“Es braucht Eis in den Venen”

Ben Roethlisberger, US-Footballstar mit Schweizer Wurzeln, war dem Ende nahe. Jetzt ist der 26-Jährige wieder ganz oben auf. Ausgestattet mit einem Vertrag, der ihm 103 Mio. Franken verspricht.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

ben_roethlisbergerZum Helden wird in Amerika, wer eine Krise meistert. Kometenhaft stieg Ben Roethlisberger vor vier Jahren auf. Als «einen der besten Neulinge aller Zeiten» feierte die US-Presse den damals 22-jährigen Quarterback mit Emmentaler Wurzeln.

Bereits im zweiten Profijahr führte er sein Team – die lange erfolglosen Pittsburgh Steelers – zum Gewinn der Super Bowl, der Weltmeisterschaft des American Footballs. Millionenschwere Werbeverträge folgten. Er strotzte vor Selbstvertrauen. «Ich will der beste Quarterback aller Zeiten werden», sagte er damals.

Jäh kam im Juni 2006 der Absturz, an einer Kreuzung in Pittsburgh. Frontal knallte er sein Motorrad gegen ein Auto, brach Kinn und mehrere Knochen. Einen Helm trug er nicht, sein Fahrausweis war ungültig.

Fortan zögerten Firmen, ihn als Werbeträger zu verpflichten. Einer, der sein Leben leichtfertig aufs Spiel setzt, sei kein Vorbild für die Jugend. Zumal er auf dem Rasen seltener glänzte. Öfters verfehlten seine Pässe die angreifenden Mitspieler. Kläglich verpasste sein Team die Playoffs. Just fiel Roethlisberger 2006 aus der Rangliste der besten Quarterbacks.

Nun steht er wieder an der Spitze, gilt der 26-jährige als Comback Kid. Knapp nur verpassten die Steelers im Januar den Einzug in die Super Bowl. Big Ben, so sein Kosename, spielte spektakulär. Sportreporter priesen sein kreatives Spielverständnis und den eiserner Siegeswille.

Prompt folgte die Zuwendung. Letzte Woche sicherten sich die Pittsburgh Steelers seine Dienste für acht Jahre, für die Rekordsumme von maximal 102 Millionen Dollar, rund 103 Millionen Franken. «Ben ist überglücklich, dass die Steelers ihm das Vertrauen schenken», sagt sein Agent Ryan Tollner. «Er ist ein Arbeitertyp und passt bestens zur Stahlstadt Pittsburgh.»

Sicher sind Roethlisberger 36 Millionen Dollar, der Rest ist an Erfolge gebunden. Bei Vertragsabschluss kriegte er einen Bonus von 25 Millionen Dollar. Geld, das der Autonarr wohl für Motorräder und Sportwagen ausgibt.

ben_roethlisberger_peter_hossliIn einem abgenutzten und viel zu grossen Trainingsanzug erscheint er zum Interview-Termin beim Trainingsgelände der Steelers in Pittsburgh. Er setzt den 196 Zentimeter langen und 110 Kilogramm schweren Körper auf den dünnen Metallstuhl. Beine und Arme wirken weniger muskulös als erwartet, der Händedruck scheint gleichgültig. Das Haar hat er heute nicht gewaschen. Am Kinn spriessen Stoppeln. Er bewegt sich sachte, als wäre er eben aus dem Bett gestiegen. «Ich stehe nie vor 10 auf, eher gegen 11 Uhr», sagt Roethlisberger während eines Treffens im vorletzten Sommer. Was bedeutet ihm Geld? «Ich bin mit wenig aufgewachsen, deshalb schätze ich, was ich habe», sagt er. «Ich weiss, wie hart ich für mein Geld arbeite.»

Als Quarterback ist er die zentrale Figur. Bei jedem Spielzug berührt er den Ball. Er muss die frei stehenden Läufer anspielen, die den eiförmigen Ball über die Line der Gegner zum Touchdown tragen. «Ein Quarterback braucht Eis in den Venen», sagt er. Ständig sei er enormem Druck ausgesetzt, von den Medien, den Fans, den Gegenspielern. Cool bleibe er, «weil ich auf dem Spielfeld alles ausblende».

Selbst die hohe Verletzungsgefahr. Zwei Jahre dauert im Schnitt die Profi-Karriere eines Football-Hünen. «Daran denke ich nie», so Roethlisberger. «Das Spiel ist zu schnell, zu körperbetont, um über die eigenen Knochen nachzudenken.» Mit Krieg setzt er Football gleich. Der Coach ist für ihn der General, als Quarterback ist er erster Offizier. Tritt er in ein mit johlenden Fans gefülltes Stadion, hätte er das Gefühl, «mit Kameraden in den Krieg zu ziehen». Zumal das Publikum wegen des Kampfes komme. «Es will Schläge sehen, es jubelt, wenn Helme aufeinander prallen, sich grosse Brocken in die Knochen fahren.»

Mit Folgen für den Körper, das weiss Roethlisberger. «Wenn ich 40 Jahre alt bin, wird es höllisch wehtun, aus dem Bett zu steigen», sagt er. Bereits heute sei es schwierig, morgens den geschundenen Körper in Gang zu bringen. «Meine Glieder schmerzen eigentlich immer, besonders die Knie, die Schultern und die Knöchel.» Zu Hause sitze er oft stundenlang im warmen Wasser.

Benjamin Roethlisberger wuchs in Findlay im US-Bundesstaat Ohio auf. Sein Urahne Karl Röthlisberger wanderte 1873 aus Lauperswil im Emmental in die USA aus. Bens Lehrer hatte sich stets darüber amüsiert, dass der Kleine drei Zeilen brauchte, um den Nachnahmen zu buchstabieren. Da niemand den Zungenbrecher aussprechen konnte, Benjamin aber der grösste der Klasse war, nannten ihn alle meist Big Ben. An der High School spielte er Fussball und Football. Seine Leidenschaft gehörte dem Basketball. Für eine anständige Universität waren seine Schulnoten zu schlecht. Zuletzt gewährte ihm die Universität of Miami in Ohio ein Stipendium, mit der Auflage, er müsse Football spielen.

Er war ein Glücksfall. Mit 22 Jahren kam er zu den Pittsburgh Steelers. Der Stamm-Quarterback hatte sich verletzt, der Anfänger durfte ran. Er brillierte und blieb im Team. Sportausrüster Nike nahm ihn als Sympathieträger unter Vertrag. Es gibt Beef Jerky – Trockenfleisch – und Barbecue-Saucen, die seinen Namen in den hintersten Winkel der USA tragen.

Im Frühjahr 2006 reiste er mit den Eltern und seiner Schwester ins Emmental auf Ahnensuche. Der Plan, in der Alpenrepublik Sponsoren zu finden, schlug fehlt. «Er hofft noch immer auf Schweizer Werbeverträge», sagt Agent Tollner. «Falls jemand interessiert ist, soll er mich anrufen.» Sein Klient sei geläutert. «Der fast tödliche Unfall hat ihn motiviert, besser zu spielen und mehr Verantwortung für sich und sein Team zu übernehmen.»

Töff fährt Roethlisberger nun stets mit Helm. Verziehen hat ihm die Polizei, nicht zuletzt, weil er Polizeihunde mag. So kaufte er der Cleveland Police letzten Herbst einen Spürhund für den Bombenschnüffeldienst. In Pension durfte Rex, der den Job elf Jahre schadlos überstanden hatte. Ein Jahr zuvor schenkte er der Polizei von Findlay einen Hund – mitsamt kugelsicherer Weste. Vorgänger Flip war im Einsatz erschossen worden.