Von Peter Hossli
Eben erst hat William Lerach den Zenit seiner Karriere erklommen, nun stürzt er jäh ab. Stolze 7,3 Milliarden Dollar holte der Staranwalt mit dem buschig-grauen Haarschopf unlängst bei verschiedenen Banken für deren Rolle in der Enron-Pleite. Statt den Erfolg ausgiebig zu feiern, zog sich Lerach letzte Woche in den Ruhestand zurück. Damit muss ausgerechnet der Gigant unter den amerikanischen Anwälten aufhören. Er sei eine zu grosse Belastung für seine 2004 in San Diego gegründet Kanzlei Lerach Coughlin, liess er lapidar verlauten.
Lerach zieht es immer tiefer in den grössten Skandal der hiesigen Anwaltszunft. Sein früherer Arbeitgeber – die Starkanzlei Milberg Weiss – soll betrogen und bestochen haben. Das geht aus einer Klage hervor, die letztes Jahr von der Staatsanwältin von Kalifornien eingereicht wurde. Seither bringt sie fast täglich neue peinliche Details ans Licht.
Die einstige Musterfirma des juristisch-industriellen Komplexes soll während zwanzig Jahren systematisch Kläger mit Barzahlungen gelockt und geschmiert haben. Statt auf Betroffene zu warten, sollen zwei Partner von Milberg Weiss an einzelne Personen jeweils über zwei Millionen Dollar bezahlt haben – damit sich diese für eine Klage einspannen liessen. Die illegale Praxis trieb den Umsatz von Milberg Weiss in astro-nomische Sphären. Schloss die Kanzlei 1997 noch Vergleiche in der Höhe von 145 Millionen Dollar ab, waren es 2005 stattliche 20 Milliarden Dollar gewesen.
Milberg Weiss steht sogar vor dem Untergang
Die kalifornische Anklage knickte die Firma. «Milberg Weiss wird untergehen», sagt Daniel Becnell, prominenter Anwalt aus Louisiana. «Kein US-Richter wird die Firma jemals wieder als Vertreterin einer Klägerklasse akzeptieren.»
Lerach, der 2000 beim famosen Wahlstreit in Florida Vizepräsident Al Gore vertreten hatte, verliess Milberg Weiss vor drei Jahren und eröffnete eine eigene Kanzlei. Dabei konzentrierte er sich gänzlich auf die Enron-Klagen. Nun aber hat der Milberg-Weiss-Partner David Bershad angekündigt, seine Schuld einzugestehen und gegen ein geringeres Strafmass seine alten Kollegen anzuschwärzen – wohl auch den Expartner William Lerach.
Sagt Bershad aus, ist das wohl das Ende der bedeutendsten US-Kanzlei, die in den Neunzigerjahren international berühmt wurde. Damals initiierte sie unentgeltlich zusammen mit anderen Anwälten die Holocaust-Klagen gegen Schweizer und deutsche Firmen – und nötigte ihnen in Vergleichen über sechs Milliarden Dollar ab.
Die Gilde der US-Anwaltszunft sitzt nicht nur auf der Anklagebank, die weltweit gefürchtete Branche steckt tief in der Krise. Der Umsatz ist rückläufig, die jahrelange Klagewelle ebbt ab. Grosse und kapitalintensive Fälle wie die Zigaretten- oder die Asbestklagen sind weitgehend erschöpft. Der Versuch, gegen Schnellimbiss-Ketten wegen deren gesundheitsgefährdender Nahrung vorzugehen, ist weitgehend gescheitert. Die Zahl jener lukrativen Sammelklagen von vergraulten Investoren, die gegen gesetzeswidrige Manager vergehen wollen, sank letztes Jahr um nahezu 40 Prozent.
Staatliche Ämter haben nun mehr Macht
Wirkung zeigt insbesondere der sogenannte Sarbanes Oxley Act. Mit dem nach den Enron- und Worldcom-Pleiten 2002 verabschiedeten Gesetz wollten die Parlamentarier die Wall Street säubern. Sie gaben staatlichen Behörden – der Börsenaufsichtskommission SEC und dem Justizdepartement – weit mehr Klagemacht, was den Einfluss privater Anwälte schmälerte. Für Kläger kommt es oft günstiger, wenn die SEC das Geld eintreibt und nicht ein Anwalt, der dreissig Prozent der gesprochenen Summe für sich behält. Ein aktiverer Staat schüchtert indes betrugswillige Manager mehr ein als private Juristen, zumal den Weisskragen-Schurken Gefängnis und nicht nur eine Busse droht.
Die Anzahl Sammelklagen geht massiv zurück
Für die Anwälte ist es auch schlecht, dass gemäss einer Studie der Stanford University Law School und Cornerstone Research Gerichte Sammelklagen immer seltener zulassen. Zwischen 1996 und 2005 reichten auf Aktionärsklagen spezialisierte Anwälte in den USA im Schnitt pro Jahr 193 Sammelklagen ein. Im Jahr 2006 waren es noch 110 gewesen, was einem Rückgang von 43 Prozent entspricht. Zieht man den eher aussergewöhnlichen Skandal um die rückwärts datierten Optionen ab, bleiben weniger als 90 Klagen. Der Rückgang bei den Geldbeträgen fällt noch dramatischer aus. Die eingeklagte Schadensumme belief sich zwischen 1996 und 2005 durchschnittlich auf 683 Milliarden Dollar im Jahr. 2006 waren es noch 294 Milliarden Dollar gewesen, ohne Optionenskandal sogar bloss 198 Milliarden Dollar.
«Es werden weniger Firmen verklagt, weil es weniger Betrug gibt», sagt Rechtsprofessor Joseph Grundfest von der Stanford University zum massiven Rückgang. Die nach den Buchhaltungsskandalen verschärften Gesetze würden Wirkung zeigen. Allerdings klagen Aktionäre auch deshalb seltener, weil die Wirtschaft derzeit boomt und die Börse immer neue Rekorde erklimmt. Zudem sind Firmen häufiger bereit, aussergerichtliche Lösungen zu finden und vergraulte Aktionäre ohne Prozess auszuzahlen. Die Anzahl des für Firmen billigeren Verfahrens nahm letztes Jahr um 37 Prozent zu.
Klagen von Ausländern in den USA
Der Umsatz der US-Anwaltskanzleien sinkt dramatisch. Doch die Juristen wissen sich zu helfen. So häufen sich an US-Gerichten Sammelklagen, bei denen die Betroffenen weder in den USA leben noch hierzulande Geschäfte tätigen.
Als Grundlage dient den Juristen ein Gesetz von 1789, das einst geschaffen wurde, um Piraten für Überfälle in internationalen Gewässern vor Gericht zu ziehen. Der Alien Tort Claims Act erlaubt es US-Richtern, Klagen von Ausländern zu akzeptieren, sollte internationales Gesetz verletzt worden sein. So vertritt die Anwaltskanzlei Motley Rice aus Südkarolina neuerdings Tausende von Kindern aus Pakistan, Bangladesch, dem Sudan und Mauretanien. Die Buben sollen in die Vereinigten Arabischen Emirate verschleppt und versklavt worden sein. Scheiche spannten die Leichtgewichte für ihr Hobby ein und liessen sie in der Wüste Kamelrennen reiten.