“Ich bin ein Opfer meiner Zeit”

Er wurde zum Symbol für die unersättliche Gier der Bosse: Dennis Kozlowski, CEO des US-Konglomerats Tyco, der einst pro Jahr 200 Firmen zusammenraffte und auf Tyco-Kosten rauschende Feste feierte. Steuerbetrug und unanständig hohe Boni brachten ihm 25 Jahre Haft. Ein Besuch im Zuchthaus.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

kozlowski4.jpgDas Mobiltelefon darf nicht mit, auch der Geldbeutel bleibt bei der Gefängniswärterin. Gürtel und Schuhe müssen weg, um den Metalldetektor ohne Pieps zu passieren. Ein Wärter führt durch eine dicke Türe in den grossen, von dumpfem Neonlicht beleuchteten Saal. Regungslos und eingenickt sitzt der stattliche Kerl mit dem runden kahlen Kopf an einem quadratischen Tisch. «Hallo, ich bin Dennis Kozlowski», sagt er und steht auf. Die Hand ist fleischig, der Druck kräftig. Durch das dicke Fensterglas sieht er eine dünne Schneeschicht und stählernen Stacheldraht. Es ist kalt in Marcy, einem Kaff fünf Autostunden von Manhattan entfernt. Hier thront die Mid-State Correctional Facility, ein Zuchthaus, das Anfang der achtziger Jahre für gemein gefährliche Verbrecher gebaut wurde.

Es ist das neue Zuhause von Dennis Kozlowski, dem ehemaligen CEO des Industrie-Riesen Tyco. Mitte Juni 2005 verurteilte ihn eine Jury des Diebstahls von 400 Millionen Dollar. Dafür bürdete ihm der Richter eine Haftstrafe von mindestens acht und maximal 25 Jahren auf. «Es ist üblich, dass Besucher den Häftlingen etwas zu trinken kaufen», sagt ein Wärter und deutet auf den Getränkeautomaten in der Ecke. Kozlowski, der einst mit dem Finger schnippen konnte und das Frühstück stand auf seinem Tisch, darf selbst kein Geld mehr berühren. Der Fotograf eilt zum Eingangstor zurück und holt ein paar Dollar-Scheine. Höflich bedankt sich der Häftling für die Flasche Wasser. Er trägt grüne Gefängnishosen aus Stoff, braune Lederschuhe und einen Pullover, der ihm seine Tochter mitgebracht hat. «Wir dürfen private Hemden tragen», sagt Kozlowski. «Sie müssen braun, grau, grün oder purpurrot sein.»

Er lebt in einer Einzelzelle, die zwei Meter breit und drei Meter lang ist. «Jeder Tag sieht genau gleich aus.» Die Stimme Kozlowskis ist monoton. Er spricht in kurzen Sätzen und verschluckt meist das Verb. Um 6 Uhr steht er auf. Um 6.30 Uhr geht er in die Wäscherei, wo er arbeitet. Um 7 gibt es Frühstück. Innert fünf Minuten muss er ein warmes oder ein kaltes Müsli essen. «Das kalte Müsli ist geniessbar, das warme werfe ich weg, es ist nicht essbar», sagt er. Bis zum Lunch um 10.30 Uhr – «innert fünf Minuten essen wir meist weisse Speisestärke» – wäscht er dreckige Tücher. Zwischen 12 und 13 Uhr muss er zurück in die Zelle. Danach unterrichtet er Mit-Gefangene. Um 15 Uhr kommt die Post. Das Nachtessen gibt es um 16 Uhr. Zwischen 18 und 20 Uhr schaut er fern. Dann geht das Licht aus.

Herr Kozlowski, wie setzen Sie hier Ihre Manager-Qualitäten ein?
Dennis Kozlowski: Überhaupt nicht. Ich manage nur mich selbst und eine kleine Wäscherei. Zudem betreue ich meine Anwälte, die sich um meinen Appell und um meine Scheidung kümmern.

Sie sind vor ein paar Monaten hierher versetzt worden. Wie viele Freunde haben Sie im Gefängnis gemacht?
Kozlowski: Ich bin in Schutzhaft, zusammen mit zwölf anderen Häftlingen. Ich würde keinen von ihnen zum Mittagessen einladen. Die meisten haben sexuelle Verbrechen mit Kindern begangen. Ich hätte es mir nie träumen lassen, mit Kinderschändern essen und einen Raum teilen zu müssen.

Was erzählen Sie ihnen, warum Sie hier sind?
Kozlowski: Alle wussten es bevor ich hierher kam. Der Wärter warnte mich, ich solle ja nichts sagen über den Grund meiner Haft. Am ersten Tag schon zeigte mir ein Häftling einen Magazinartikel über meine Verurteilung. Es gibt keine Geheimnisse im Gefängnis.

Warum sind Sie hier?
Kozlowski: Ich bin ein Opfer meiner Zeit. Als ich vor Gericht stand brachen Enron, Worldcom und etliche anderen Konzerne auseinander. Deren Pleiten haben vielen Investoren und Angestellten Schaden zugefügt.

kozlowski3.jpgDie Jury hat sie schuldig gesprochen für den Diebstahl von Boni und wegen Steuerhinterziehung.
Kozlowski: Die Jury irrte sich. Ich habe diese Boni verdient. Viele Menschen haben 2001 und 2002 an der Börse viel Geld verloren. Es brauchte jemanden, den man dafür zur Verantwortung ziehen konnte. Das war ich. Natürlich machte ich Fehler. Ich hätte meinen Kopf nicht hinaus strecken und weniger aggressiv Firmen aufkaufen sollen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, unschuldig zu sein.

Kriminellen fällt es oft leichter, das Gefängnis durchzustehen, wenn sie ihre Schuld eingestehen.
Kozlowski: Ich gestehe Fehler ein. Aber Fehler zu machen ist nicht kriminell. Ich habe nie absichtlich ein Verbrechen begangen. Alles, was der Ankläger mir vorwerfen konnte, hat er aus den Büchern der Firma. Ich habe nie jemandem gesagt, etwas zu verheimlich oder Dokumente zu zerstören.

Die Jury befand, der Staatsanwalt hatte genügend Beweise präsentiert, um Sie zu verurteilen.
Kozlowski: Zum einen war der Fall sehr komplex. Zum anderen habe ich in gewissen Jahren über 100 Millionen Dollar verdient. Viele denken, wer eine solche Summe einstreicht, muss etwas Kriminelles getan haben.

Die Anklage konnte glaubhaft darlegen, wie Sie ein komplexes System aufbauten innerhalb von Tyco, durch das Sie sich unrechtmässig bereicherten.
Kozlowski: Ich habe Zahlungen abgelehnt, die mir das Gehalt-Komitee von Tyco angeboten hatte. Ich habe Millionen von Aktien-Optionen und eine Lohnerhöhung abgelehnt. Das Geld habe ich nicht abgelehnt, weil es mir mehr Spass bereitete, es nachher zu klauen. Ich sitze hier im Wissen, in meinen 27 Jahren bei Tyco nie einen kriminellen Gedanken gehabt zu haben. Das ist schrecklich. Aber in jedem Gefängnis sitzen Unschuldige – ich bin einer davon.

Ihr Gehalt stieg Ende der neunziger Jahre enorm an. Gab es nie einen Moment, in dem Sie dachten, «halt, da kann etwas nicht stimmen»?
Kozlowski: Egal wie gut jemand ist, niemand verdient 100 Millionen Dollar pro Jahr. Aber der Grossteil des Geldes kam von der Wertsteigerung meiner Aktien. Unsere Aktie verdoppelte sich während drei oder vier Jahren jährlich. Ich hatte einen Lohn zwischen einer und eineinhalb Millionen Dollar.

Sie selbst haben sich die Gelder zuweisen lassen.
Kozlowski: Ich hatte Verträge, in denen mein Gehalt und meine Kompensation genau fest geschrieben waren. Die meisten Mitglieder des Verwaltungsrates lasen sie nicht einmal. Ich selbst sass in vielen Räten und wusste stets, wie viel der CEO verdient, wie er bezahlt wurde, welche Sonderzulagen er kriegte. Als Verwaltungsrat musst Du das einfach wissen.

Wussten die Tyco-Räte denn, wie viel Sie kriegten?
Kozlowski: Ich dachte, sie wüssten es. Einmal im Monat traf sich das Gehalt-Komitee und evaluierte mich. Ich nahm an keiner dieser Sitzungen teil. Es gab bei Tyco also genügend Möglichkeiten, mich zu kontrollieren.

kozlowski2.jpgJust steht Dennis Kozlowski auf. «Entschuldigen Sie, ich habe zu viel Wasser getrunken, darf ich rasch auf die Toilette?», fragt der einstige Chef eines 100-Milliarden-Dollar-Konzerns. Zum Pinkeln muss er zurück in seine Zelle. Die Toilette im Besuchersaal darf er nicht benutzen. Gebückt marschiert er zur braunen Tür in der Ecke, er öffnet sie hastig und verschwindet. Jetzt durchbricht nur noch das Surren der Getränkeautomaten die Stille. Es ist Viertel vor elf, eine Wärterin stellte eine graue Plastikkiste auf den Tisch. «Das ist das Essen des Gefangenen Kozlowski», sagt sie und richtet sich an die beiden Reporter. «Wir bestellen Pizza für uns. Wollt Ihr auch was?» «Können wir Herr Kozlowski zum Lunch einladen?» «Von mir aus», sagt sie und reicht das Papier-Menu. Die braune Türe öffnet sich, der Häftling tritt heraus, schreitet zum Tisch. Beim Gehen reibt er sich die Hände trocken.

Wortlos setzt er sich hin und wartet auf die nächste Frage. «Was möchten Sie heute zu Mittag essen?», fragt der Fotograf und drückt ihm das Menü in die Hand. Kozlowski ist erst überrascht, dann überfordert. Seit nunmehr zweieinhalb Jahren kann er nicht mehr bestimmen, was er isst. Verlegen blickt er auf das Papier. «Ich kann das nicht lesen», sagt er. Die Lesebrille hat er in der Zelle gelassen. Es gibt Salate, Pizza, Sandwichs, Teigwaren. «Was bestellen denn Sie?», fragt der einstige Top-Manager und hofft, der Reporter nehme ihm die Entscheidung ab. «Ein Sandwich mit gegrilltem Huhn.» «Okay, das nehme ich auch», sagt Kozlowski. «Wollen Sie noch einen Salat?», fragt der Fotograf, der eine Pizza bestellt. «Ja, gerne, ich kriege ja sonst kaum Vitamine.»

Sie wuchsen in einem Arbeiterviertel in Newark auf. Wie wichtig war für Sie der soziale Aufstieg?
Kozlowski: Der Norden von New Jersey ist eine der ärmsten Gegenden in den USA. Schon als Junge wollte ich von dort weg kommen. Früh habe ich begriffen, dass der amerikanische Traum durch harte Arbeit möglich ist.

Sie hatten tatsächlich Erfolg. Wie hat Sie das Geld verändert?
Kozlowski: Plötzlich konnte ich mir alles kaufen, was ich als grossen Luxus empfand.

Dann hat das Geld sie motiviert?
Kozlowski: Nein, Tyco hat mich motiviert. Das war mein grosser Fehler. Ging es der Firma gut, ging es mir gut. Florierte Tyco, florierte ich. Kriselte es, ging es mir nicht gut. Ich hatte kein Leben ausserhalb von Tyco. Ich verpasste viele Geburtstage meiner beiden Töchter. Ich war ein Workaholic aber kein Verbrecher.

Wie passt sich ein Workaholic der Einsamkeit im Zuchthaus an?
Kozlowski: Es gibt keinen grösseren Gegensatz. Doch selbst hier bin ich besessen mit Effizienz. Ich überlege mir stets die best mögliche Art, Wäsche zu waschen. Ich frage mich, wie viele Bücher ich pro Woche lesen kann, wie viele Briefe ich an wie viele Leute schreiben kann. Lese ich eine Wirtschaftszeitung, überlege ich mir sofort, was einen CEO antreibt und welches sein nächster Schritt sein könnte.

Welche Firma würden Sie gerne beraten?
Kozlowski: General Electric sollte sich in mehrere Firmen aufteilen. Seit dem Abgang von Jack Welch hat sich die Aktie nicht mehr bewegt.

Sie konnten einst mit dem Finger schnippen…
Kozlowski: … und der Firmenjet stand bereit, ja.

Sie hatten alle möglichen Freiheiten. Das ist nun vorbei. Wie kommen Sie damit zurecht?
Kozlowski: Das ist nicht einfach. Schlimmer aber war, als sich ein Mitgefangener unlängst das Leben nahm. Mit der Rasierklinge schnitt er sich ins Handgelenk. Innert Minuten war er verblutet. Vor zwei Monaten versuchte sich einer zu erhängen. Er überlebte.

kozlowski6.jpgDenken Sie daran, Ihr Leben zu beenden?
Kozlowski: Nein, ich will nur zeigen, wie furchtbar dieser Ort ist. Ich denke nicht an Selbstmord, ich freue mich auf den Tag, an dem ich hier rauskomme.

Wann kommen Sie raus?
Kozlowski: Ich weiss es nicht. Kommt meine Berufung im Frühling durch, bin ich ein freier Mann. Meine Strafe ist auf acht bis 25 Jahre festgesetzt. Nach acht Jahren kann ich erstmals vor den Bewährungsausschuss treten. Es ist schrecklich, nicht zu wissen, wann ich rauskomme. Meine Familie kann nicht mit mir planen.

Im Mai 2002 wurden Sie des Steuerbetrugs angeklagt. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Kozlowski: Es war an einem Freitag, ich konnte es nicht glauben. Ich ging nach Hause, in der Annahme, am Montag alles zu klären. Am Sonntag rief dann der Verwaltungsrat an und sagte mir, ich sei nicht mehr CEO. Seither habe ich mein Büro nicht wieder gesehen.

Sie hätten eine kürzere Strafe kriegen können, wenn Sie auf das Angebot des Staatsanwalts eingetreten wären und die Schuld eingestanden hätten.
Kozlowski: Es ist schwierig, Schuld einzugestehen wenn man unschuldig ist. Ich glaubte an die Fairness des juristischen Systems. Es gab keine Angestellten, die gegen mich aussagten, es gab keine kriminelle Veranlagung, alles, was wir taten, war öffentlich.

Warum schätzten Sie das Rechtssystem so falsch ein?
Kozlowski: Tyco schuldete mir eine beachtliche Abfindung, welche die Firma nie zahlte. Der Tyco-Anwalt orchestrierte dann eine effektive Anti-Dennis-Kampagne. Sie veröffentlichten Informationen, die mich zum masslosen Geldausgeber stempelten. Die Öffentlichkeit konnte das sofort verstehen.

Für die Presse waren Sie «Dennis, das Schwein».
Kozlowski: Die Medien stellten mich als jemanden dar, der ich nicht bin. Vieles war zu 100 Prozent falsch.

Jedoch nicht alles. Sie hatten auf Sardinien eine Orgien artige, zwei Millionen Dollar teure Party auf Kosten von Tyco gefeiert. Auf Videoaufnahmen dieser Party sind Statuen zu sehen, die Wodka urinieren.
Kozlowski: Wir feierten den Geburtstag meiner damaligen Frau. Man muss die Umstände genau anschauen. Ich heuerte jene Firma an, die für Tyco alle Partys organisierte. Bestellt hatte ich eine bescheidene Party am Strand. Als wir ankamen, standen halbnackte Modells rum. Es war mir und meiner damaligen Frau äussert peinlich.

Tyco zahlte die Party.
Kozlowski: Für meine Gäste zahlte ich. Wir waren fünf Tage lang auf Sardinien. Es gab etliche Tyco-Angestellte, die sich dort geschäftlich aufhielten und eine wohl verdiente Auszeit nahmen. Viele von uns waren den ganzen Sommer in Europa. Wochenlang handelten wir mit Airbus künftige Aufträge aus.

Sie konnten die Jury nicht davon überzeugen, dass auf Sardinien vor allem gearbeitet wurde.
Kozlowski: Die Öffentlichkeit will oft das Schlimmste hören. Ich habe gelernt, dass vieles, was in den US-Medien steht, schlicht nicht wahr ist.

Sie haben dem Fernsehsender CBS ein Interview gegeben, jetzt reden Sie mit der Presse. Warum empfangen Sie überhaupt noch Journalisten?
Kozlowski: Ich bin sehr selektiv. 90 Prozent der Anfragen lehne ich ab.

Warum reden Sie mit ausländischen Medien?
Kozlowski: Die Hälfte des Umsatzes erzielte Tyco in Europa. Ich kriege noch immer Briefe von europäischen Geschäftspartnern, die nicht verstehen, was mit mir passiert ist. Zudem ist die europäische Presse vorurteilsfreier ist.

Sie wollen Ihr Image korrigieren?
Kozlowski: Ich werde mein Image nie korrigieren können. Ich werde nie mehr als arbeitsamer und engagierter CEO gelten. Gerne würde ich die Leute aber dazu bringen, darüber nachzudenken, wie ich in die Enge getrieben wurde, und wie unfair dieser Prozess war. Würde stimmen, für was ich schuldig gesprochen wurde, würde ich mich unter einem Stein verstecken und meine Zeit wortlos absitzen. Ich verabscheue es, dass mein Erbe eine Party auf Sardinien, ein Duschvorhang und ein Schirmständer sein soll.

Das Essen ist hier, sauber verpackt in Plastiktüten. Kozlowski, der ernsthaft redet und den Kopf meist senkt, hebt endlich den dicken Hals. Er strahlt und rümpft die Nase – als zöge er genüsslich den Geruch der Pizza hoch. Sandwich und Salat kommen in Styropor-Behältern. Das «bon appétit» des Fotografen nimmt er kaum wahr. Gierig zerrt Kozlowski das Cellophan von der Plastikschale, welche die Salatsauce hält. Er verteilt das Dressing über den Eisberg-Salat, die Tomaten und Zwiebeln. Mit der Hand legt er sich einzelne Blätter auf die Plastikgabel. Wortlos stösst er sie in den Mund. «Bietet dem Wärter doch auch ein Stück Pizza an», sagt Kozlowski, als sei er der Manager, der sich um sein Personal kümmert. Er greift sich ein Sandwich und öffnet die dazugehörige Tüte mit Chips. Hastig stopft er sie ins Maul.

Wie Kozlowski isst, spricht Bände. Dass er freizügig die Hände zur Hilfe nimmt, entlarvt seinen Hintergrund als Arbeitersohn. Längst hat die Lagermentalität den CEO verdrängt. Andere entscheiden für ihn, was er essen soll, er selbst darf nicht reden, wenn er isst. Pro Mahlzeit hat er nie mehr als fünf Minuten.

Der Smalltalk zum US-Wahlkampf dämpft die Hast. Er hatte George W. Bush gewählt, was er bereue. «Bush hat mich negativ überrascht.» Nun sei er für Barack Obama, da Amerika bereit sei für eine Veränderung. «Zwanzig Jahre Bush und Clinton sind genug.» Er hört zu, will wissen, wo die Reporter wohnen, wie alte ihre Kinder sind, freut sich über das Stück Pizza. «Vielen Dank für die Gaumenfreude, das habe ich wirklich nicht erwartet.» Er schnappt sich noch ein Stück. «Heute verzichte ich auf die Hausmannskost.»

Wie einst Al Capone wurden Sie des Steuerbetrugs überführt. Sie kauften ein Bild in New York, liessen es nach New Hampshire schicken, wo man keine Steuern bezahlt. Am Schluss hing es in der Tyco-Wohnung in Manhattan. Wie konnten Sie so unvorsichtig sein?
Kozlowski: Als ich mich entschied Kunstsammler zu werden, verstand ich nichts von Kunst. Also heuerte ich einen Agenten an, segnete den Kaufpreis ab – und sah das Bild dann an meiner Wand in New York. An Steuern habe ich dabei nie gedacht.

Sie haben eine Tendenz, andere für Ihre Vergehen zu beschuldigen.
Kozlowski: Es war ein Fehler, dem Agenten alles zu überlassen. Aber die Schuld liegt bei ihm. Er hatte ein irreführendes E-Mail geschickt. Ich selbst schrieb nie E-Mails. Niemand will einen Agenten verklagen, alle wollen den CEO oder den Chairman stürzen.

Warum kauften sich einen Renoir und einen Monet?
Kozlowski: Um damit aufschneiden zu können. Rasch wollte ich ein wichtiger Kunstsammler werden – obwohl ich keine Ahnung hatte. Das ist lächerlich, ich weiss und bereue es.

Neben Ihrer Haftstrafe kriegten Sie Bussen in der Höhe von 167 Millionen Dollar. Können Sie das zahlen?
Kozlowski: Ja. 95 Prozent der Rückzahlungen an Tyco sind getätigt.

Wie viel Geld hatten Sie auf dem Höhepunkt?
Kozlowski: Hunderte von Millionen Dollar.

Sie wussten es nie genau?
Kozlowski: Ich bin nie hin gesessen und habe mein Geld gezählt. Ab und zu habe ich geschaut, wie viel flüssige Mittel ich hatte und wo ich wie viel investiert hatte. Aber ich war nie davon besessen.

Und wie viel Geld haben Sie heute noch?
Kozlowski: Da ich nach wie vor in etliche Prozesse involviert bin, kann ich das nicht sagen. Aber ich habe genug, um die Bussen zu zahlen und angenehm zu leben.

Wie viel verdienen Sie im Gefängnis?
Kozlowski: 2 Dollar und 67 Cents die Woche.

Wie passen Sie sich diesen neuen Umständen an?
Kozlowski: Ich hatte nichts als ich aufwuchs. Dann fing ich an zu arbeiten und hatte Erfolg, es ging immer besser bis ich enormen Erfolg hatte. Jetzt bin ich wieder am Anfang. Hier im Gefängnis habe ich ein paar Hemden und ein paar Gefängnishosen. Es geht nur noch ums überleben.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Kozlowski: Derzeit bedeutet es mir überhaupt nichts. Einst spielte es eine enorme Rolle. Mit Geld habe ich meinen Erfolg gemessen. Mein Jahreseinkommen hat bestimmt, wer ich war.

Machte Geld Sie glücklich?
Kozlowski: Ich war arm und ich war reich. Es besteht kein Zweifel, dass ich reich glücklicher war als arm. Geld hat es mir erlaubt, Dinge zu tun. Ich konnte meine Kinder an gute Schulen schicken, reisen, mir Häuser kaufen. Aber meine Zufriedenheit hing stets mehr am Erfolg von Tyco als an meinem eigenen Geld.

Geld scheint Ihre Ehe beeinflusst zu haben. Sie trennten sich von Ihrer ersten Frau als sie reich wurden.
Kozlowski: Die Arbeit, nicht das Geld zerstörte meine Ehe. Ich verbrachte viel zu viel Zeit mit Tyco.

kozlowski5.jpgAls Sie wirklich reich wurden, heirateten Sie eine jüngere und schönere Frau. Liebte sie Sie oder liebte sie Ihr Geld?
Kozlowski: Wäre ich ein Bauarbeiter gewesen oder ein armer Reporter, hätte sich Karen nicht für mich interessiert. Als ich im Zenit stand, verliebten sich die Frauen sehr schnell in mich. Das wollte ich damals nicht einsehen, obwohl meine erste Frau mir das stets gesagt hatte. Sie sollte Recht bekommen.

Sprechen Sie noch mit Ihrer ersten Frau?
Kozlowski: Ja, regelmässig.

Und mit Ihrer zweiten Frau?
Kozlowski: Wir reden nur noch über unsere Anwälte.

Sie lassen sich von ihr scheiden. Warum?
Kozlowski: Sie verlässt mich, weil ich kein reicher und mächtiger CEO mehr bin.

Es gab Jahre, in denen Sie 200 Firmen aufkauften. Woher kam dieser unersättliche Appetit?
Kozlowski: Ursprünglich kam er von den Aktionären. Je mehr wir wuchsen, umso mehr Wachstum forderten die Aktionäre. Und je mehr Leute Wachstum wollten, desto mehr wollte ich die Aktionäre zufrieden stellen.

Was war Ihr Ziel?
Kozlowski: Ich wollte Tyco zu einem der besten Konzerne der Welt machen. Ich bin sehr wettbewerbsfreudig und habe mit Freude zugesehen, wie wir unsere Konkurrenz hinter uns liessen. Ich wollte derjenige CEO sein, der Tyco zur prominentesten Firmen der Welt macht.

Wie wollten Sie das bewerkstelligen?
Kozlowski: Wir stellten Leute an, die arm und smart waren, und die reich werden wollten. Waren sie erfolgreich, würde es der Firma gut gehen, ging es der Firma gut, wurden sie reich.

Dann trieb Gier Sie an?
Kozlowski: Gier ist kein schönes Wort. Aber wenn das Gehalt verknüpft ist mit dem Erfolg der Aktionäre, ist das sehr zu begrüssen.

Sie haben über 100 Millionen Dollar nach Hause getragen. Das ist masslose Gier.
Kozlowski: Nein. Ich bin sehr generös, nicht gierig. Eine gierige Person nimmt alles für sich. Bei Tyco haben wir den Erfolg unter allen aufgeteilt.

Was ist ein gerechter Lohn für einen CEO?
Kozlowski: Er sollte ein bescheidenes Grundsalär kriegen. Der Grossteil seines Einkommens muss direkt an den Erfolg der Firma geknüpft sein.

Noch im Jahr 2001 haben Sie gesagt, bei Tyco gebe es keine Sonderzulagen. Es war eine Lüge.
Kozlowski: Als ich es sagte, stimmte es. Erst kurze Zeit später kamen die Sonderzulagen hinzu. Wir haben Firmen aufgekauft, bei denen diese Zulagen üblich waren. Da ich oft um sieben Uhr morgens schon im Büro war, liess ich mir das Frühstück ans Pult bringen.

Das ist eine Zulage, die einsichtig ist. Aber Sie nutzten eine Tyco-Wohnung in Manhattan privat.
Kozlowski: Ich verbrachte vier oder fünf Nächte pro Monat in dieser Wohnung. Meine Familie nutzte sie nie. Die Wohnung diente mir, geheime Gespräche zu Übernahmen zu führen. Als der Tyco-Sitz nach New York verlegt wurde, bewirkte jeder Besuch eines CEOs in unseren Büros ein Übernahmegerücht.

Die Wohnung war ausgestattet mit Luxusgütern, einem 6000 Dollar teuren Duschvorhang oder einem 15000 Dollar teuren Schirmständer.
Kozlowski: Eine Innenausstatterin kaufte das Zeugs. Bei Tyco war jemand zuständig für die Ausstattung der Immobilien. Ich hatte damit nichts zu tun.

Immerhin haben Sie jemanden bezahlt, der einen 6000 Dollar teuren Duschvorhang für Sie kaufte.
Kozlowski: Es ist schrecklich, dass ich im Gefängnis bin und nicht die Dekorateurin. Sie kaufte teuer ein, weil sie zwischen 10 und 15 Prozent dessen als Honorar kriegte, was sie ausgab.

Haben Sie jemals mit dem Duschvorhang geduscht?
Kozlowski: Nein, nein, nein. Er war im Badezimmer neben der Küche. Das Personal benutzte es. Ich habe den Duschvorhang erstmals auf einem Bild im Gerichtssaal gesehen. Meine Dusche hatte eine Türe.

Sie haben zwei Töchter. Wie oft kommen Sie hierher?
Kozlowski: Sieben bis acht Mal im Jahr.

Sie müssen wütend auf ihren Vater sein. Sie lassen Ihre Kinder im Stich.
Kozlowski: Sie sind ja schon älter und können auf sich aufpassen. Ich bin wütend auf mich, weil ich im Gefängnis und nicht bei ihnen bin. Letzten Mai heiratete meine älteste Tochter. Es war schmerzhaft, sie nicht zum Altar führen zu können.

Haben Sie den Bräutigam getroffen?
Kozlowski: Ja.

Er hielt im Gefängnis um die Hand ihrer Tochter an?
Kozlowski: Nein, ich traf ihn während des Prozesses im Gerichtssaal. Er ist ein toller Typ.

Was bereuen Sie?
Kozlowski: Es gibt ein Sprichwort, das besagt, nur derjenige Wal wird von der Harpune getroffen, der auftaucht. Ich hätte mich mit weniger Wachstum zufrieden sein sollen. Ich hätte ein durchschnittlicherer CEO sein soll, der einen guten Job macht und nicht versucht, einen grossartigen Job zu machen.

Was war Ihr grösster Fehler?
Kozlowski: Kunst zu kaufen. Ich verstand nichts davon und habe versucht, jemanden zu sein, der ich nicht war.

Alles was man über Sie weiss – den Steuerbetrug, die Party auf Sardinien, der Duschvorhang – schieben Sie anderen zu. Warum übernehmen Sie keine Verantwortung?
Kozlowski: Ich habe es zugelassen, zu viel zu arbeiten und zu viele Dinge zu delegieren. Das war ein Fehler.

Was erwarten Sie noch vom Leben?
Kozlowski: Ich erwarte, dass ich von hier lebend weg kann, und dass ich eines Tages etwas Positives leisten kann für die Gesellschaft.

Werden Sie jemals wieder zurück ins Geschäft gehen?
Kozlowski: Höchstens als privater Investor, aber ich werde nie mehr eine Firma leiten.

Vielen Dank für das Gespräch
Kozlowski: Ich danke Ihnen. Wenn ich raus komme, würde ich gerne wieder mit Ihnen Mittagessen.

Dann zahlen Sie?
Kozlowski: Ich zahle.

Dennis Kozlowski steht auf. Schweigend räumt er die Reste des Mittagessens zusammen, die leere Pizza-Schachtel und die Wasserflaschen. Er rückt die Stühle und Tische wieder zurecht, die der Fotograf zuvor verstellt hat. «Auf Wiedersehen, Herr Kozlowski» «Oh, nennen Sie mich einfach Dennis.» Er ist froh um jeden Freund.