Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)
Kenneth Starr, heute 61, ist Rektor der juristischen Fakultät der christlichen Universität Pepperdine in Malibu. Zwischen 1994 und 1999 amtete er als unabhängiger Sonderermittler. Seine Untersuchung mündete 1999 in der moralischen Zerlegung von US-Präsident Bill Clinton und einem Amtsenthebungsverfahren wegen Meineids. Im nach ihm benannten Starr-Report schilderte der einstige Richter die sexuelle Affäre zwischen Clinton und Praktikantin Monica Lewinsky. Liberale beschimpften Starr als rücksichtslosen Inquisitor, der das Land durch den Schlamm gezogen hatte. Konservative feierten ihn als aufrichtigen Widersacher gegen einen unreifen Präsidenten, der die Würde des Amtes mit einem Oral-Akt im Oval Office bekleckert hatte. Starr selbst spricht partout nicht mehr über diese Zeit. Zum Weltwoche-Gespräch willigte er unter der Bedingung ein, keine Fragen zur Clinton-Lewinsky-Affäre und zur US-Politik beantworten zu müssen. «Rektor Starr redet über Recht und das Christentum», sagte seine PR-Frau im Vorgespräch.
Interview: Peter Hossli
Kenneth Starr [zur PR-Verantwortlichen]: Bringen Sie mir bitten eine Flasche Wasser. Bleiben Sie dann hier.
Sie trinken Wasser und nicht Kaffee von Starbucks?
Starr: Ich habe eben einen Becher von Starbucks ausgetrunken.
Dann stimmt es, dass Sie süchtig sind nach Starbucks. Wie viele Becher trinken Sie täglich?
Starr: Ich versuche, nur einmal pro Tag zu Starbucks zu gehen. Zu Hause trinke ich aber weit mehr Kaffee, schwarz, ohne Zucker.
Sie sind ein frommer Mann. Ist Kaffee Ihr einziges Laster?
Starr: Nein. Ich habe viele, viele Laster, über die ich aber nicht rede. Läuft Ihr Tonband schon?
Ja.
Starr: Oh.
Sie sind der Rektor der Pepperdine University Law School, einer christlichen juristischen Fakultät. Was hat Jesus mit dem Recht zu tun?
Starr: Jesus hat uns alle zum Dienen berufen. Es ist die Aufgabe von Pepperdine, junge Menschen zu ermutigen und sie darin auszubilden, bedeutsame Arbeit für die Allgemeinheit zu leisten. Als christliche Institution nehmen wir zudem die Ideale des barmherzigen Samariters ernst und sind gastfreundlich. Deshalb heisse ich Sie herzlich willkommen.
Danke. Hier lernen angehende Anwälte die Lehre Jesu. Welche christlichen Werte muss ein Jurist in den Gerichtsaal nehmen?
Starr: Ehrliches Mitgefühl, dazu das Bewusstsein, dass jeder Einzelne, selbst der Gegner, eine Person von unschätzbarem Wert ist. Alle Personen müssen mit grösster Würde und Respekt behandelt werden.
Ihm Grusswort der Universität schreiben Sie, Anwälte müssten Friedensstifter Gottes sein. Ich dachte, sie seien der amerikanischen Verfassung verpflichtet.
Starr: Zwischen den beiden Idealen besteht kein Widerspruch. Es ist möglich, ein Instrument Gottes zu sein und gleichzeitig unsere Verfassung zu verteidigen.
Amerika ist eine weltliche Nation, in der längst nicht alle an die Lehre Jesu glauben.
Starr: Abraham Lincoln war nicht nur der 16. Präsident der USA sondern ein grossartiger Jurist. Er hat seine juristischen Kollegen ebenfalls dazu ermutig, Frieden zu stiften. Das tat er nicht aus einer christlichen Warte. Christen aber preisen die Stiftung von Frieden generell. Insofern ist der Anwaltsberuf ein christlicher Beruf.
Sie wuchsen fromm auf und lernten die Bibel auswendig. Warum studierten Sie Recht und wurden nicht Pfarrer?
Starr: Die Heilige Schrift ist voller Ermahnungen an die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit. Der Schrei nach Rechtlichkeit schlägt sich kolossal nieder in der Bibel, wie auch der Wert der Vergebung. Diese beiden christlichen Prinzipien haben mich zum Recht gebracht. Juristen sind dann gut, wenn sie Frieden stiften und aussöhnen. Das geht auf Jesus zurück, der immer wieder vergeben und Menschen versöhnt hat.
Dann braucht es Anwälte, um die globalen religiösen Konflikte unserer Zeit zu schlichten?
Starr: Pepperdine ist vermehrt bei internationalen Streitereien engagiert. Zuletzt haben wir bei Stammeskämpfen südlich der Sahara vermittelt. Ich selbst habe in viel versprechenden Dialogen zwischen Christen und Muslimen teilgenommen.
Gemäss US-Politikwissenschaftler Samuel Phillips Huntington erleben wir einen Clash of Civilizations, einen Zusammenprall der Kulturen. Hat er Recht?
Starr: Ich hoffe nicht. Viele Koranstellen, die in Moscheen gelehrt werden, handeln wie die Bibel vom Frieden und von der Bösartigkeit des Tötens. Der Islam zieht das Konzept des gerechten Krieges in Erwägung, genau wie das die Katholiken und viele Protestanten tun. Dagegen sprechen natürlich die islamischen Attacken auf Zivilisten. Sie sind das Anathema der Norm.
Lässt sich der Konflikt zwischen Christen und Muslimen lösen?
Starr: Reisen in den Islam und Freundschaften mit Muslimen stimmen mich optimistisch. Die Radikalen sind in der Minderheit.
Amerikanische Christen wollen die Zehn Gebote wieder in öffentlichen Gebäuden aufhängen. Sie auch?
Starr: Die Zehn Gebote haben einen ursprünglichen Charakter. Es sind die Wurzeln eines grossen Teils des Rechts. Das Gesetz reflektiert die Werte, die in den Geboten stehen.
Nur gerade drei Gebote – Du sollst nicht töten, nicht stehlen, keine falsche Aussage machen – sind heute in Gesetzen festgeschrieben.
Starr: Die Zehn Gebote sind rudimentär und nicht sehr global, das stimmt. Einige davon eignen sich nicht, in Gesetzen verankert zu werden, weil sie etwas aufzwingen, etwa «Du sollst neben mir keine anderen Götter haben». Gesetze, die Gotteslästerung verbieten, würden unseren unverwüstlichen Glauben an die freie Meinungsäusserung verletzen.
Dann teilen Sie die Ansicht vieler US-Konservativer nicht, dass die Zehn Gebote in öffentlichen Gebäuden aufgehängt werden?
Starr: Doch. Als Teil einer feierlichen Darstellung des Ursprungs des Rechts halte ich das für angebracht. Wir müssen unsere historischen Traditionen anerkennen und ehren dürfen. Gleichzeitig muss die Regierung sehr vorsichtig sein, wenn sie sich in religiöse Angelegenheiten einmischt.
Sind die USA eine christliche Nation?
Starr: Nein. Es ist eine Nation mit christlichen Wurzeln, eine Nation mit religiös ergebenen Personen, wobei die Mehrheit Christen sind.
Sie sind nicht nur Rektor, Sie arbeiten in einer grossen Kanzlei und repräsentieren globale Konzerne. Der Kapitalismus ist ein Teil der Moderne. Sie steht im Widerspruch zur Religion.
Starr: Das sehe ich anders. Zur menschlichen Würde gehören die Arbeit und die wirtschaftliche Tätigkeit. Eine Bibelstelle besagt, dass eine Person, die nicht arbeitet, nicht essen soll. Arbeit ist gut, Arbeit ist wertvoll und erhaben. Wir sollten also begierig sein zu arbeiten und unsere Talente zu nutzen. Wäre ich praktischer veranlagt, hätte ich vielleicht das Internet erfunden.
Sie verteidigen die Söldner-Firma Blackwater gegen Angehörige gefallener Mitarbeiter. Setzen Sie damit nicht Ihr christliches Gewissen aufs Spiel?
Starr: Ich habe Blackwater in einer eng definierten Frage verteidigt, nämlich ob die Klage der Familien der Opfer dieser schrecklichen Episode in Falludscha in einem staatlichen oder bundesstaatlichen Gericht behandelt werden soll. Meine Ansicht ist es, dass Blackwater und den Familien das beste und fairste bundesstaatliche Gericht zusteht. Ich habe verloren.
Sie haben bestimmt viel Geld damit verdient. Jesus lehrt Bescheidenheit. US-Anwälte gehören zu den bestbezahlten Berufsleuten überhaupt. Wie bringen Sie das zusammen?
Starr: Anwälte sind häufig überbezahlt, der Anwaltsberuf ist zu kommerziell geworden. Das bereitet mir Sorgen. Anwälte denken oft zuerst an den Endgewinn, was ein relativ neues Phänomen ist. Die Ikonen des amerikanischen Rechts lebten zwar angenehm, aber sie sind nicht steinreich geworden. Da heute selbst junge Anwälte nur noch abrechnungsfähige Stunden zählen, ist die Mentoren-Tradition gefährdet. Dabei sind Mentoren wichtig, um den majestätischen und grossartigen Aspekt des Berufs weitergeben. Zwar sind sich Amerikas Richter in Fragen wie der Abtreibung oder des Schulgebets uneins. Aber alle wissen, dass wir das Zivilrecht dringend reformieren müssen.
Als Rektor der Pepperdine Law School arbeiten Sie abgelegen in Malibu für einen bescheidenen Lohn. Würden Sie vollzeitlich in der privaten Kanzlei dienen, könnten Sie weit mehr Geld verdienen.
Starr: Geld war nie die treibende Kraft in meinen Leben, und ich hoffe, es wird es nie sein. Ich bin jetzt 61 und es scheint unwahrscheinlich, dass ich mir das noch angewöhne. Die Heilige Schrift sagt, «hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat». Und, wie Sie ja wissen, «nackt kamen wir in diese Welt» – und wir werden mit absolut nichts wieder gehen.
Was bedeutet Ihnen Geld?
Starr: Es ermöglicht es mir, Gutes zu tun, und, zum Glück, angenehm zu leben. Ich lebe freilich kein asketisches Leben wie einst der heilige Franziskus. Ich habe nie ein Armutsgelöbnis abgelegt, vielleicht sollte ich das tun. Meine Frau denkt manchmal, ich hätte das getan. Wir leben angenehm, und wir versuchen, grosszügig zu sein.
Wenn nicht Geld Sie antreibt, weshalb stehen Sie morgens auf?
Starr: Ich liebe es, Zeit mit den Studenten zu verbringen. Ich liebe es zu lehren. Zudem will ich Pepperdine als Institution stärken. Insbesondere liegt mir ein Programm für die Stärkung des Asylwesens in den USA am Herzen. Wir müssen jenen Menschen helfen in unser Land zu kommen, die anderswo verfolgt werden.
Vor zwei Jahren haben Sie die Liberalen Amerikas überrascht, als Sie unentgeltlich zwei Todeskandidaten verteidigten. Taten Sie das aus Barmherzigkeit?
Starr: Ich kann mir die Entscheidung nicht zuschreiben. Meine Anwaltskanzlei brachte die Fälle zu mir. Dann habe ich sie mit grösstem Eifer behandelt.
In einem Fall konnten Sie schwere Verfahrensfehler aufzeigen. Ihr Klient wurde nicht hingerichtet. Solche Fehler passieren allzu oft. Längst nicht jedem Todeskandidat steht aber ein Anwalt Ihres Kalibers zur Seite. Ist das nicht ein Argument dafür, die Todesstrafe ganz aufzuheben?
Starr: Es ist ein Argument gegen die derzeitige Handhabung der Todesstrafe, nicht aber gegen die Todesstrafe per se. Das Problem liegt im Mangel adäquater Verteidigung. Das kann aber behoben werden.
Dann wollen Sie die Handhabung reformieren, um die Todesstrafe aufrecht zu erhalten?
Starr: Ich bin weder ein aktiver Befürworter noch ein totaler Gegner. Ich verstehe beide Seiten. Wir alle sind fehlbare Kreaturen, die willig sein sollten zu vergeben. Es gibt aber extreme Fälle, denken wir an die rassistisch motivierten Morde, welche faschistische Gefängnis-Banden anordnen. Hier halte ich die Todesstrafe für angemessen als eine Form der Verteidigung in einem gerechten Krieg. Generell bin ich aber der Meinung, sie werde zu häufig angewendet.
Muss ein Christ nicht grundsätzlich dagegen sein? Jesus rettete Maria Magdalena vor der Steinigung mit den Worten «Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.»
Starr: In diesem Falle war die Todesstrafe nicht proportional. Maria Magdalena wurde bloss des Ehebruchs überführt. Die Todesstrafe sollte für die abscheulichsten Verbrechen reserviert sein. Aber wie gesagt, sie wird in den USA zu häufig angewendet.
Sie wuchsen in einem sehr frommen Haus auf. Während andere spielten, lernten Sie Bibelverse auswendig. Es gab keinen Alkohol, keinen Tabak und keine Tanzmusik in ihrem Haus. Wie hat Sie dieses Umfeld geprägt?
Starr: Es war eine wunderbare Kindheit, eine enorm sichere Kindheit. Denken Sie doch mal an die vielen zerrütteten Familien. Ich wuchs in einer unglaublich liebevollen, sich sorgenden und fördernden Familie auf. Täglich bedanke ich mich beim Herrn für diese Erziehung. Es hat mir nicht geschadet, dass ich als junger Mensch nicht rauchte und nicht trank. Ich rauche noch immer nicht, aber Weintrinken ist mir als Hobby ans Herzen gewachsen. Zudem vertrete ich die Weinindustrie. Ich schätze also das erste Wunder unseres Herrn in Kana in Galiläa, [als Jesus eine grosse Menge Wasser in Wein verwandelte.] Meine Mitchristen ermutige ich, diesen Teil der Heiligen Schriften mit mehr Respekt zu lesen.
Kinder rebellieren meist gegen Ihre Eltern. Warum taten Sie das nicht?
Starr: Meine Rebellion war weich, nicht hart. Ich habe viele spezifisch religiöse Bräuche hinterfragt. Ich war ein unzulänglicher junger Sokrates, der Fragen stellte. Aber eine Rebellion im Sinn von Woodstock habe ich nie angezettelt.
1968 waren Sie 22. Bereuen Sie es heute, die Zeit des Aufbruchs verpasst zu haben?
Starr: Nein. Es ist doch gut, dass ich nie verhaftet worden bin. Aber ich hätte die Sechziger schon etwas eifriger verfolgen können, etwa was mit Unterprivilegierten und speziell ethnischen Minderheiten passierte. Ich war nicht teilnahmslos, aber ich war weniger stark involviert als ich es hätte sein sollen.
Später wurden Sie Anwalt und Richter. Welche Rolle gefällt Ihnen besser?
Starr: Als Richter zu dienen war eine dankbare Aufgabe. Ich habe es geliebt, die richtige Antwort zu finden, das richtige zu tun, und das Recht wirklich zu respektieren, Konflikte in einer fairen und aufrichtigen Art zu schlichten.
Der erste Präsident George Bush berief Sie beinahe zum Obersten Richter. Warum hat es nicht geklappt?
Starr: Gottes Gnade privilegierte mich, als Richter zu dienen. Ich wäre es gerne länger geblieben, aber dem war nicht so.
Wegen dem Gewohnheitsrecht haben US-Richter sehr viel Macht. Richten Sie, machen Sie Gesetze. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
Starr: Mit einem anderen christlichen Wert – mit Demut. So lange amerikanische Richter sich anständig verhalten, ist ihnen der Job ja auf Lebenszeit sicher. Deshalb müssen sie sehr respektvoll auf die Meinung anderer Juristen und Richter hören – und sich ständig hinterfragen. Richter dürfen nie arrogant sein. Sie müssen ihr bestes geben, gleichzeitig aber ihre Rolle bescheiden interpretieren. Sie dürfen ihr Amt nicht darin verstehen, Gesetze zu machen.
Dennoch: Richter haben Macht. Was bedeutet Ihnen Macht?
Starr: Macht ist die Möglichkeit, verantwortungsvoll zu dienen. Sie muss mit grösster Sorgfalt und grösster Umsicht eingesetzt werden. Zur Macht gehören Bescheidenheit und Selbstzweifel. Wer mächtig ist, darf sich selbst nicht zu ernst nehmen und muss vorurteilsfrei sein. Macht darf nie beliebig oder unberechenbar sein.
Unter Amerikas Anwälten gelten Sie als Superstar, als einer der gescheiten juristischen Köpfe dieses Landes. Als was wollen Sie gesehen werden?
Starr: Als jemand, der gerne an der Pepperdine University ist, und der gerne anderen hilft.
Es war vereinbart, dass wir nicht über Politik reden und nicht über Ihre Rolle als unabhängiger Ermittler in der Lewinsky-Cliniton-Affäre. Erlauben Sie mir dennoch folgende Frage: Sie standen jahrelang im Rampenlicht der Weltmedien. Wie gelang es Ihnen, die Rolle hinter sich zu lassen?
Starr: Das war sehr einfach. Es war eine grosse Erleichterung. Ich konnte die Bürde hinlegen. Jemand hat mir kurz danach ein Buch geschenkt mit dem Titel «Adjusting to the Loss of Power». Ich sagte dieser Person, ich brauche dieses Buch nicht. Es gehört zur Tradition unseres Landes, dem Staat zu dienen und sich danach wieder ins Privatleben zurückzuziehen. General Washington hätte bis ans Lebensende Präsident sein können. Er hat sich dagegen entschieden und wurde wieder Privatmann. Ein Entscheid, den ich bewundere. Nur einmal war ich traurig, ein öffentliches Amt niederzulegen – als ich meinen Richterstuhl räumte.
Als unabhängiger Ermittler waren Sie enormem Druck ausgesetzt. Ein Teil der Öffentlichkeit hasste Sie, ein anderer verehrte Sie. Wie haben Sie sich neu erfunden?
Starr: Das ist mir nicht gut gelungen. Statt mich neu zu erfinden, habe ich meinen vorherigen Beruf einfach wieder ausgeführt. Anstelle eines langen Sabbatjahrs, habe ich ein Buch über den obersten Gerichtshof fertig geschrieben. Danach bin ich in meine Anwaltskanzlei zurückgekehrt und habe die Lehre wieder aufgenommen. Es war eine Wiederherstellung dessen, was mir verloren gegangen war.
Was haben Sie als Sonderermittler gelernt?
Starr: Dass unser Regierungssystem auf Gewaltentrennung und auf Rechenschaft angewiesen ist. Mein Amt litt unter schweren strukturellen Problemen. Als, wie das zu erwarten war, Kontroversen ausbrachen, war niemand zur Stelle, der das Amt öffentlich verteidigen konnte – was sehr wichtig gewesen wäre.
Viele der beteiligten Personen haben Bücher darüber geschrieben. Warum Sie nicht?
Starr: Ich bin zutiefst unschlüssig darüber. Ein Teil von mir sagt, ich sollte das tun. Viele Leute haben mich dazu ermutig. Aber ich rede sehr ungern über mich, und ein solches Buch müsste einen autobiografischen Teil haben. Zudem habe ich kurz nach dem Ende meiner Amtszeit darüber gesprochen, weil ich das Gefühl hatte, das gehöre zur Rechenschaftspflicht des unabhängigen Ermittlers. Heute denke ich, dass diese Zeit grösstenteils ein geschlossenes Kapitel der Geschichte unseres Lands ist.