Serena Williams – «Ich fühle mich eigentlich immer krank»

Schon mit zwei Jahren begann sie ohne Unterbruch Tennis zu spielen und tut dies heute mit 26 immer noch. Serena Williams über Schmerzen, Motivationslücken, Geld und ihre Einzigartigkeit.

Von Peter Hossli

serena1.jpgMs Williams, wo sind Sie gerade?
Serena Williams: Derzeit bin ich in Moskau. Demnächst lege ich mich schlafen.

Wenn Sie aufwachen, wissen Sie noch in welcher Stadt Sie sind?
Williams: Ich schon. Aber ich kenne viele Tennisspielerinnen, die Mühe haben, sich die Stadt zu merken, in der sie einschlafen.

Sie reisen ständig. Wie halten Sie das aus?
Williams: Es ist anstrengend. Ich fühle mich eigentlich immer krank. Mein Körper schmerzt ständig.

Eine beklemmende Vorstellung. Warum setzten Sie sich dem aus?
Williams: Ich spiele Tennis. Das ist mein Beruf.

Sie standen lange Zeit an erster Stelle der Weltrangliste, dann stürzten Sie jäh ab. Was braucht es, um die Beste zu sein?
Williams: So lange ich gesund bin, kann ich mich motivieren, wenn ich motiviert bin, gewinne ich.

Sie haben oft Mühe mit der Motivation. Sie gelten als unschlagbar wenn Sie motiviert sind, scheiden in einem Turnier aber früh aus, wenn das Interesse fehlt.
Williams: Wir spielen sehr viele Turniere, deshalb ist es für mich alles andere als einfach mich zu motivieren. Im Januar fällt mir das leichter als im November. Derzeit geht es gut, denn ich will mein Ranking verbessern, und ich will wieder die Beste sein.

Sie könnten das Frauentennis dominieren wie Roger Federer das Männertennis dominiert. Stattdessen kümmern Sie sich um Nebensächlichkeiten. Sie treten als Mannequin auf, Sie entwerfen Kleider und Sie spielen in Fernsehserien mit. Warum brauchen Sie diese Ablenkung?
Williams: Ich muss tun, was mir Spass macht. Wenn ich in einem Film auftrete oder Mode mache, dann ist das ein Ausdruck meiner Persönlichkeit.

Warum reicht es Ihnen denn nicht, die weltbeste Tennisspielerin zu sein?
Williams: In mir steckt viel mehr als nur Tennis. Ich bin eine Designerin. Ich bin eine Denkerin. Ich schreibe gerne. Ich mag es, viele verschiedene Dinge zu tun. Und trotzdem gelingt es mir, eine grossartige Tennisspielerin zu bleiben.

Nochmals: Ihre kreative Seite scheint Sie vom Tennis abzulenken. Warum müssen Sie unbedingt Kleider entwerfen?
Williams: Gegenfrage: Warum sollte ich mich mit Tennis zufrieden geben? Ich habe reichlich kreatives Talent. Es ist nicht möglich, 50 Jahre lang Tennis zu spielen. Aber ich kann noch lange Kleider entwerfen oder als Modell auftreten. Man hat mir stets gesagt, ich müsse eine Alternative für Tennis parat haben. Die habe ich.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien nicht einfach ein Tennisstar, sondern ein Superstar. Was gefällt Ihnen daran, das Leben eines Stars zu führen?
Williams: Es ist nicht das Leben eines Stars, das ich mag. Ich mag mein Leben. Ich versuche nicht, eine Berühmtheit zu sein. Ich bin einfach ich. Das ist das einzigartige an mir: Ich versuche nicht ins Rampenlicht zu treten – das Rampenlicht folgt mir.

Letztes Jahr schlitterten Sie in eine Krise. Auf der Weltrangliste stürzten Sie von Rang 1 auf Rang 81 ab. Sie verletzten sich. Verständlicherweise haderten Sie mit der Ermordung Ihrer Schwester. Verzichteten Sie deshalb ein halbes Jahr auf Turniere?
Williams: Um ehrlich zu sein: Ich musste nach einer Operation wieder gesund werden. Als ich mich physisch besser fühlte, legte ich zusätzlich eine mentale Pause ein. Seit ich zwei Jahre alt bin, habe ich ohne Unterbruch Tennis gespielt. Nun konnte ich endlich Dinge tun, die ich noch nie getan habe. Das war wunderbar.

Trotzdem kamen Sie zurück – und gewannen zur Überraschung aller im Januar das Australien Open. Wie haben Sie das Comeback geschafft?
Williams: Ich hatte stets einen enormen Willen zu gewinnen. Diesen Willen wollte ich nicht verlieren. Ich bin wieder da, weil der Siegeswunsch zurückkam.

Was haben Sie in dieser Pause gelernt?
Williams: Ich bin erwachsener und reifer geworden. Damit will ich nicht sagen, ich sei weder im Herzen noch beim Aussehen nicht mehr jung – ich bin ja noch ein Kind. Zudem habe ich gelernt, was ich durchmachen und aushalten kann.

Vor einem Spiel googeln Sie jeweils Ihre Konkurrentinnen. Nützt das wirklich was?
Williams: Es hilft, wenn man Schwächen und Stärken der Gegnerinnen kennt. Ich mache meine Recherchen stets selber. Google ist recht nützlich.

Dank Preis- und Werbegelder sind Sie sehr reich geworden. Welchen Einfluss hat der finanzielle Erfolg auf Ihre Motivation?
Williams: Keinen. Als ich aufwuchs, spielte ich nie des Geldes wegen. Ich wollte das US Open gewinnen. Ich wollte in Wimbledon gewinnen. Ich wollte die Nummer eins sein. Heute greifen viele zum Tennis-Racket weil sie rasch Geld machen wollen. Mein finanzieller Erfolg ist deshalb besonders, weil ich nie für Geld gespielt habe. Noch heute hole ich das Preisgeld nicht automatisch ab. Nach einem Turnier muss mir die Turnierleitung den Scheck nachschicken oder mich daran erinnern, ihn abzuholen. Ich spiele nicht für den Scheck. Ich spiele, um zu gewinnen.

Warum ist das für Sie so wichtig?
Williams: Jedes Turnier, bei dem ich antrete, will ich gewinnen. Das allein hält meine Motivation bei Laune.

Für wen gewinnen Sie?
Williams: Ich gewinne allein für mich.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Williams: Geld bedeutet mir nicht die Welt. Klar, es hat mein Leben verändert. Aber es hat mich nicht verändert. Verstehen Sie mich nicht falsch, Geld hat mein Leben einfacher gemacht und es hat mir viele Türe geöffnet. Aber es bestimmt nicht, wer ich bin.

Sie scheinen finanziell gerissen zu sein. Sie haben lukrative Werbeverträge, etwa mit Nike oder mit Hewlett Packard. Wer inspiriert Sie wenn es um Geschäft geht?
Williams: Ich bewundere die Typen, die Google oder MySpace gestartet haben. Das sind echte Genies. Natürlich inspiriert mich Oprah [Winfrey, die schwarze amerikanische Medienmogulin]. Ich bewundere Menschen, deren Investitionen sich langfristig auszahlen.

Ihr Vater hat stets gesagt, er wolle reiche Frauen aus seinen Töchtern machen. Was haben Sie diesbezüglich von ihm gelernt?
Williams: Er hatte einen ungeheuren Willen, uns erfolgreich zu machen. Aber es war immer Venus’ und mein Ziel, Turniere zu gewinnen. Es ging uns nie ums Geld.

Sie haben früh mit Tennis angefangen. Wie motiviert man sich als Kleinkind?
Williams: Ich wollte wie Venus sein. Als sie sehr jung Erfolg hatte, wollte ich es ihr unbedingt nachmachen.

Sie begannen als kleine Schwester, die Venus jagte und sie später überholte. Wie hat sich diese Rivalität auf sie ausgewirkt?
Williams: Sie ist für mich eine enorme Kraftquelle. Nur wegen der Rivalität habe ich mein volles Potenzial ausschöpfen können. Venus war immer meine stärkste Konkurrentin. Weil ich mit ihr trainiere und gegen sie antrete wird mein Spiel ständig besser.

Die Geschwisterrivalität muss der Beziehung zusetzen.
Williams: Das denken alle. Es ist aber falsch. Wir sind uns sehr nahe. Sie ist meine beste Freundin. Ich liebe sie. Aber wenn sie auf der anderen Seite des Netzes steht, dann will ich sie schlagen.

Dieses Jahr erhielten die Frauen in Wimbledon erstmals dieselbe Preissumme wie die Männer. Warum hat es dort so lange gedauert?
Williams: Es ist traurig und es zeigt, dass wir Frauen nach wie vor in einer ungerechten Welt leben.

Rafael Nadal hat in einem Interview gesagt, er begrüsse die Gleichheit beim Preisgeld. Das bedeute aber, dass Frauen ebenfalls über fünf Sätze spielen sollten.
Williams: Wir haben keine Angst vor fünf Sätzen. Wir wollen dieselbe Bezahlung und wir sind bereit, dafür alles zu tun. Die Spielerinnen wie die Tour haben öfters vorgeschlagen, fünf Sätze zu spielen. Es sind die Turnier-Veranstalter, die das nicht wollen. Das ist die Wahrheit, über die zu selten gesprochen wird.

Sie erhalten für einen Werbevertrag 55 Millionen Dollar von Nike und sind damit eine der best bezahlten Athletinnen. Männer wie Tiger Woods oder LeBron James kriegen jedoch weit mehr. Werden die Frauen die Männer jemals einholen?
Williams: Alles passiert zur rechten Zeit. Hoffentlich bin ich noch dabei wenn wir die Männer einholen.

Viele behaupten, Sie und Venus hätten das Frauentennis gerettet. Stimmt das?
Williams: Ich zumindest möchte glauben, dass es stimmt. Feststeht, dass wir den Sport stark verändert und athletischer gemacht haben.

Kann Frauentennis den Rücktritt der Geschwister Williams verkraften?
Williams: Ich nehme mal an, es werden andere Spielerinnen kommen, die den Sport aufregend gestalten. Mit absoluter Sicherheit kann ich das aber nicht sagen. Ich weiss nur eines: wenn ich mal weg bin, dann bin ich weg.

Dann wissen Sie, wann der Abtritt kommt?
Williams: Nein. Ich kann sicher noch lange Tennis spielen und ich werde noch viele Turniere und Grand Slams gewinnen.

Es gibt einige Spielerinnen, die Sie nicht vermissen würden. Haben Sie Freundinnen auf der Tour?
Williams: Ich komme mit allen zurecht und versuche, möglichst professionell zu sein.

Dennoch scheint es unter den Spielerinnen öfters zu Reibereien neben dem Platz zu kommen als unter den Spielern.
Williams: Ja, das ist wahr. Wir sind halt Frauen. Frauen sind überall und immer ein bisschen kleinlicher als Männer. Männer können eine beherzte Tennisschlacht schlagen. Fünf Minuten später sind sie die besten Freunde. Frauen können das nicht.

Die Öffentlichkeit mag Zickenkriege neben dem Platz. Ich denke an den einstigen Zwist zwischen Ihnen und Venus mit Martina Hingis oder Ihr jüngster Streit mit Justine Henin…
Williams: … ich habe nie einen Streit gehabt mit Justine Henin. Ich weiss gar nicht, wovon Sie reden. Ich habe mit niemandem ein Problem. Ich spiele einfach nur Tennis. Hören Sie mal, ich bin in Moskau, es ist spät hier, ich muss jetzt ins Bett. Noch eine Frage, bitte.

Okay. Letzten November reisten Sie nach Senegal an den Ort, wo einst afrikanische Sklaven nach Amerika verschifft wurden. Warum?
Williams: Ich wollte schon immer mal nach Afrika. Irgendwie komme ich ja von dort. Jetzt konnte ich endlich zu meinen Wurzeln finden. Die meisten Amerikaner kennen ihre Geschichte und ihre Herkunft. Als Schwarze bleibt mir beides verborgen. Die Reise nach Afrika hat mir die Augen geöffnet für meine Geschichte und für selbst. Deswegen bin ich eine stärkere Person. Und ich liebe Afrika.

Vielen Dank und gute Nacht.
Williams: Danke.