«Ich habe mit Hollywood nichts zu tun»

Man kennt ihn als Mister Spock. In seinem Leben ohne Schminke und lange Ohren beschäftigt sich Leonard Nimoy lieber mit dicken Frauen als mit Klingonen und Vulkaniern.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

lookat_00025714_preview.jpgLeonard Nimoy: Es kann doch nicht so lange dauern, ein Aufnahmegerät in Gang zu bringen. Stellen Sie endlich die erste Frage.

Sie scheinen es trotz Ihren 76 Jahren noch immer eilig zu haben. Dabei erklärten Sie vor drei Jahren, nun in Pension zu gehen. Warum arbeiten Sie immer noch?
Nimoy: Ach, Peter. Warum essen Sie? Ich arbeite, um zu leben, um mich lebendig zu fühlen. Ich arbeite gerne, ich bin gerne produktiv und kreativ. Ich möchte ewig lernen und entdecken.

Sie schreiben, Sie fotografieren, Sie spielen in Filmen mit. Lenkt Sie diese Ruhelosigkeit davon ab, über den Tod nachzudenken?
Nimoy:
Ich denke an den Tod, und ich denke bewusst darüber nach, wie viel Zeit mir noch bleibt. Ich habe sogar eine Uhr eingerichtet, die rückwärts tickt. Sie zeigt mir auf die Sekunde genau an, wie viel Zeit mir noch bleibt.

Wie haben Sie die Uhr gestellt?
Nimoy:
Mit den Daten der Lebensversicherung. Sie berechnet aufgrund meines Alters, meines Gesundheitszustandes und meinen Genen, wie lange ich noch zu leben habe. Aufgrund dessen setzt sie dann die Versicherungsgebühr fest. Da ich vor Ihnen sterbe, müssen Sie weniger bezahlen als ich.

Warum ist es für Sie wichtig zu wissen, wie viel Zeit Ihnen noch bleibt?
Nimoy:
Weil ich keine Zeit verschwenden will. Das gelingt mir dann, wenn ich ein Bewusstsein für Zeit habe. Ich nehme die Zeit, die ich mit Ihnen verbringe, sehr bewusst wahr. Ich schenke Ihnen Zeit und damit einen Teil meines Lebens. Das ist okay für mich, weil ich davon ausgehe, dass es ein nützliches Gespräch sein wird.

Sie halten Zeit fotografisch fest. Warum fotografieren Sie?
Nimoy:
Die Fotografie ist ein hervorragendes Medium, um mich relativ rasch auszudrücken. Habe ich eine Idee, kann ich sie sofort umsetzen. Dabei muss ich niemanden um Erlaubnis oder Geld bitten. Es braucht kein Drehbuch, keine Schauspieler und keine Produktionsfirma.

Mit vierzig waren Sie auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere als Schauspieler. Statt darauf aufzubauen, gingen Sie zurück zur Schule und studierten Fotografie. Warum?
Nimoy:
Als Teenager musste ich mich entscheiden, ob ich Fotograf oder Schauspieler werden soll. Da ich damals etliche Theaterangebote hatte, wurde ich Schauspieler. Mit dem Zug reiste ich von Boston nach Los Angeles und besuchte die Schauspielschule. Danach kamen die ersten Filmangebote. Meine Liebe zur Fotografie schwand aber nie. Nach drei Staffeln «Star Trek» und zwei Staffeln «Mission: Impossible» hatte ich genug Geld, um endlich das zu tun, was ich wirklich liebe – zu fotografieren.

lookat_00025717_preview.jpgAndere sagen, sie seien als Schauspieler nicht weitergekommen. Alle wollten Sie nur noch als Spock sehen, den ersten Offizier im Raumschiff Enterprise.
Nimoy:
Das stimmt nicht. Ich entschied mich bewusst, meine Karriere zu wechseln weil ich als Schauspieler genug erreicht hatte. Ich musste nicht mehr in Filmen auftreten. Es war aber mein innigster Wunsch, ein Fotograf zu werden. Durch die Arbeit mit anderen Fotografen habe ich gemerkt, dass ich kein kommerzieller Fotograf sein möchte, sondern ein künstlerischer.

Sie haben eben ein neues Kunstbuch veröffentlicht, «The Full Body Project», in dem Sie sehr dicke Frauen sehr fröhlich zeigen. Was fasziniert Sie an den überaus molligen Models?
Nimoy:
Es sind ungewöhnliche Frauen. Man sieht sie nicht oft abgebildet, weder in Modemagazinen noch in der Werbung. Mich interessiert das Ungewöhnliche generell. Zudem gibt es wenige Frauen, die mit dem Körper eines Supermodels geboren sind oder irgendwann so einen Körper haben, egal wie hart sie daran arbeiten, wie sehr sie hungern, wie viele Diätpillen sie schlucken oder wie oft sie sich operieren lassen. Die Frauen, die ich fotografiert habe, versuchen nicht wie Supermodel auszusehen. Sie sind dick und sie fühlen sich in ihren Körpern wohl.

Mit diesen Fotos fetischisieren Sie weibliche Fettlebigkeit. Erregen Sie diese Bilder?
Nimoy: Meine Models erregen mich nicht. Ich finde es aber aufregend, diese Frauen zu fotografieren. Sexuell passiert gar nichts.

Jahrelang haben Sie bildschöne Frauen fotografiert. Künstler und Ihre Modelle gehen meist sehr intime Beziehungen ein. Sie auch?
Nimoy:
Die Beziehung zu meinen Models ist rein professionell. Wir arbeiten zusammen. Bei der Filmarbeit ist das nicht anders. Gehe ich auf den Set, erregt mich die Schauspielerin ja auch nicht, mit der ich drehe.

Am Anfang dieses Buch stand ein dickes Model, das Sie in Ihrem Studio fotografiert haben. Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie sich vor Ihnen nackt auszog?
Nimoy: Ich dachte «Whao, so etwas habe ich noch nie gesehen». Es hat mir einen Schrecken eingejagt. Ich hatte grosse Angst und überlegte lange, wie ich sie fotografieren soll.

Wie legt man die Angst ab, sehr dicke Frauen nackt zu fotografieren?
Nimoy:
So wie ich das immer mache – durch Arbeit. Das Abtragen der Angst wird so Teil des Prozesses. Nachdem ich mein erstes Modell fotografiert hatte, begann ich mit einer ganzen Gruppe Molliger zu arbeiten. Dabei fühlte ich mich wohl und sicher.

Wer Dicke nackt zeigt, dringt in gefährliche Gefilde vor. Der Voyeurismus liegt sehr nahe.
Nimoy:
«Hustler» oder «Playboy» sind voyeuristische Magazine, weil sie Frauen zu Objekten machen. Ich bin nicht voyeuristisch, ich mache die Frauen nicht zu Objekten, ich erniedrige sie nicht, ich zeige sie nicht als Objekte der Lust oder der Sexualität. Für mich ist das ein soziales Projekt.

Sie sind reich geworden in Hollywood. Es gibt kaum eine Branche, die das Frauenbild, das Sie nun kritisieren, stärker prägt als jene, der sie Ihre Villa in Bel Air verdanken.
Nimoy:
Hollywood ist mitschuldig. Aber Hollywood reflektiert nur das, was in der Gesellschaft passiert. Ist ein gewisser Frauentyp en vogue, dann werden Schauspielerinnen angestellt, die diesem Typ entsprechen. Hollywood schreitet der Gesellschaft nicht voraus, es eilt ihr hinter her.

lookat_00025715_preview.jpgHat dieses Buch Ihre Vorstellung des weiblichen Körpers verändert?
Nimoy:
Seit 20 Jahren bin ich mit einer Frau verheiratet, die ich sehr liebe. Ich finde sie höchst erotisch und begehrenswert. Mein Buch dreht sich nicht um Sexualität, es geht um Menschlichkeit. Ich zeige Frauen, die von unserer Kultur ausgegrenzt werden. Dabei sind es Menschen aus Fleisch und Blut. Sie sind real, sehr real – und es sind sehr schöne Frauen. Es ist doch ein Wahnsinn, dass Frauen am meisten Applaus kriegen wenn sie Gewicht verlieren.

Amerikanische Ärzte sehen das anders. Sie warnen vor der Fett-Epidemie, die derzeit durchs Land zieht. 60 Prozent der Bevölkerung gilt als zu dick.
Nimoy:
Man muss zwischen fettleibig und übergewichtig unterscheiden. Übergewichtige leben oft gesünder und länger als Dünne.

Dennoch zelebrieren Sie einen ungesunden Lebensstil.
Nimoy:
Es ist die Werbeindustrie, die eine ungesunde Lebensart verlangt: «Nehmt fünf Kilo in drei Tagen ab.» «Esst nur Sellerie und Salat.» «Trinkt nur Wasser.» Das ist ungesund. Ich weiss, dass Fettleibigkeit zu Herzinfarkt, Diabetes oder Knieproblemen führt. Ich sage ja nicht, werdet alle fett. Ich will aber eine Diskussion über das Körperbild auslösen.

Die «New York Times» bejubelt Ihr Werk als gesellschaftliche Bestärkung der Frauen. Warum muss das ausgerechnet ein Mann tun?
Nimoy:
Tut es eine Frau, kriegt sie weniger Aufmerksamkeit. Bereits mit meinem letzten Buch habe ich Frauen bestärkt. Ich zeige darin eine Frau als Gott.

Orthodoxe Juden haben Sie dafür heftig kritisiert und der Gotteslästerung bezichtig.
Nimoy:
Ich mag Frauen ganz einfach besser als Männer. Gibt es wirklich einen Gott und treffe ich ihn nach meinem Tod, so wäre es mir lieber, es ist eine Frau als ein Mann.

Werden Sie Gott denn treffen?
Nimoy:
Keine Ahnung.

Reden wir über «Star Trek».
Nimoy:
Ist das wirklich notwendig?

Immerhin spielen Sie nächstes Jahr nochmals in einem «Star Trek»-Kinofilm mit. Sie verkörpern Spock als alten Mann. Unter welchen Altersgebrechen leidet er?
Nimoy:
[lacht laut, dann wendet er sich ab, holt zwei Bilder hervor und beginnt zu reden] wenn Sie mal in Rom sind, müssen Sie unbedingt die Villa Borghese besuchen. Dort steht Canovas Paulina-Skulptur, sie ist schlicht umwerfend. [Er schweigt lange]. Okay, ich bin im neuen «Star Trek»-Film, darüber reden möchte ich aber nicht.

Sie können in diesem Film nur mitspielen, weil der zuvor verstorbene Spock auferstanden ist. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Nimoy:
Nein.

Bevor Sie Spock waren, traten Sie in über 50 Filmen und Fernsehserien auf. Warum brachte Ihnen ausgerechnet die Figur mit irdischen und ausserirdischen Eltern den Durchbruch?
Nimoy:
Spock ist ungewöhnlich, er ist intelligent und humorvoll. Man kann sich auf ihn verlassen. Spock ist nützlich in einer Krise, er kann Probleme lösen und er ist ein Freund der Menschen. Schauen Sie mal, hier ist eine Nachbildung der Paulina-Skulptur, wunderschön, nicht?

Es scheint Ihnen unangenehm zu sein, über Spock zu reden. Ist die Figur für Sie eine Bürde?
Nimoy:
Ich denke nicht mehr darüber nach. Ich mache das, worauf ich Lust habe. Die Leute akzeptieren es oder sie lasse es bleiben. Wegen Spock bin ich eine öffentliche Peson, das hat durchaus Vorteile. Es ist einfacher für mich, auf meine Projekte aufmerksam zu machen als es für weniger bekannte Fotografen ist.

Für viele sind Sie Spock mit dem Fotoapparat. Wie lassen Sie die Figur hinter sich, die derart tief verankert ist in der Pop-Kultur?
Nimoy:
Darum kümmere ich mich längst nicht mehr. Ich mache das, was mir gefällt. Bringt mich meine Arbeit von Spock weg, ist das gut, tut sie das nicht, ist das auch okay. Ich kann keine Zeit damit verschwenden, mich mit der öffentlichen Wahrnehmung meiner Person zu befassen. Darüber habe ich keinerlei Kontrolle. Mache ich hingegen eine Fotografie, kann ich sie kontrollieren.

Mitte der siebziger Jahren schrieben Sie eine Autobiografie mit dem Titel «I am not Spock», «Ich bin nicht Spock». Warum?
Nimoy:
Ich bin nicht Spock. Ich rede nicht wie Spock, ich gehe nicht wie Spock, ich lebe nicht wie Spock. Ich bin nicht Spock. Das ist wahr.

Ihre Fans reagierten verärgert über den Titel.
Nimoy:
Ich habe das Buch geschrieben, weil viele Fragen zu Spock und zu mir unbeantwortet waren. Während des Schreibens traf ich am Flughafen auf eine Mutter und ihren Sohn. «Boy, das ist Dein Lieblingsheld vom Fernsehen, Du siehst ihn jeden Tag», sagte die Mutter. Der Junge zuckte nur mit den Schultern. «Das ist Mr. Spock, geh zu ihm und sag hallo.» Der Junge wusste nicht, wovon seine Mutter sprach. Zu Recht. Nicht Mr. Spock stand vor ihm, ich wars, Leonard Nimoy. Ich trug keine Schminke, keine langen Ohren, kein Kostüm. Die Mutter wollte ihrem Sohn den Schauspieler zeigen, der Mr. Spock verkörpert. Aber sie stellte mich als Spock vor. Für den Jungen war ich nicht Spock. Nach diesem Erlebnis wählte ich den Titel «I am not Spock». Es war ein Fehler, das weiss ich heute. Die Leser dachten, ich lehne die Figur Spock ab. Das Gegenteil ist wahr. Spock ist ein grossartiger Kerl.

«Star Trek» hat nach wie vor einen enormen kulturellen Niederschlag. Jährlich versammeln sich Tausende so genannter Trekkis zu Fan-Verstanstaltungen. Überrascht Sie das?
Nimoy:
Ich verfolge das nicht. Seit bald zwanzig Jahren habe ich nichts mehr mit «Star Trek» zu tun. Der neue Film interessiert mich, weil er die Franchise neu beleben dürfte. Mit einem Budget von 150 Millionen Dollar wird es ein sehr aufwändiger und ein sehr teurer Film werden. Ich habe bei zwei «Star Trek»-Filmen Regie geführt. Wir hatten nie mehr als 27 Millionen Dollar zur Verfügung.

Die Serie hat Sie reich gemacht. Verdienen Sie Geld mit Fotografie?
Nimoy:
Nein, nein, nein. [er wendet sich zum Fotografen] Vielleicht verdient er Geld mit Fotografie, weil er mit seiner Kamera Bilder macht, die andere brauchen. Ich mache das nicht. Mit dem, was ich tue, kann man kein Geld verdienen. Mein Stundenlohn beträgt wenige Cents. Es macht mich aber stolz, dass Museen meine Bilder kaufen, dass Private sie sammeln und dass Menschen meine Bücher kaufen. Aber ich gebe für meine Projekte mehr Geld aus als ich einnehme.
Auch William Shatner ist ein Sammler ihrer Bilder, der Schauspieler, der in «Star Trek» Spocks Vorgesetzter Captain Kirk war. Haben Sie ihm die Fotos geschenkt?
Nimoy:
Nein, er kaufte zwei in einer Galerie.

Sie gehören zum liberalen Kreis Hollywoods. Dem Präsidentschaftskandidaten Barack Obama haben Sie 2300 Dollar in die Wahlkampfkasse gespendet. Was mögen Sie an ihm?
Nimoy:
Er ist intelligent, aufrichtig und ehrlich, vor allem aber intelligent. Ich will endlich wieder einen gescheiten Präsidenten. Es ist mir egal, ob es Obama oder Hillary Clinton sein wird, ich will jemanden, der Ideen hat und unsere Probleme lösen kann. Unsere Regierung hat seit Jahre keine gute Idee gehabt. Stattdessen hat sie das Land in einen ekelhaften Krieg geritten. Der Krieg hat eine Sauerei angerichtet in Irak, in unserem Land und im Rest der Welt. Deswegen ist die Wahrnehmung von uns Amerikanern weltweit so negativ geworden. Alle warten auf den nächsten November, wenn wir endlich die Regierung neu bestellen können.

In Ihren Büchern verehren Sie Frauen, warum sprechen Sie sich nicht für Hillary Clinton aus?
Nimoy: Mir ist es recht, wenn sie gewinnt. Sie ist intelligent. Sie ist mir aber eine Spur zu politisch.

Die amerikanische Presse freut sich bereits jetzt auf ein Duell zwischen Hillary Clinton und Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani ein.
Nimoy:
Die amerikanische Press ist dumm, faul und unnütz geworden. Sie hat versagt und sie erfüllt ihre Pflicht nicht, das Land zu informieren sowie wichtigen und interessanten Geschichten nachzugehen. Stattdessen räumen sie Paris Hilton und Britney Spears enorm viel Platz ein. Es ist der absolute Wahnsinn.

Ist Ihre Haltung nicht heuchlerisch? Ihre eigene Branche, Hollywood, lebt doch davon. Berichtet die Klatschpresse über Filmsternchen, strömen die Leute ins Kino.
Nimoy:
Ich kann nicht über Hollywood reden. Zwar trete ich noch in einem Film auf, aber ich drehe seit langem keine Filme mehr. Ich habe mit Hollywood nichts mehr zu tun.