Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)
Ms. Duke, wie gross ist die Chance, dass ich Sie beim Pokern schlage?
Annie Duke: Sehr klein. Vielleicht holen Sie mal eine Partie. Auf die Länge nehme ich Sie sicher aus.
Sie könnten öfter schlechte Karten haben und ich reichlich Glück.
Duke: Glück spielt beim Pokern fast keine Rolle. Es kommt nur bei identisch guten Spielern zum Zug. Selbst dann ist es vernachlässigbar.
Wer gewinnt beim Pokern?
Duke: Wer das mathematische Konzept des Spiels begreift. Erfahrung und Talent helfen auch.
Sie haben beim Pokern 5 Millionen Dollar gewonnen. Warum?
Duke: Meine Stärke ist die emotionale Kontrolle. Vergangene Verluste beeinflussen meine Entscheide nie. Viele Spieler scheitern, weil sie ihre Verluste wieder wettmachen wollen, wenn sie Geld verloren haben. Statt zu verteidigen, spielen sie zu aggressiv. Zudem bluffe ich gut. Ich nehme dann grosse Risiken, wenn mein Bluff sicher sticht.
Man sagt, es gebe zwei Arten von Pokerspielern: Die kühl berechnenden Mathematiker und die alteingesessenen Haudegen, die trinken, rauchen und nur auf ihren Bauch hören.
Wer holt mehr Geld?
Duke: Kurzfristig gewinnen die Gambler. Früher oder später gehen sie aber Pleite. Langfristig verdienen die Mathematiker und Spieltheoretiker.
Pokern ist ein globales Phänomen geworden. Sie pokern seit 13 Jahren. Warum?
Duke: Das Spiel ist endlos faszinierend und stellt komplexe Probleme, die nie wirklich zu lösen sind. Mir gefällt, nie die totale Kontrolle zu haben. Alle haben eine Chance. Das beste Blatt gewinnt längst nicht immer. Beim Golf siegt stets Tiger Woods.
Pokern lässt keine Makel zu. Wie verleiten Sie andere zu Fehlern?
Duke: Ich versuche, sie dazu zu bringen, mich falsch zu lesen. Zudem manage ich meine Einsätze gut. Sie sollen den Eindruck erwecken, gut für die anderen zu sein. Nichts verleitet eher zu Fehlern als smart kalkulierte Einsätze.
Was lernten Sie vom Pokern?
Duke: Bevor ich anfing, war ich psychisch labil. Jetzt bin ich geerdet. Ich bin auch geduldiger geworden. 70 bis 80 Prozent aller Anfangskarten spiele ich gar nicht. Das hat mich Geduld gelehrt.
Dann ist Poker eine Lebensschule?
Duke: Nicht für alle. Wer pokert, muss risikobereit sein. Wer zu riskant durchs Leben geht, scheitert. Viele gute Pokerspieler gehen Pleite wegen Fehlern, die sie abseits des Kasinos begehen. Spieler, die langfristig Erfolg haben, sind oft auch in anderen Bereichen gut.
Sie weigern sich partout, an Frauenturnieren teilzunehmen. Warum?
Duke: Sind Frauen etwa dümmer? Männer sind physisch stärker, aber nicht gescheiter. Poker ist ein Spiel, bei dem der Verstand zählt.
Warum pokern dann viel mehr Männer als Frauen?
Duke: Poker ist ein mathematisches Spiel. Männerhirne sind mathematischer gewickelt. Zudem werden Mädchen in der Schule entmutigt, Mathe zu studieren. Poker ist ein aggressives Spiel. Zeigt eine Frau Aggressionen, gilt sie als Zicke. Ein aggressiver Mann hingegen wird als männlich bewundert. Pokert eine Frau, gilt sie als unverantwortlich, als ob sie das Haushaltsgeld verspielen würde.
Sie sind attraktiv. Wie verändern Sie einen Pokertisch?
Duke: Die Wahrnehmung unter den Spielern ist sehr wichtig. Viele Männer sind Chauvinisten. Einige wollen mit mir ins Bett. Mit denen flirte ich heftig, mache ihnen Hoffnung – und nehme sie dann aus. Das ist einfach. Wer Sex von mir will, der will mein Geld nicht. Da ich keinen Sex will, kriege ich das Geld.
Wie hoch war Ihr höchster Verlust?
Duke: 100 000 Dollar an einem Tag.
Und Ihr höchster Gewinn?
Duke: 310 000 Dollar an einem Tag. Wie bei jedem anderen Job verdient man beim Pokern mehr, wenn man mehr arbeitet. Ich spiele nur noch die grossen Turniere, da fliesst mehr.
Was bedeutet Ihnen Geld?
Duke: Nicht viel, ehrlich. Ich zahle damit meine Rechnungen. Ich spiele Poker wegen des Spiels, nicht wegen des Geldes. Beim Pokern ist Geld nur die Messlatte des Erfolgs. Geht es statt um Geld um Zündhölzer, strenge ich mich genauso an.
Wie legen Sie Ihr Geld an?
Duke: Mein Pokergeld ist hohem Risiko ausgesetzt. Deshalb investiere ich das Haushaltsgeld konservativ in Fonds mit geringer, aber sicherer Rendite. Zudem finanziere ich in Start-up-Firmen.
Wie wichtig ist es für Sie, zu gewinnen?
Duke: Es ist wichtig, gut zu spielen, dann gewinne ich. Verliere ich eine Partie, flippe ich nicht aus. Ein Sieg bedeutet, die bestmöglichen Entscheidungen getroffen zu haben.
Wo liegt Ihre Schwäche?
Duke: Das sage ich doch nicht. Jahrelang hatte ich damit zu kämpfen, kurzfristige Niederlagen nicht wegstecken zu können. Ich wollte nur siegen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass Poker ein langfristiges Unterfangen ist. Es ist wichtiger, gut zu spielen, als einzelne Partien zu gewinnen.
Wie feiern Sie einen Sieg?
Duke: Ich feiere nie, sondern geniesse ihn innerlich.
Pokern Ihre vier Kinder?
Duke: Nicht mit mir. Sie wissen zwar, dass ich beruflich Poker spiele, aber ich lehre sie das Spiel nicht. Hingegen ermutige ich sie, richtig zu entscheiden und logisch zu denken.
Sollen sie dereinst pokern?
Duke: Sie können machen, was sie wollen, zuerst sollen sie aber studieren. Pokern ist wie Schauspielern. Alle können es tun, wenige verdienen damit Geld. Hier in Hollywood verdient der Grossteil der Schauspieler weniger als 5000 Dollar jährlich. Beim Pokern ist das genauso.
Sie lehren Poker. Ihr berühmtester Schüler ist Hollywood-Star Ben Affleck. Was kosten Sie?
Duke: Für vier Stunden verlange ich 20 000 Dollar.
Ein horrender Stundenpreis.
Duke: Ein Harvard-Studium kostet mehr. Wer bei mir studiert, verdient viele Jahre gut, also bin ich recht günstig.
Vor vier Jahren verliessen Sie den Vater Ihrer vier Kinder, ein radikaler Entscheid mit hohem Risiko. Wie kam er zustande?
Duke: Die Ehe war schlecht. Wie beim Pokern wog ich alles gegeneinander auf, mein Wohlbefinden gegen den Vorteil für die Kinder, beide Eltern zu Hause zu haben. Nach Jahren schloss ich, dass die Trennung die beste Wette ist.
Sie lebten lange in Las Vegas. Tagsüber umsorgten sie die Kinder, nachts nahmen Sie Touristen aus. Hatten Sie dabei nie ein schlechtes Gewissen?
Duke: Wir alle haben die freie Wahl, so steht es in der Verfassung. Reiche Hobbyspieler nehme ich gerne aus. Anders ist es mit Spielsüchtigen, die das Schulgeld der Kinder verjubeln. Sitzt so einer an meinem Tisch, sage ich stets: «Hey, lass dir helfen, setz dich nicht an meinen Tisch, ich nehme dich aus.»
Sind Sie spielsuchtgefährdet?
Duke: Überhaupt nicht. Ich zocke ja nicht, ich pokere. Das Pokerspiel erfordert Können.
Pokerturniere stehen allen offen. Immer mehr Amateure nehmen teil. Verwässert das nicht den Sport?
Duke: Nein. Jeder, der das Eintrittsgeld zahlen kann, darf mitspielen. Oft klagen Profis, sie könnten Amateure nicht lesen. Doch wer sein Spiel nicht der Situation anpassen kann, ist nicht gut.
Man hört immer wieder von Untergrund-Poker mit hohen Einsätzen. Wie verbreitet ist das?
Duke: Hier in Hollywood sehr. Zu diesen Pokernächten lädt mich leider niemand mehr ein. Alle fürchten, ich nähme sie aus. Wohl zu Recht.
Annie Duke, 41, gilt als beste Pokerspielerin der Welt. Allein an offiziellen Turnieren hat sie über 3,2 Millionen Dollar erspielt. Hinzu kommen rund 2 Millionen von privaten Partien. Duke ist die Tochter von Literaturprofessor und Schriftsteller Richard Lederer. Sie selbst studierte Literatur und kognitive Psychologie. Kurz vor der Doktorwürde warf sie das Studium hin, zog nach Montana, heiratete und begann 1994 zu pokern. Sie hat vier Kinder, lebt in Los Angeles und verfasst Poker- und Drehbücher.