schlugen hier Zelte auf. Seit die Stadt jene vertreibt, die von auswärts kommen, sind es noch 200. Sie hausen zwischen Geleisen und streunenden Hunden, Bergen von Abfall und einer zusammengestoppelten Sammlung von Stühlen.
Stellvertretend campieren sie für die zwei Millionen zahlungsunfähigen amerikanischen Familien, deren Häuser 2007 enteignet und oft zwangsversteigert worden sind. Für 2008 werden drei Millionen Enteignungen erwartet. Da das marode US-Sozialwesen solches Leid nicht auffängt, droht, was Caluag widerfahren ist – der Fall in die Obdachlosigkeit.
Sie wählt eine Nummer. Nach einem kurzen Gespräch wählt sie die nächste, dann noch eine. «Es ist unmöglich, Arbeit zu finden», sagt sie und beisst in ein Sandwich. «Sobald jemand hört, ich hätte keine Adresse, hängt er auf.»
Caluag ist schlecht gelaunt. Eben hat ihr Freund gesagt, er würde sie hier niemals besuchen. «Es fühlt sich an, als wäre mein Kopf abgeschnitten und…» Sie stoppt, weil sie das eigene Wort nicht mehr hört. Das Röhren und Grölen einer startenden Boeinig 757 übertönt nun alles. Camp Hope, so der inoffizielle Name der Zeltstadt, liegt in direkter Verlängerung zur Startbahn des Flughafens von Ontario. Alle zehn Minuten peitscht ein tief fliegender Jet über den kargen Staubplatz des formlos gewachsenen Lagers.
Ordentlich hingegen das Heim von Maklerin Caluag. Fünf Koffer halten ihre Habseligkeiten. Auf dem Kiesboden liegt ein Teppich. Säuberlich aufgereiht hat sie Schuhe, Stiefel und Schlafsack. Eine Rolle Klopapier liegt neben der Kühlbox, die ist gefüllt mit Eis, Wasser und Cola. Sie betrachtet ihre Finger, an denen violetter Nagellack abblättert. «Ständig sind die Hände dreckig.» Sie sagt «good-bye». Zwanzig Minuten geht sie zu Fuss zum Waschsalon, wo sie den Akku des Mobiltelefons auflädt.
Unweit ihres Zeltes verlaufen die Schienen, die vom Frachthafen in Long Beach ins Innere des Landes führen. Halbstündlich donnern Lastzüge vorbei. Auf manchen Wagons stehen grüne Container, weiss beschriftet mit «China Shipping». Die chinesische Transportfirma liefert all jene Güter, die längst nicht mehr in den USA produziert werden. Sie erzeugen ein gigantisches Handelsdefizit, treiben Amerikas Schulden hoch und den Wert des Dollars runter. «Vom Zelt aus sehen wir zu, wie auf den Geleisen der Schuldenberg wächst», sagt Ronda Farnsworth, eine kräftige, 38-jährige Rechtsstudentin. Vor dreissig Jahren kaufte ihre Mutter ein Haus unweit von Ontario.
Letztes Jahr nahm sie darauf einen Kredit auf bei New Century, einer Bank, die Subprime-Hypotheken ausstellt, risikoreiche Darlehen. Kurz darauf ging New Century Pleite. Ihr Haus kam in die Konkursmasse und wurde für 8000 Dollar versteigert. Da Farnsworth Geld schuldete, blieb ihr nichts übrig. Jetzt klagt sie. «Wir wurden bestohlen.»
Ihr Zelt steht, etwas abgesondert, in der südöstlichen Ecke von Tent City. Eine Plache hält den Regen fern. Sie hat einen Klapptisch aufgestellt, an dem ein Abfallsäckchen baumelt. «Um sechs weckt uns der Müllwagen», sagt sie. Frühmorgens ist es schon heiss, sie trägt rote Shorts, dazu ein ärmelloses Leibchen. Auf dem Gaskocher brät ihre Freundin Holly Hughes Rühreier, Würstchen und Kartoffelpuffer. Beide kriegen monatlich Lebensmittelmarken für je 162 Dollar. Auf dem Arm hält Farnsworth ein grauweisses Kätzchen namens Fuzzy. «Fuzzy ist so klein, wir verstecken sie, wenn wir ins neue Lager ziehen.»
Das neue Lager – alle reden vom neuen Lager. Unlängst entschied sich Ontario, das Chaos zu zähmen. Ein Maschenzaun steht nun mitten in der Zeltstadt. Rechteckig zäunt er einen Kiesplatz von der Grösse eines Fussballfeldes ein. Darauf reihen sich noch leere, weisse Zelte mit grünen Sonnendächern. Auf dem Boden liegen herb duftende Holzspäne. Sieben städtische Arbeiter mit Leuchtwesten schuften im Akkord, sie sprechen Spanisch, aus einem Radio tönt Rancheros-Musik. Ein bizarre Szene: Mexikaner errichten für obdachlose Amerikaner eine Bleibe aus Polyester.
Einer der Arbeiter hievt grüne Schachteln vom Lastwagen und legt sie alle zehn Meter hin. Auf jeder Kiste prangt ein Bild des amerikanischen Idylls: ein Foto, das Mutter, Vater, Sohn und Tochter beim Camping zeigt. Mit dem Autoschlüssel schlitzt einer die Schachteln auf, nimmt die Zelte «Made in Sri Lanka» heraus und legt sie auf dem Boden flach aus. Der nächste schlägt Heringe ein, spannt Stangen auf und zieht die Behausung hoch. Vor der Inspektion zurrt er den Regenschutz über. «Bindet alles gut fest», ruft eine vorbei schlurfende Frau. «Sonst bläst der erste Wind die Zelte weg.»
Ausserhalb des Zauns schrauben Handlanger eiserne Winkel auf Sitzbänke, so dass man künftig darauf sitzen, nicht aber liegen kann. Am nächsten Morgen liefern sie mobile Klos, fixieren Duschanlagen und Videokameras, die den Platz nonstop filmen. Ist das städtische Lager mit total 149 Zelten in Betrieb, hat nur noch Zutritt, wer einen von Ontario ausgestellten Ausweis besitzt. Zwischen zehn Uhr nachts und sechs Uhr früh schliessen die Tore; alle müssen dann im Zelt weilen. Schon jetzt fahren zwei private Wächter der Securitas im Toyota Corolla immerfort entlang des Zauns. Sehen sie etwas, rufen sie die Polizei. «Selbst greifen wir nicht ein», erklärt ein dicklicher Wächter im steifen Uniformhemd.
Am Ostende des Lagers legt David James ein Stück Holz auf ein klammes Feuer. Der hagere Kerl mit blondem Bürstenschnitt trägt Jeans und eine offene Stoffjacke, die den nackten Oberkörper halb bedeckt. Er schiebt einen Rost auf glimmende Kohle und stellt den verrussten Wasserkessel drauf. Dann füttert er den Hund eines Freundes. Von einem aus Kartonkisten gezimmerten Küchengestell klaubt er eine Tasse, wäscht und trocknet sie, schüttet zwei Löffel Nescafé und einen Zuckerwürfel rein. Brodelt das Wasser, giesst er den Kaffee auf. Er schlürft daran. «Nicht schlecht», sagt James, 52. «Als ich hierher kam, konnte ich nicht mal ein Feuer entfachen.»
Mitte Januar kam er im Langstreckenbus in der Obdachlosigkeit an. Bei der Arbeit brach sich der Gabelstaplerfahrer in North Carolina die rechte Wade. Versichert war er nicht, die Spital- und Arztkosten beliefen sich auf 40’000 Dollar. James ging Pleite und verlor das Haus. Geld hatte er nur noch für ein Busbillett nach Ontario, wo er aufwuchs. «Mein amerikanischer Traum zerbrach», sagt James. «Die zwei Nächte im Bus waren die Hölle, ich heulte pausenlos.»
Er ist geschieden, seine erwachsenen zwei Kinder wissen nicht, dass er zeltet. Am Feuer zündet er eine Zigarette an und hebt den Saum der Hose bis zum Knie. «Schau, deswegen bin ich hier.» Eine rund zwanzig Zentimeter lange Narbe verläuft vom Knöchel an aufwärts. Er legt Holz nach. «Mein Bein ist geflickt, jetzt suche ich Arbeit.»
Täglich geht er zum Personalvermittler, er will in der Fabrik schuften oder Gärten bestellen. «Heute war wieder nichts, die Wirtschaft ist im Eimer», sagt er. «60 Leute wollten einen Job, der acht Dollar die Stunde zahlt, da habe ich keine Chance.» Ohne Haus werde er benachteiligt. «Dabei habe ich doch ein Zuhause.» Er deutet auf ein blauweisses Zelt. Daraus fällt ein Kabel aus Gummi, das zu einer Autobatterie führt. Er betreibt damit ein Radio. «Meine Kleider sind sauber, ich rasiere mich täglich, ich habe einen Wecker, bin stets pünktlich.»
Innert einer Minute ist er beim städtischen Lager. Das Westtor steht offen, heimlich huscht James rein und inspiriert sein künftiges Heim. In der Hand hält er die Tasse mit frischem Kaffee. Er geht entlang der Zeltreihen, duckt sich, öffnet ein Zelt, tritt hinein. «Oh, das gefällt mir, die sind ja richtig geräumig», sagt er. Just schweift der Blick zur halbrunden Lasche unten links, dort, wo auf Zeltplätzen Haustiere ein- und ausgehen. Nicht so im städtischen Lager. Hunde wie Katzen sind hier verboten, und Hunde oder Katzen haben fast alle. «Ein Drama» befürchtet James. «Keiner weiss, was mit den Tieren passiert.»
Gemächlich latscht ein grosser schlanker Kerl mit wehendem grauen Haar über den Platz. Aus den schroffen Gesichtszügen lugen zwei bestechend schöne blaue Augen. Wie ein Filmstar sähe David Busch wohl aus, würde er sich pflegen. Er ist seit 1992 obdachlos. 24 Mal sei er verhaftet worden, sagt er, «aber nie verurteilt». Am Hals hängt ein Schild mit der Aufschrift «More Love». Der 53-Jährige bettelt, schreibt für Obdachlosen-Zeitungen und organisiert Proteste. Ein «wahres Wunder» nennt er das städtische Lager. «Amerika steckt in der grössten Wohnungsnot der Geschichte», sagt er, «diese Zelte bringen das ans Licht.» Endlich würde eine Stadt zugeben, «dass die Krise riesig ist, dass es in Amerika Menschen ohne Dach über dem Kopf gibt».
Eloquent schlägt Busch den historischen Bogen in die achtziger Jahre zu Ronald Reagan. Zuerst als Gouverneur von Kalifornien, später als Präsident hätte er Sozialabbau betrieben. Danach, sagt er, «wurden wir abhängig von stetig steigenden Immobilienpreisen, allein der Glaube, dass Häuser unaufhörlich an Wert zulegen, trieb die US-Wirtschaft an.» Verkatert erwache das Land jetzt. «Wir sind Immobilien-Alkoholiker.»
Die Notlage Amerikas stellt der Nachbar von Maklerin Caluag optisch dar – er hat den Sternenbanner verkehrt gehisst. Das Land, will er mit dem Symbol sagen, steht unter Stress und braucht Hilfe. «Camp Purgatory» heisst es am Flaggenpfahl, Fegefeuer. Klar, es ist heiss und staubig. Schmuddelige Zelte übertreffen die ordentlichen zahlenmässig. Drogen trüben den Alltag. Oft sind die Nächte gewalttätig. Ein Überfall hinterliess einen Schlitz in Caluags Zeltwand.
Dennoch: Menschliche Würde überwiegt im Camp Hope, das Fegefeuer ist fern. Frühmorgens geht eine zierliche Frau im Morgenmantel und Pantoffeln zur Wasserstelle, die aus einem Schlauch und einer kalten Dusche besteht. Sie shampooniert das Haar, spült es ab, trocknet es im Wind, kämt es. Sie findet eine Toilette mit einem «Women Only»-Schild, nur für Frauen. Ein Typ putzt nebenan die Zähne und bindet sein strähniges Haar zu einem Rossschwanz. Danach hilft er einer Frau beim Abfüllen von Wasserkanistern, die sie im Kinderwagen wegkarrt.
Ein Asiat namens Ling lässt einen selbst gebastelten Drachen steigen und beglückt so das ganze Camp. Tammy, deren ergrautes Haar auf ihre Schultern fällt, schneidet Kartoffeln in Würfel, legt Fett in eine Gusseisenpfanne und schmort sie auf dem Feuer. Sie lädt Freunde zum Essen ein, weil sich heute ein Nierenstein gelöst hat. Endlich kann sie wieder pinkeln. Menschen, die sich kaum kennen, erzählen Geschichten von früher. Gemeinsam sehnen sich sie nach der Nacht im Motel, nach der warmen Dusche, nach Respekt.
Nur einer begreift nicht, was Respekt ist. Eine Obdachlose bietet dem dicklichen Wächter von Securitas einen Teller mit Spaghetti an. «Nein danke», winkte er ab und grinst durchs offene Autofenster, «ich will nicht den ganzen Tag auf dem Klo sitzen.» Kopfschüttelnd zieht sie davon. «Was für ein Idiot», sagt sie.
Neben dem Heim von David James flattert eine handgemalte Rotkreuzfahne. Es ist der Ruhepol von Camp Hope. Wer etwas braucht, kommt hierher, Seife, ein Schlafsack, eine Umarmung. Ein schriller Schrei stört die Ruhe. «Yolanda kann nicht mehr laufen», sagt James und ruft Clifford Spencer herbei, ein bulliger, an beiden Armen tätowierter Kerl in Jeansshorts. In der Hand trägt er einen kleinen Koffer mit rotem Kreuz. «Wir müssen in ihr Zelt», sagt er, «sofort.»
Über Nacht hat sich Yolanda Truglias Fuss entzündet. Sie ist fünfzig, hat drei Kinder und verlor ihr Haus bei der Scheidung. Den schlanken Körper hat sie in ein kurzes Kleid gezwängt. Die Füsse stecken in Sandalen. Vor Weihnachten traf sie im Zeltlager David McIlmoil, 38, ein Veteran des ersten Golfkriegs. Seit dem Austritt aus der Armee ist er entweder im Knast oder wartet darauf, eine Strafe anzutreten. Ein Hemd trägt er nicht, auf Brust und Schulter prangen tätowierte Monster. Er küsst Yolanda. «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagt er. «Seither lebe ich in ihrem Zelt.»
Sie stösst ihn weg, «höllische Schmerzen» plagten sie, sagt sie. Truglia leidet an Diabetes. Gestern ging ihr das Insulin aus. Spencer betritt das grüne Zelt, zückt eine Schere, desinfiziert sie und schneidet zwei Geschwüre auf. Eiter und Blut spritzt. James, der neben ihr sitzt, reicht die Hand, sie lehnt ab. «Du hältst ja mehr Schmerz aus als ich», sagt er. «Was denkst Du denn? Ich bin eine Frau», sagt sie. Spencer wäscht die Wunde, legt Pflaster und einen Verband an. Dann reibt er ihr die Füsse mit Creme ein. Zum Dank umarmt sie ihn. «Du brachst dringend Insulin», sagt er und fährt sie ins nächste Spital.
Spencer, 57 und pensionierter Ingenieur, ist einer der Freiwilligen, die Camp Hope erst möglich machen. Täglich besucht er Kranke, pflegt Schnittwunden, schient gebrochene Finger, schmiert Salbe auf verbrannte Haut. Seit 17 Jahren hilft er Obdachlosen, «weil Menschen anderen helfen sollten», sagt er. Es sei eine «psychische Katastrophe» das Haus zu verlieren. Es dauere einen Monat oder länger, bis sich jemand auffange. «Wer sich in dieser Zeit sicher fühlt und gut isst, kann danach wieder Arbeit suchen.» Er ermutige dazu, mehr nicht. Was hat er davon? «Es ist ein Privileg zu helfen, wer säubert sonst einer Obdachlosen die Füsse?»
Es ist Abend, die Sonne wirft zauberhaftes Licht auf die Berge von San Bernardino. Yolanda, erfährt Spencer, wäre an einem Blutstau gestorben, hätte er sie nicht verarztet und ins Spital gebracht. «Es hat fast nichts gekostet, ihr das Leben zu retten, ein wenig Zeit, ein paar Dollar fürs Benzin», sagt der Helfer. «Es freut mich, dass sie lebt, wäre sie tot, hätte das keinen gekümmert.»
Sonntag früh, es ist kühler als in den Tagen zuvor. Wer zur Toilette geht, trägt zum Pyjama eine Daunenjacke. Plötzlich fährt eine Autokolonne vor und wirbelt Staub auf. Kinder, Väter und Mütter steigen aus. Sie stellen weisse Klapptische auf, legen Burritos und Wasserflaschen, Hafersuppe und mit Kaffee gefüllte Kanister aus. Im Nu bildet sich eine Menschenschlange, die an die Depression der dreissiger Jahre erinnert. Yolanda Truglia, die gestern noch Todesängste litt, steht an dritter Stelle. Liebevoll legt ihr Freund den Arm um ihre Hüften. Bevor die beiden frühstücken dürfen, fordert eine Pastorin der katholischen Kirche «Our Lady of Guadalupe» Andacht, schliesslich hat sie die Almosen gebracht. «Wir beten bevor wir essen.» Sie trägt eine Mickey-Mouse-Jacke. «Gott habe Erbarmen mit diesen Menschen», sagt sie, senkt den Kopf und faltet die Hände. Die Obdachlosen tun es ihr gleich. Kinder halten Schilder mit Bibelversen hoch. Ein Kirchengehilfe notiert die Namen der Hungrigen.
Abseits steht David Busch, der Aktivist mit den schönen Augen. Er isst nichts. «Eher suche ich die Mülleimer ab», sagt er. Fünfzig Kirchen buhlen im Camp Hope an verschiedenen Tagen um Gläubige. Dreimal täglich schenken sie Lebensmittel aus. «Der Staat tritt die soziale Pflicht an Kirchen ab», sagt Busch, «die nutzen das Elend, um Mitglieder zu angeln.» Immerhin: Hunger hat in Tent City niemand. Eine Gruppe adrett gekleideter Mexikaner, die später kommt, wartet heute vergebens auf Abnehmer ihrer Gaben. Die Obdachlosen sind satt.
Eilig hetzt Ronda Farnsworth vorbei an den Kirchenleuten. Wie jeden Sonntag putzt die Rechtsstudentin Toiletten und Büros eines Autohändlers. 60 Dollar kriegt sie dafür. «Es ist anstrengend, aber es bringt mich meinem Ziel näher.» Im September will sie wieder eine Bleibe haben, «im Oktober zahle ich die zweite Miete, im November schliesse ich Kabelfernsehen an». Sie pressiert, will pünktlich sein. «Das sind einfache Dinge, ich weiss.» Sie steigt ins Auto ein. «Sie stehen mir aber zu.» Ihre Freundin wirf den Motor an und fährt davon.
es selbst versuchen. aufstehen, losgehen. ein aufenthalt im zelt kann helfen sich zu überlegen welchen weg man gehen will. aber dann muss man losgehen