Ein Pionier in argen Nöten

Jedes Kind kennt die Marke. Trotzdem scheint Kodak dem Untergang geweiht. Nun will der kriselnde US-Fotoriese mit günstigen Tintenpatronen die Wende schaffen. Grosse Zweifel bleiben.

Von Peter Hossli

Mit klitzekleinen Löchern hegt Kodak grosse Pläne. Mit der Nanotechnologie entwickelten Kodak-Ingenieure neuartige Drucker, die Tinte durch winzige Öffnungen jagen. Damit will der Fotoriese ein 45- Milliarden-Dollar-Geschäft erobern, das derzeit noch von Canon, Epson und Hewlett-Packard kontrolliert wird. Mit den Anfang Februar eingeführten Druckern will Firmenchef Antonio Perez die Traditionsfirma retten und sie als geschrumpften aber wieder wachsenden Konzern neu positionieren.

Ob es klappt, ist zweifelhaft. Der Koloss rutscht seit Jahren ab. Die Firma mit Sitz in Rochester, New York, beschäftigte 1984 nahezu 150 000 Leute. Ende dieses Jahres werden es noch 28 000 sein. Die Aktie, 1996 im Allzeithoch auf 85 Dollar, dümpelt bei 23 Dollar. Rangierte Kodak vor sechs Jahren noch auf Platz 27 unter den weltweit wertvollsten Marken, sackte sie auf Rang 70 ab. Verluste in Milliardenhöhe wurden zur Norm.

Viel zu spät auf den Digital-Boom reagiert

Dabei war Kodak der Inbegriff der Fotografie. Die Firma machte die Massen zu Fotografen, verpasste aber den Übergang zur digitalen Technik. Damit widerfuhr Kodak ein Schicksal, das viele marktbeherrschende Technologiefirmen trifft. Ähnlich wie IBM, Xerox und AOL hielt Kodak bei Veränderungen nicht mit. Vifere Konkurrenten überflügelten sie. Kodak dachte, sie könne ewig Filme und Fotopapier verkaufen – und merkte viel zu spät, wie digitale Kameras das Kerngeschäft regelrecht auslöschten.

Dabei entwickelte ein 28-jähriger Kodak-Ingenieur namens Steven Sasson schon 1976 die erste digitale Kamera. Doch Sassons Vorgesetzte befanden die Technologie für nicht förderungswürdig. Der damalige Kodak-Chef sah den Prototyp nie. 1981 lancierte Sony die erste digitale Kamera für Hobbyfotografien. Mittlerweile knipsen Profis wie Amateure fast ausschliesslich digital.

Sie verstehe, warum Kodak nun auf Tinte und Drucker setze, sagt Morningstar-Analystin Irina Logo-vinsky. «Es ist das gewinnträchtigste Segment der digitalen Fotografie.» Geld sei mit Druckern, der Tinte und dem Papier zu verdienen. Wobei die Marge bei den Geräten tief, bei der Tinte aber extrem hoch ist. Dieses Prinzip will Kodak-Chef Perez nun umdrehen. Der ehemalige Hewlett-Packard-Mann heuerte etliche Ingenieure seiner Ex-Firma an. Sie entwickelten ein System mit teureren Druckern, aber um die Hälfte billigeren Tintenpatronen. Die günstige Tinte, im Verlauf des Jahres in der Schweiz erhältlich, soll die Endverbraucher zu Kodak locken.

Die Anstrengungen kämen zu spät, sagt JP-Morgan-Analyst Sameer Doctor. Kodak werde innert nützlicher Frist nicht genügend Kunden gewinnen. «Es ist nie zu spät, einen guten Markt zu durchdringen», widerspricht Analyst Ron Glaz von IDC. «Nicht das Timing ist das Problem, sondern die Konsumgewohnheiten.» Wer einen Drucker kauft, will wissen, was das Gerät kann und was es kostet. Die Tinte ist – vorerst – nicht interessant. Kodak gehe ein enormes Risiko ein, sagt Glaz. «Begreifen die Kunden das Prinzip, eröffnet sich ein riesiger Markt. Wenn nicht, ist der Schaden immens.» Zumal der gebürtige Spanier Perez sich den Erfolg erkaufen will. «Das ist eine grossartige Chance für uns, die lassen wir uns nicht entgehen, koste es, was es wolle», sagte er in einer Telefonkonferenz.

Erstmals seit zwei Jahren wieder schwarze Zahlen

Die Analystin Logovinsky misstraut der Tinte. «Die Konkurrenz schaut nicht tatenlos zu.» Da das Kodak-Modell allein auf tieferen Preisen basiere, sei es leicht anzugreifen. «Hewlett-Packard wird das Druckergeschäft vehement verteidigen», sagt Logovinsky. Ob es angesichts dieser Aussichten Kodak in fünf Jahren noch gibt? Die Analystin hat da so ihre Zweifel. «Vielleicht, vielleicht nicht.»

Tatsächlich könnte die einst allgegenwärtige Fotofirma verschwinden. Zwar schrieb Kodak Anfang Februar erstmals seit zwei Jahren wieder schwarze Quartalszahlen, jedoch nicht mit bahnbrechenden Produkten. Perez senkte die Werbeausgaben, verminderte die Restrukturierungskosten und erhöhte die Einnahmen von Patenten aus besseren Jahren. Zudem stiess er den medizinischen Bildbereich ab.

Ein weiteres Handicap für Kodak: Zwar knipsen mehr Menschen mit digitalen Kameras oder mobilen Telefonen. Die Bilder lassen sie aber seltener drucken. Das Wachstum der digitalen Fotografie verlangsamt sich generell. Wurden 2003 noch 85 Prozent mehr digitale Kameras als im Vorjahr verkauft, waren es letztes Jahr bloss noch vier Prozent.

Bedroht ist auch der Kinofilm, ein Segment, das Kodak seit ehedem dominiert. Spielfilme sollen künftig nicht mehr auf Rollen, sondern digital per Satellit ins Kino gelangen. Hollywood hofft, jährlich zwischen zwei und drei Milliarden Dollar an Material- und 700 Millionen Dollar an Transportkosten einzusparen – zum Nachteil von Kodak.

Die Kokak-Meilensteine

Vor 30 Jahren entwickelte ein Kodak-Ingenieur die digitale Kamera. Sie blieb unter Verschluss, was sich bitter rächt.

1881: George Eastman und Henry Strong gründen die Eastman Dry Plate Company in Rochester, New York.

1888: Eastman lanciert unter dem Fantasienamen Kodak die erste Kamera für Konsumenten. Ein Jahr später kommt die erste kommerzielle Filmrolle auf den Markt. Der Slogan «You Press the Button – We Do the Rest» legt den Grundstein für den Schnappschuss und somit den Kodak-Moment.

1902: Die Eastman Kodak Company führt die erste Entwicklungsmaschine ein, die Dunkelkammer wird hinfällig.

1929: Kodak entwickelt den Tonfilm fürs Kino.

1965: Kodak führt die erste Super-8-Filmkamera ein.

1972: Kodak bringt Farbnegativfilme auf den Markt.

1976: Kodak-Ingenieur Steven Sasson erfindet die digitale Kamera. Sie bleibt unter Verschluss. 1981 bringt Sony die erste digitale Kamera auf den Markt. Ebenfalls 1976 führt Kodak Sofortbildkameras ein.

1992: Kodak führt die Photo-CD ein, dann folgt die Kodak Picture Disk.

2004: Kodak beschliesst, keine traditionellen Filmkameras mehr herzustellen.

2005: Kodak beschliesst, kein Papier für schwarz-weisse Fotos mehr zu fabrizieren.

2007: Kodak steigt ins Geschäft mit Druckern und Tintenpatronen ein.